Gerald Koll

Zazen-Sesshin (3)

Das Schweigen im Zazen-Sesshin bedeutet, den Morgen sprachlos zu beginnen und den Tag ohne Gutenachtgruß zu beenden, obwohl der Schlafboden unter dem niedrigen Dach zu intimer Enge verpflichtet. Die Gaumensegel meiner Schlafnachbarin brechen nachts das Schweigegebot, ohne dass sie davon erführe.
Geschwiegen wird auch während der Mahlzeiten. Aber man verbeugt sich oft. Als Servierer bestimmt, verbeuge ich mich, bevor ich mich erhebe, bevor ich den Topf auf das Tablett stelle, bevor ich mit dem Tablett den Rundgang beginne, bevor ich die ersten beiden Sitzenden bediene, mich hinknie, Suppe schöpfe, aufstehe, nachdem ich die ersten beiden Sitzenden bedient habe, die nächsten und die übernächsten und die überübernächsten. Schweigend empfange ich die Instruktion des namenlosen Meisters mit Sprachlizenz, den Daumen nicht auf den Rand der Schale zu legen, zum Auffüllen der Schale beide Knie zu beugen, mit der Kelle nicht im Topf zu schaben, gleichwohl das Feste aus der Tiefe des Topfes zu fischen, das leichte Wischen der Hände des Sitzenden als Zeichen ausreichender Portion zu verstehen, den in der Schale ruhenden Löffel als Zeichen erfolgter Sättigung zu verstehen, nach dem Erheben einen dem Sitzenden zugewandten Seitwärtsschritt zu unternehmen, um dem Eindruck vorzubeugen, sich schnöde abzuwenden, was eine vorschnelle Rechtswendung misslich mit sich brächte. Gleichwohl gelte es, diesem Seitwärtsschritt die Dezenz der Absichtslosigkeit zu geben.
Speditive Einnahme der Nahrung als Medizin. Schweigend werden wir Bauchredner. Die Vorhut der Rebellion?

22. Januar 2012 18:59