Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (97)

18. November 2015, ein Mittwoch

Ich habe mir zwei Domains gesichert, um Erinnerungsfilme für Hinterbliebene anzubieten. Kunden könnten den Fundus aus Fotos und Filmchen der Verstorbenen bei mir abgeben, und mit einigem Digitalisierungsaufwand, Gespür und Geschick bekämen sie ein handliches Format zurück. Das ist womöglich kreativer und lukrativer als die Sachbearbeitung beim Referat IIA / Zentrale Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber. Dort hatte ich mich morgens beworben, zwecks sozialer Teilhabe, doch die Vorstellung, dort Akten zu bearbeiten, war so grotesk, dass nach dem Posteinwurf die Schrulle mit den Erinnerungsfilmen Auftrieb bekam. Auf der homepage des fußläufig erreichbaren Bestattungsinstituts Kadach schaute ich in den Leistungskatalog. Erinnerungsfilme waren nicht darunter. Nun sind Bestattungen ein heikles Gewerbe. Je mehr ich mich in die Idee vertiefte, desto mehr wurde ich gewiss, dass ein solches Geschäft meinem Charakter zuwider wäre.

18. November 2016 14:52