Hans Thill

Stele

Abdelkebir Khatibi
1938-2009

Sozio-Clips

Das traf mitten ins Herz. Er war völlig verblüfft. Weshalb der Wutausbruch der alten Freundin gegen ihn und seine Ethnie, weshalb die unglaubliche Heftigkeit? Aus welcher Nacht kam dieser Schrei? Ich höre noch immer die vergiftete Stille. Soll man aus dieser Szene einen Roman machen? Ein Theaterstück? Einen Film? Eine fetzige Zeichnung? Und dieses bissige Notat, wird es genügen, um unser Leiden zu bannen? Es war Sommer, mein Rücken schaute auf den Ozean. Drift der Kontinente in eine archaische Chimäre.

Rassismus? Der Haß auf den Genuß des Anderen, wird gesagt. Ja, aber gibt es denn zwischen dem latenten und dem manifesten Rassismus, zwischen Implosion und Explosion, nicht die permanente und imaginäre Vernichtung des Anderen an sich? Gibt es nicht die universelle Barbarei, die allen Menschen zueigen ist? Gewiß, da ist nichts zu machen, oder nur wenig, sehr wenig.

Eine Form von Gastfreundschaft findet sich in kriegerischen Gesellschaften. Gastfreundschaft: Fortsetzung des Krieges durch die Riten des Friedens. Die Strategie, das Spiel von Distanz und gesellschaftlicher Nähe werden dann einer Abfolge von Zeremonien und Speisen unterworfen, die ebenso geregelt sind wie die Abfolge der Jahreszeiten.

Einen bourgeoisen Franzosen beobachten, wie er den Figaro bei einer Tasse Kaffee entfaltet.

Die Werte und Gloriolen, die sich ein Land gibt, findet man in den Straßennamen, also in der Verehrung der Toten.

In der Pariser Metro die Bemerkung eines Afrikaners zu einem anderen: »Ich verstehe nicht, weshalb die Muslime in Frankreich fasten. Die Tatsache, daß sie hier sind, ist doch Fasten genug!«

Der Blick fällt auf eine Geschäftsstraße. Als ich diesen Schlachter (boucher) mit seinen beinahe theologischen Gesten betrachte, denke ich, daß er gewiß Monotheist ist, der Schweine-Metzger (charcutier) hingegen eher ein Schamanist. Initiation zum Opfer: Basis jeder Gesellschaft, jeder Sekte.
Und noch etwas habe ich gesehen: ein Balinese, der sein Milchferkel im Freien brät, scheint in einem Schattenspiel zu tanzen, gleichsam eine Szene der Seelenwanderung.

Sozio-Clip? Ein Notat, so rasch wie der indiskrete Blick auf den Anderen.

(Eigene Übersetzung aus: Abdelkebir Khatibi, par-dessus l´épaule, Aubier, 1988)

19. März 2009 14:20