Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (59/60/61)

23. August 2015, ein Sonntag

Lehrgang vorüber, fünf Jahre Training, seit gestern shodan. Heute in die Alpen, noch ganz gerührt von Ukes und ukemi. Auch gerührt von Frau S., gegen die ich mich sträube, aber nicht so sehr, als dass ich nicht nachts mit ihr äußerst eingehend die Sterne studierte, als gäbe es dort Künftiges zu erspähen, obwohl das Gegenteil der Fall ist, denn jeder Blick in die Sterne greift tief ins Urvergangene. Ich bin da widersprüchlich. Aber bitte nicht Frau S. kompromittieren! So denke ich in Siebratsgfäll.

24. August, ein Montag

Allgäu. Auf den ersten Höhen „Klemens!!!“ ins Tal gebrüllt. Schnell hinauf in almiges Kuhglöckeln. Kommt man auf den Kamm, wogt das Kuhkonzert heran. Beschirmt der Kamm, bricht es abrupt ab.

Die Landschaft sieht nach Märklin aus. Tagsüber gleiten Gondeln, allseits wellt sich Weiches, Grünes. Nachmittags Tiefgrauwolkenu, um 19 Uhr ist alles zugezogen, den Zaun umzäunt der Nebel. Lese „Also sprach Zarathustra“, diese kalte Ode gegen alles Laue, Liebe, Dünkelnde, Übliche – eine letztlich doch peinliche Selbst-Inthronisierung. Schrei-Gesang.

25. August, ein Dienstag

Die ganze Nacht Regen. Ich bleibe auf der Hütte, ich tappe nicht durch Schlick und Suppe. Außerdem: der Kalkstein wird schmierig. Langeweile des Hüttenausharrens. An den Tisch gesellt sich ein Alemanne. Er erzählt von einem Freund, ein Hobbyfotograf, der im Eiffeler Moor auf Motivsuche ging. Nach Tag 4 fand man ihn, stakend bis zur Brust aufrecht. Seither, sagt der Alemanne, wisse er, was zu tun sei, wenn man feststeckt: nicht strampeln, nein, sich sanft nach vorn fallen lassen.

28. September 2016 23:06