Hendrik Rost

Vom Pferd erzählen

Die Geschichten, Liebste, die du erlebt hast,
die ganze Last der Geschichten, die du
zu erzählen hast, sie machen die alt.
Das Leben, Liebste, kommt kaum über
ein kraftloses Weißt-du-noch hinaus.

Das gesammelte Gewicht aller Geschichten,
und es liegt mir schwer auf der Zunge,
Liebste. Es macht mich müde, mein Leben
als Fiktion. Was für ein Übermut, überhaupt
aufzustehen. Und doch, erlebt ist erlebt –

lange Spaziergänge mit dem Schweinehund,
die Wohnung, zugemüllt mit lauter Plänen,
wie ich verliebt war, nur nicht wusste, in wen.
Das, Liebste, sind Geschichten, ein Leben
lang erstunken, empfunden und erlogen.
Ich hab die Geschichten satt.

Verschon mich, Liebste, mit Geschichten,
wie du abgenommen hast, wie du spürst ­–
ich bin nicht mehr auf ewig jung. Es ändert
nichts an der Geschichte, was dir widerfährt,
ob du Gutes säst oder erntest, den Film
siehst oder selbst vor der Kamera stehst.

Ich kenne deine Geschichte, liebste Kassandra,
mit der du am Leben hängst und umgekehrt.
Ich erspar dir zum Dank die Sagen, die ich
in mir trage aus vielen Tausend Gerüchten
und Nachrichten – von Flucht und Städten
in Asche, leeren Geldbeuteln, Tod oder Teufel.

Lass die Geschichten ruhen. Erzähl nicht
von der Welt, die es nicht gibt. Wind weht
dir ins Gesicht und wispert, Liebste. Er sagt,
du bist frei oder nicht. Was du bist, hat ein
anderer an Bedeutung verloren. Keiner überlebt
in alten Geschichten. Hör auf, zu vernichten.

15. Juni 2014 10:32