Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (8/9)

10. Juni 2015, ein Mittwoch

Kitty will mit zum Geburtstag von M. (zumindest will sie nicht absagen), besteht aber darauf, am Sonntag um 15.45 Uhr zurück in Frohnau zu sein und besteht zusätzlich darauf, statt der normalerweise angesetzten drei Stunden mit sechs zu rechnen, damit sie auf keinen Fall zu spät komme. Zudem habe Freundin L. vorgeschlagen, am Sonntag zum Nacktbaden zum Heiligensee zu fahren. Keine so hübsche Aussicht: Ich sehe Kitty nur noch im Kreisrund ihrer Frohnauer Sekte. (…) Es bestehen beste Chancen, dass diese Fahrt in einer Katastrophe endet. (…)

15. Juni, ein Montag

Tja, seltsam. Wir haben uns gar nicht getrennt. Jedenfalls nicht am Donnerstag. Im Moment sieht es allerdings wieder danach aus, und sehr wahrscheinlich handelt es sich auch lediglich um den Verzögerungseffekt des Donnerstags, aber vielleicht der Reihe nach.

(…) am Freitag verlief unser gemeinsames Tortebacken sogar recht hübsch, auch wenn wir keinen Fruchtzucker fanden und fürchten mussten (wie sich herausstellen sollte: mit Recht), dass die Torte nicht schmeckt. Aber egal: Nüsse, Sauerkirschen, Quark usw. und fröhlich gebacken. Miteinander (… ) so satt vor Glück (…) und nette Ankunft in dem seriös-schmucken Weinkeller in H., wo Sangliches und Dichtkunst anhob, auch Gespräch und Scherz, nur scheiterte ich dauernd, Kitty dafür zu erwärmen (…) Kitty (…) wollte im Auto warten, einfach die Zeit im Auto absitzen (…), doch M. kam nun hinzu, bat um Bleiben, und Kitty zeigte Bleibewille, stieg in den Tanzkeller und bot aber nun das Bild einer gänzlich eingekapselten Bewegungsminimalistin im demonstrativen noli me tangere. (…) Ich völlig hilflos (…) Morgens Heimfahrt nach Berlin (…) Dann das Blödeste: H. rief an, der uralte Freund, und ich Esel raunzte ihm am Wasserturm das ganze Desaster zu, als auch schon Kitty anrief und fragte, ob sie dazukommen könne. Worauf wiederum, als man selbdritt im Crêpe Suzette den ersten Cidre glücklich schluckte, H., dieser Hund, das heikle Thema anschnitt und, getrieben von seinem Mediatoren-Ehrgeiz, alles den Bach runterging. (…) Heute morgen aufgewacht mit reißendem Kopfweh. Dann Kittys Satz, dass unsere Beziehung „für’n Arsch“ sei. Nach erstem Zögern beigepflichtet.

Beim Bäcker überlegte Kitty angestrengt, ob ihr nun die Idee einer Beziehung grundsätzlich nicht gefalle, oder ob ihr eine Beziehung mit mir nicht gefalle. Es wurde nun fast heiter, als wir die mathematischen – polygamen, monogamen – Lösungsmöglichkeiten durchspielten. Nur das Ergebnis war nicht so schön. Heute zieht sie zur Probe für drei Tage nach Frohnau.

17. Juli 2016 10:25