Thorsten Krämer

Gewalt

Liebe Sylvia, ich habe mir nur diesen einen Aspekt herausgepickt, weil ich denke, dass diese Forderung kontraproduktiv zu dem ist, was du eigentlich willst. Alles andere unterschreibe ich sofort. Aber mit der Gewalt ist es in unserer Gesellschaft so, dass sie keinen Platz mehr bekommt, sie ist nicht vorgesehen und darf nicht sein. (Gleichzeitig wird jedoch in der Wirtschaft eine ganz ungeheure Gewalt ausgeübt!) Aber Gewalt lässt sich nicht wegerziehen, sie ist ein Teil des Lebens. Gerade deswegen bricht sie sich ja immer wieder Bahn. Wenn man das akzeptiert, kann man einen realistischen Umgang mit Gewalt entwickeln. Zurzeit ist der Umgang mit Gewalt aber hysterisch, und das führt dazu, dass zum Beispiel Jungen kaum noch Erfahrungen mit Gewalt machen können. Wenn sich Jungen nicht prügeln können, haben sie keine Gelegenheit, die Realität der Gewalt zu erfahren, und damit geht ihnen das Maß verloren. Deshalb treten Jugendliche heute eben auch dann noch weiter, wenn der andere schon am Boden liegt.
Natürlich sollte eine gewalttätige Konfliktlösung niemals die erste Wahl sein, aber es ist auch ein Trugschluss, sie ganz auszuschließen. Die Gewalt wechselt dann nämlich einfach nur das Medium, es wird nicht mehr geschlagen, sondern gemobbt. Wenn heute ein Schüler gemobbt wird und sich dagegen zum Beispiel mit den Fäusten zur Wehr setzt, dann gilt er als auffällig. Dabei waren die anderen vielleicht einfach nur subtiler und haben die Doppelmoral der Gesellschaft besser verinnerlicht.
Wohlgemerkt: ich beziehe das nicht auf die Nazi-Schläger, von denen du schreibst. Die haben ihre ganz eigenen Gründe für ihre Gewalt. Aber du hast im zweiten Teil deines Textes die Thematik ausgeweitet, und da, denke ich, liegen die Dinge doch ein wenig anders.

30. August 2010 01:18