Gerald Koll

Zazen-Sesshin (15)

Dreh und wende nichts, träume nicht hinab ins Dunkelnass der Sünden. Durch die Stille geht das dünne Pfeifen einer Nase. Der namenlose Mönch gibt zu verstehen, Nasenpfeifen verrate ein Schlummern, doch Schlummern sei nicht Meditieren, ganz im Gegenteil sei das Meditieren eine aufmerksame Wachheit. Mit einem Ruck hält er den Atem an, als gelte es, dringlich und mit allen Sinnen zu lauschen. Mit Sinnen und Kräften. Beide Arme krümmt er vor sich, die Hände zu Fäusten geballt, als würde er mit seinen Unterarmen einen Kübel umklammern. Nichts regt sich, nicht der kleinste Laut ist da, auch kein Nasenpfeifen mehr, und in die angespannte Stille schweigt der namenlose Mönch. Sein Schweigen umklammert die Sitzenden. Innerlich erregt, registriere ich die Lockerung, den Einsatz, den erneuten ersten, noch sehr leisen, fast versunkenen Pfiff, als streiche über eine seit hundert Jahren am Meeresgrunde salzig eingelegte Violine eine Strömung des Atlantiks. Ein letzter Klagelaut, das kleinste Requiem der Welt, ein Echo Lots.

15. April 2012 17:49