Andreas H. Drescher

Tuk-Tuk

Auf der Fähre von Mombasa schon begann ich auf das Afrika-Gefühl zu warten, von dem Hartmut so oft gesprochen hatte. Aber wie sollte das gehen, wo sich in der braunen Brühe vor mir nicht mal Krokodile einstellten. Auch das Tuk-Tuk, das Vespa-Dreirad, das mir den Kopf mehr als einmal hart gegen das Blechdach warf, ließ weit weniger Glückgefühle in mir aufkommen als den Gedanken, wie leicht selbst mit einfachstem Werkzeug so ein Stoßdämpfer zu reparieren wäre.
Nur ein Mal hatte ich das Gefühl, Afrika rufe, spreche mich an. Als ich bei Hartmut ankam und in der in dieser Weltgegend wirklich stockschwarzen Nacht eine weibliche Stimme zu mir sagte: „Schön vorsichtig beim Aussteigen, die Schlangen sind wieder auf Hühner-Jagd…“, während ich aus dem Tuk-Tuk in ein staubiges Nichts hinein sprang. Ich fragte mich schon, ob Afrika einen Abstecher in die Berlitz-School gemacht habe, um Deutsch zu lernen, da sah ich im Licht des wendenden Tuk-Tuk die Augen von Hartmuts afrikanischer Freundin Jazz aufleuchten. „Sie kommen spät. Haben Sie sich am Flughafen verlaufen?“ Ein Witz! Der Flughafen von Mombasa ist nicht größer eine Schuhschachtel. So lachte ich noch, als ich bei meinem alten Freund Hartmut eintrat, dem gemütlichen Bankrotteur, der in Deutschland seinen Bioladen an die Wand gesetzt, aber genug Geld beiseite gebracht hatte, um sich in Kenia bis zu seinem Lebensende seinen uneinträglichen Geschäften widmen zu können. Jedenfalls, wenn er alle wirklich wichtigen Besorgungen Jazz überließ. Auch die beiden Enduros hatte sie besorgt, mit denen uns wir gleich am nächsten Morgen die Gegend ansehen wollten. Hartmut war so begeistert über die Aufzieh-Taschenlampe aus dem Outdoor-Laden, die ich ihm mitgebracht hatte, dass er darauf bestand, die Maschinen gleich ansehen zu gehen. Viel geschlafen haben wir nicht in dieser Nacht, meines Jetlags wegen. So setzten wir uns noch mit einem übernächtigten Schweben in den Knochen bei Sonnenaufgang auf die Maschinen. Eine kleine Tour, um uns anzusehen, was es an der Küste Kenias an Tieren alles NICHT MEHR gab: keine Elefanten, keine Löwen… Dafür Affen und Zebras satt und Tausendfüßler, so lang wie ein Unterarm, die selbst bei vierundvierzig Grad im Schatten mit ihren Innereien das schönste Aquaplaning unter die Reifen schmierten, wenn man sie in einer Kurve übersah. Dabei waren die großen gar nicht mal das Problem. Das merkte ich, als Jazz bei all ihrer Schwärze plötzlich blass wurde, als ich einen von den Kleineren von der Hose schnippte. Beim letzten Mal, als sie einen solchen Tausendfüßler berührt hatte, war ihr der Arm bis zum Ellenbogen angeschwollen. Ich begriff, ich musste langsamer werden.
Von der Hetze, die ich auf dieser Reise überall vorfand, wo früher noch sowas wie eine angewandte Gemächlichkeit geherrscht hatte, war ich einfach mit fortgespült worden. So stieg ich in Zukunft behutsamer vom Tuk-Tuk, um die Schlangen nicht zu erschrecken, damit sie ihr Gift für die Hühner aufbewahrten, wechselte von der Enduro zum Mountainbike, damit ich das Schlagloch in meinen Träumen loswurde, dem ich nicht mehr ausweichen konnte, und schaute mir jetzt genauer an, was ich von der Hose schnippte. Ich nahm mir Hartmut zum Vorbild, in dem sich die alte afrikanische Bedächtigkeit angesammelt zu haben schien, die den Afrikanern selbst abhanden gekommen war. So tuckerten, Tuk-Tuk-erten wir zusammen nach Mombasa, zu einer seiner sogenannten „Geschäfts-Fahrten“, die ausschließlich darin bestanden, in der Altstadt zu sitzen und mit ein paar Greisen brennend heißen Tee zu schlürfen. Ich mag die Altstadt. Sie ist wahrscheinlich der Ort in Kenia, an dem die Leute dich am wenigsten verfolgen, um dir irgendwas zu verkaufen: einschließlich ihrer selbst. Die Halb-Hure Aylin, die mich im Zentrum aufgegabelt und trotz meines Sträubens als Kunden auserkoren hatte, brauchte eine ganze Zeit, bis sie begriff, dass ich nicht nach Frauen Ausschau hielt. So schwenkte sie auf Fremdenführerin um, und war eine gute Fremdenführerin. Sie war es, die mir die schönsten und am wenigsten vom Nepp überkrusteten Orte der Stadt zeigte. Der Nepp und die Korruption haben inzwischen das ganze Land in den Fängen. Nie werde ich den Polizisten vergessen, der mir gleich nach der Ankunft auf der Fähre gegenüber stand, mich fest ins Auge fasste und fast unhörbar vor sich hin murmelte: „Ich hab Hunger.“ Was blieb mir übrig, als etwas springen zu lassen? Weiß der Teufel, was passiert wäre, wenn ich mich dumm gestellt hätte.

Für Peter.

11. Juni 2013 07:23