Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (62/63/64)

26. August 2015, ein Mittwoch

Über die Nagelflughkette vom Staufner-Haus nach Gunzesried. Das klänge im Norden nicht so malerisch. Obwohl … in den Hüttener Bergen von Harzhof über Hohenlieth, Hohenholm und Harfe nach Holtsee – das ginge auch. Dort gibt’s auch viel Käse, aber weniger Silberdisteln. Auch Kühe, aber weniger Glocken. Was für einen Krach die machen! Als Kuh würde ich wahnsinnig: Kaum senkt man das Maul zur Erde, wirft sich der Glöckner in die Seile.

Ein Filzhutträger mit wüllenem Backenbart wickelt einen Stacheldrahtzaun auf. „Das ist ja eine kratzige Sache“, sage ich. Darauf er: „Da hilft nur einsch: nit verkrampfe!“ Anheimelndes Allgäu. Oben am Gipfel, im Hochgenuss des Rundumblicks, erwischt mich ein anonymer Telefonanruf, der Vorstand der Genossenschaft: eine 65qm-Wohnung zur Umsetzung sei schwierig, aber es gäbe eine 40qm-Wohnung, das würde gehen.

27. August, ein Donnerstag

Dauerndes Verlaufen. Hänge hinauf und Hänge hernieder, Querfeldeinschlurfen über triefende Wiesen und unter siebenden Tannen. Dann hurtig nach Oberstdorf, von dort noch hurtiger fort. Gäbe es nicht den Edeka-Supermarkt, gäbe es für Oberstdorf keinerlei Rechtfertigung. Außer jenen Butter-/Milch-/Buttermilch-Verkäufer, der bestens Kühe kennt und daher weiß (und mir nachweist), wie glücklich sie mit ihren Glocken sind. Übernachtung „Beim Beck“, wo ich auf der Terrasse mit Fridolin Beck plaudere. Im Januar 1939 hat er zwei Skisprung-Meisterschaften gewonnen. Er ist 96.

Dann endlich hinauf in die Alpen und oben unter die Dusche. Davon hat die Kemptener Hütte 2. Für 300 stinkschweißige Wanderer. Befindlichkeit zwischen Sonnenstich und Ekel. Schlafen im sogenannten Lager, also eingezwängt zwischen lauter Männern mit Duschproblem: links der weißbärtige 60er schnarcht natürlich und verpustet würzigen Altmänner-Atem, der Typ auf der rechten Seite furzt. Toiletten befinden sich zwei Treppen abwärts.

28. August, ein Freitag

Am Leiterjöchl rasten Vater und Sohn. Sie schwärmen von Steinböcken, Gemsen, Murmeltieren – nichts davon habe ich gesehen. Einkehr im Württemberger Haus. Ein Paradies abseits der Haupt-Route, umgeben von Wasserfall, Naturdusche, Sonnenterrasse. Nuss-Schnaps bestellt, allein für mich. Nun also fängt das Alter an.

29. September 2016 08:48