Hendrik Rost

Nutzlose Erinnerungen an eine nutzlose Kindheit

50 Pfennige versprach die Großmutter auf Besuch, wenn ich es schaffte, eine halbe Stunde Mittagsruhe zu halten. Ich lag auf dem Bett und verfolgte den gelähmten Zeiger des Weckers. 50 Pfennig für ein Leben, das sich seitdem in zwei Teilen misst, der Zeit vor der Zeit, in der es nur Unruhe gab und Bewegung und auch Müdigkeit ohne Maß, und die Zeit, die sich auf Dauer nicht lohnt.

Aus Wut darüber, das Zimmer aufräumen zu müssen, kam mir die Idee, die Fische aus dem Aquarium zu saugen. Erst als der Staubsauger hinten Schaum ausspuckte und stotterte und dann aussetzte, kam mir der Gedanke, dass ich keinen der Fische erwischte, bevor mir eine glaubwürdige Erklärung für den Zustand des Saugers einfiele. Überrascht sah ich in den Augen meines Vaters bei der erwarteten Bestrafung Erleichterung darüber, dass weder mir noch den Fischen etwas passiert war, und eine Art heimlicher Verbrüderung unter Tunichtguten.

Als jüngster einer Reihe von Brüdern war meine einzige Reaktion auf meine Mutter, immerzu „Hunger!“ zu brüllen, wenn ich sie sah. Immer wieder „Hunger!“, um etwas abzubekommen und ihrer Aufmerksamkeit keine Gelegenheit zu geben, sich abzuwenden. Hunger als Oberbegriff aller Bedürfnisse, die ich gar nicht kannte. Hunger noch, als ich mich als Jugendlicher längst auf Astralmaße abgeschmolzen hatte, der nicht gestillt wird. Nicht von euch. So nicht. Vielleicht im zigtausendsten Gedicht.

27. Dezember 2013 09:40