Christian Lorenz Müller

ISRAELISCHES TERZETT

Tel Aviv

Tel Aviv, du baust dir deine Klippen
aus Stahl und aus Glas,
dein Autoverkehr brandet bis in den Sabbat
und immer kreisen die Möwen, die Maschinen
über Ben Gurion.
Tel Aviv, deine Falafel
sind Muscheln voll knuspriger Perlen,
deine Palmen schwimmen,
grüne Quallenschwärme, im Wind.
Tel Aviv, deine Wellen
tragen gläubige Surfer
zu einem Gott aus Endorphin,
deine Jugend liegt als öliger Tang
im warmen Sand
und immer verblaust du die Tage.

Frühling im Negev

Grüne Pfützen in der Wüste,
grünes Glucksen in den Wadis,
Gesprudel rings um ein Kibbuz.
Schafe schwimmen im Gras,
ein watendes Kamel.
Die Baracken der Beduinen
treiben durch den Tag.

An den Bushaltestellen
warten Ausflügler, keine Soldaten.
Halbautomatische Gewehre
haben sich in Paddel verwandelt.

Das pralle Schlauchbootblau
des Himmels
und eine junge Frau
die ihr Haar wie ein Handtuch
über die Schulter wirft.

Westliche Mauer

Die heiße Stirn
an der kühlen Vollkommenheit
des Steins: So hoch ist Gott,
so unbezwingbar hoch,
er kennt keine Tür,
öffnet sich, wenn du
mit deinen Küssen anklopfst,
wird weit, wenn du
die Ritzen, die Spalten
mit bekritzeltem Papier verfugst,
mit deiner weißen Sehnsucht.

Deine Seele, Charedi,
ist ein Mauersegler,
immer streicht sie
die große Wand entlang.

22. Juni 2018 10:11