Björn Kiehne
Pietà
Aus den Buchenwäldern
fließt das Gold in die Stadt.
Die Bächle tragen es auf Barken
in die Klinik, wo ich
kaum wage, die Tür zu öffnen.
Ich drücke die Klinke
gegen meinen inneren Widerstand,
blicke in den Raum dahinter.
Das Herbstlicht lässt sein Haar,
von der Chemo schütter, leuchten.
Er war aus Rumänien eingewandert,
hatte sich am südlichen Schwarzwaldrand
ein neues Leben aufgebaut,
eine Frau gefunden,
ein Kind mit ihr bekommen.
Täglich löse ich mit einem Wattestäbchen
vorsichtig die Borken von den Innenwänden
seiner rechten Augenhöhle.
Den Augapfel hat man entfernt,
da der Tumor dahinter wächst.
Irgendwoher nimmt er die Kraft,
seiner Frau den Arm
über die Schulter zu legen.
Sie lächeln beide,
während das Kind zufrieden
an ihrer nackten Brust schmatzt.
Wir ernähren ihn nun seit Tagen,
ohne Hoffnung auf Heilung.
Als starken Mann hatte ich ihn aufgenommen,
Maler und Lackierer,
der über meine Fragen lachte.
Nun halten wir ihn nur noch am Leben.
Aus dem Rahmen der Tür,
der mich sicher in der Welt hält,
betrachte ich:
Den mageren Arm um seine Frau,
sein golden leuchtendes Haar,
den friedlichen Säugling.
Wie halten, ohne festzuhalten?
Wie leben?