Nadja Einzmann

Eine Reise in den Süden

Heute Nacht werden wir in ein Abenteuer aufbrechen, sagt mein Vater und klatscht in die Hände, dass ihr euch ja die Zähne putzt, euch hinter den Ohren wascht, bevor es losgeht. Und wir, die wir so etwas nicht gewohnt sind, keine Reise, gar nichts, die wir blass sind, vom Herumsitzen in dunklen Wohnungen und Zimmern, waschen uns hinter den Ohren, putzen die Zähne und bürsten uns die Haare, bis sie glänzen und fliegen. Wir ziehen unser feinstes Nachthemd an und tappen an der Hand unseres Vaters, unser Köfferchen unter dem Arm, durch die nächtlichen Straßen zum Bahnhof, der ein Bahnhof ist, der zum Aufbruch in den Süden nur so einlädt.
Es wird eine Fahrt, an die wir uns immer erinnern werden. Erinnert Euch an diese Fahrt, sagt unser Vater, denn so etwas erlebt ihr nicht alle Tage, so ein herrliches Abenteuer. Und also schauen wir aus dem Zugfenstern, lehnen uns weit aus den Zugfenstern die ganze Nacht über, um ja nichts zu verpassen von dieser köstlichen Fahrt und Aussicht. Es wirbelt uns der Wind durch die Haare und wir singen in die Nacht hinein alle Reiselieder, die wir kennen. Als die Dämmerung hereinbricht und die ersten Orangenbäume und Pinien sichtbar werden, die ersten Landhäuser und der südliche Himmel, rollen wir uns auf unseren Sitzen zusammen, ziehen uns die Nachthemden weit über die Zehen und schlafen bis in den Mittag hinein, bis unser Vater uns wach rüttelt. Auf, auf, sagt er, auf, auf, das Abenteuer beginnt. Er bindet uns, jeder, eine Schleife ins Haar, streicht uns die Nachthemden glatt und nimmt uns an der Hand, an der wir in den Süden hinaustreten. Ein freundlicher Wind weht und von allen Seiten lächelt man zu uns herüber. Blonde Haare und blaue Augen, sagt unser Vater, davon hat man hier immer geträumt, und er zwinkert uns munter zu. Noch auf dem Bahnhofsvorplatz stehend, winkt er einer Frau, die aussieht, als habe sie nur auf uns gewartet. Hier, sagt er, hier, ein wunderbarer Tag, und legt unsere Hände feierlich in die ihren, wie eine Gabe, ein Geschenk. Selbstverständlich sehen wir uns nicht um, sind wir doch die Töchter unseres Vaters, als wir uns von ihr an all den Straßenbahnen und Bussen vorbei in eine und dann in die nächste und übernächste der engen Gässchen und Straßen dieser Stadt führen lassen.

9. Februar 2009 18:25