Hans Thill

Das heisse Fleisch der Wörter

JOSÉ MARIA DE HEREDIA

Die Kentaurin

Einst schweifte zahllos die Kentaurenschar
durch Bach und Wälder, über Fels und Schatten;
auf ihren Flanken spielten Licht und Schatten,
zu unserm blonden kam ihr schwarzes Haar.

Die Wiese blüht umsonst. Wir sind allein.
Die Höhle liegt verwuchert und verlassen,
und manchmal kann ich mich beim Zittern fassen,
wenn fern in heißer Nacht die Hengste schrein.

Denn jenen hohen Stamm von Wolkenkindern
sieht jeder Tag sich immer mehr vermindern,
da er von uns sich weg der Frau zukehrt.

Macht ihre Liebe selbst uns doch zu Tieren;
das uns entlockte Schreien ist ein Wiehern,
und nur als Stuten werden wir begehert.

Aus: Die Trophäen / herzlichen Dank an den Übersetzer Hanns Grössel

2. November 2009 18:33










Gerald Koll

novemberwinde
Palast der Republik, nach 1976

Palast der Republik, nach 1976

4. November 2009 12:09










Gerald Koll

mögliche gegenwärtige meditationen von claude lévi-strauss

über die äonen geologischer perioden, von denen die schichtungen der erde zeugnis ablegten: über die myriaden winziger entomologischer organischer lebewesen, die in den hohlräumen der erde, unter entfernbaren steinen, in bienenkörben und erdwällen verborgen waren, über mikroben, keime, bakterien, bazillen, spermatozoen: über die unberechenbaren trillionen von billionen von millionen unerkennbarer moleküle, die durch kohäsion molekularer affinität in einem einzigen stecknadelkopf enthalten waren: über das universum des menschlichen serums, bestirnt mit roten und weißen körperchen, ihrerseits selber universen leeren raums, bestirnt mit anderen körpern, davon ein jeder, in kontinuität, sein universum von teilbaren komponenten körpern, von denen wiederum jeder wiederum teilbar war in wiederum teilbare komponente körper, so dass sich denn dividend und divisor ohne eigentliche division immer mehr verminderten, bis schließlich, wenn die progression weit genug fortgeführt würde, nichts nirgends nie erreicht war.

james joyce, ulysses, in der übersetzung von hans wollschläger.

6. November 2009 19:09










Andreas H. Drescher

STUDIENBEGINN

Ich treibe durch die Stadt. Eiliger durch unbegangene Straßen. Südstadt. Hier gelingt das Schlendern wieder. Dann ist die Aufgabe da, die Passanten gründlich anzusehen. Das ruft Unmut auf. Niemand will sich im Blick des allein Gehenden finden. So verlege ich meine Aufgabe ins Akustische und werde zum Heraldiker der abgerissenen Gesprächsfahnen, die an mir vorüberwehen. Breiter werde ich im Sammeln. Blasonierungen. Ein Bär greift von einem Greifen seinen Krummstab ab. Kugeln ohne Tinkturen. Löwe und Maulwurf tauschen einen Wulst aus. Schuppenschnitt, Wellenschnitt, Dornenschnitt. Aus ihren Schraffierungen treten Figuren. Die Wappen der Damen haben Rautenform. Nacht tüpfelt sie mit kleinen, schwarzen Punkten. Der Austausch von sechszackigen Sternen gegen drei Schindeln. Meine Freude an dieser Sammlung steigert sich bis zur heraldischen Benommenheit. Ich sehe mir beim Taumeln zu. Und ich bin nicht der einzige, der mir dabei zusieht. So verlasse ich das Große Quartier, bin mir nun selbst als eine Figur besät. Taumel als Schräggitter. Offene Netze. Wer mich ansieht, hält mich für betrunken. Die Verkleinerungsform des Umzugs ist die innere Einfassung. Trockene Blätter unter meinen Füßen. Die früheste Position des Heraldikers war hoch aufgerichtet, mit nur einer Pfote am Boden. Flanken sind die Seiten des Schildes, die abgetrennt sind. Kauerndes Tier. Mitren und Pfeile. Der Schlachtruf dekorativ über der Helmzier. Ein Renault. Ein Renault als Renault. In die Kneipen hier werden zum Herbstfest die trockenen Blätter eingekehrt. Knisternd hinterdrein. Um der inneren die äußere Betrunkenheit hinzuzufügen. Die sichere Aufmerksamkeit der schwarzen Punkte.
Nacht.

(Für Thorsten)

7. November 2009 10:29










Björn Kiehne

Vorwort

Wohin du willst, frage ich,
und baue dir schüchtern
einen Raum aus Schweigen.

Du flüsterst:
Phanerozoikum,
keine Gedanken am Horizont,
Proterozoikum,
keine Ichschlieren auf den Wellen,
Archaikum,
keine Nebel über dem Wasser,
Hadaikum,
in den Raum vor den Urknall.

Ich zögere, setze erneut an,
doch deine Augen bitten:

Jetzt keine Worte,
die Stille singt so schön.

7. November 2009 13:59










Hans Thill

Das heisse Fleisch der Wörter

JOSÉ MARIA DE HEREDIA

Lupercus
M. Val. Martialis Lib. 1, Epigr. 118

Lupercus sprach sobald er mich erblickte:
»Dein neues Epigramm ist eine Zier;
wie wäre es, wenn jemand ich zu dir
nach allen Rollen deines Werkes schickte?«

– »Nein, denn dein Sklave hinkt, bedarf der Schonung:
Mein Haus liegt ganz im andern Teil der Stadt;
du wohnst am Palatin? Genau dort hat
Artrecus, mein Verleger, seine Wohnung.

Am Forum, im Geschäft, verkauft er viel:
Terenz und Phädrus, Plinius, Vergil, –
das Buch des Lebenden und die der Toten;

Dort wird – gewiß nicht an der letzten Wand! –
gebimst, in einem roten Band,
Martial für fünf Denare feilgeboten.«

Aus: Die Trophäen / herzlichen Dank an den Übersetzer Hanns Grössel

8. November 2009 12:50










Nikolai Vogel

Hallo

ist da wer?

8. November 2009 22:57










Sylvia Geist

Wiederfund (11): Die Metterling-Listen

„Der Verlag Feil & Söhne hat endlich den lang erwarteten ersten Band der Wäschelisten Metterlings (Die gesammelten Wäschelisten Hans Metterlings, Band I, 437 Seiten, XXXII Seiten Einleitung, Register, DM 39,50) mit dem fundierten Kommentar des bekannten Metterling-Schülers Günther Eisenbud veröffentlicht. Die Entscheidung, dieses Werk getrennt und vor Abschluß des gewaltigen vierbändigen Oeuvres herauszubringen, ist so erfreulich wie vernünftig, wird doch dieses eigensinnige und schillernde Buch im Nu die ekelhaften Gerüchte aus der Welt schaffen, Feil & Söhne wollten, nachdem sie mit den Romanen, dem Theaterstück und den Notizen, Tagebüchern und Briefen Metterlings guten Gewinn gemacht hätten, bloß versuchen, weiter Gold aus derselben Ader zu schlagen. Wie unrecht diese Intriganten hatten! Fürwahr, schon die erste Wäscheliste Metterlings

Liste Nr. 1
6 Unterhosen
4 Unterhemden
6 Paar blaue Socken
4 blaue Oberhemden
2 weiße Oberhemden
6 Taschentücher
Bitte nicht stärken!

macht uns auf vollkommene, geradezu totale Weise mit diesem geplagten Genie bekannt, das seinen Zeitgenossen als der „Irre von Prag“ ein Begriff war. (…)“

Und so geht es weiter in dem rororo-Bändchen 4574, das 1995 unter dem Titel Wie du dir, so ich mir einige Stories Woody Allens versammelte. Natürlich wagt sich Allen auch an diverse Projekte zur Sinnfindung und allgemeinen Daseinsorientierung, z.B. in Form eines Volkshochschulprogramms (Das Frühjahrsprogramm), in dessen Philosophiekursangebot es u.a. heißt: „Erkenntnislehre: Ist das Wissen wissbar? Wenn nicht, wie können wir das wissen?“ Ich kramte das Büchlein vor ein paar Tagen wieder heraus, übrigens nachdem mich ein Werbespot – „…das Große, die Dose, die Rose – mach´es zu deinem Projekt!“ – daran erinnert hatte.

Liste 2

9. November 2009 12:31










Hendrik Rost

Alte Meister

Auf den Wanderdünen der
Vielfalt sammelt sich Unruhe,
hinterm Horizont lodert Distanz.

Bei Gott ist das Wetter,
wenn es in den Augen hagelt
oder der Stress brandet.

Vieles kennt man durch Atmen,
zum Beispiel Umwege links
und rechts an Statuen vorbei,

ohne Körperkontakt mit sich selbst.
Wenn das Verbotene stört,
bedank dich bei den Verästelungen

der Imitation. Veduten aus Krisen-
zeiten wehen im Wind. Museen
sind der Kardinalfehler.

9. November 2009 19:23










Hans Thill

Das heisse Fleisch der Wörter

JOSÉ MARIA DE HEREDIA

Grabepigramm

Hier liegt die Grille, die zwei Jahre lang
die junge Helle, Fremder, aufgezogen
und deren Flügel zitternd unterm Bogen
des Zackenfußes in den Büschen sang.

Die Muse, ach! des Feldes und der Brache,
sie ist verstummt, die Leier der Natur;
geh schnell vorüber, Freund, laß keine Spur,
damit aus leichtem Schlaf sie nicht erwache.

Dort ist es. In den Strauß von Thymian
hat jüngst den weißen Grabstein man getan.
Wieviele Menschen mußten so nicht enden!

Von Kindestränen wird ihr Grab benäßt,
auf das die Morgenröte Weihespenden
von Tau in Tropfen niederrinnen läßt.

Aus: Die Trophäen / herzlichen Dank an den Übersetzer Hanns Grössel

12. November 2009 14:15










Andreas Louis Seyerlein

~

Ein Nachtfalter segelte durch mein Arbeitszimmer. Das Tier war so müde und so schwach, dass es nachgab und sich der Luft anvertraute. Kurz darauf saß der Falter auf dem Boden und ich hob ihn auf und setzte ihn behutsam an eine Wand. – Es ist jetzt kurz nach Mitternacht. Ein Paar Diodenlichter glühen zu mir herüber. Ob ich den Falter füttern sollte, über den Winter bringen? Er könnte vielleicht 250 Jahre alt, er könnte ein Lichtenbergfalter sein, der rasch bei mir zu Kräften kommen möchte. Ich notiere:

~ : louis
to : Mr. jonathan noe shapiro
subject : CONEY ISLAND

Mein lieber Shapiro, das müssen Sie wissen, ich bin glücklich, fühle mich leicht, alle Sorgen der vergangenen Wochen sind von mir gefallen, ein Mensch, der mir nahe ist, wird weiterleben. Wie schweren Zeiten, leichtere Zeiten folgen! Nun wieder ein angenehmes Arbeiten. Bin zu atlantischen Phänomenen zurückgekehrt, das Hörvermögen der Tiefseelefanten, natürlich, eine unendliche Geschichte. Habe darüber nachgedacht, ob es nicht vielleicht möglich sein könnte, dass Tiefseeelefanten über kleine, kaum noch sichtbare Ohren verfügen, die an ihren Rüsselspitzen gewachsen sind über Jahrmillionen ihres heimlichen Lebens hinweg, um hören zu können, was man spricht in der Trompetensprache jenseits des Wasser. So könnte ich weiterkommen in dieser Angelegenheit. Es ist nun beinahe sicher, dass ihre Herden bereits in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts vor Coney Island im Staate New York wahrgenommen worden sind. Ein Herr schrieb mir von Hand, seine geliebte Rose habe ihm, während eines Ausfluges an den Strand, von Erscheinungen erzählt, die alle unsere Vermutungen bestätigen. Ich füge, lieber Shapiro, meinem Brief eine Fotografie hinzu, die an genau jenem Tag der Beobachtung aufgenommen worden sein soll. Sieht sie nicht hinreißend unsterblich aus, Mrs. Rose, wie sie so sitzt und sich über das Tiefseeleuchten ihres Kopfes zu freuen scheint? – Ihr Louis, ihr Vogel.

gesendet am
14.11.2009
22.58 MESZ
1668 zeichen

atlantik
louis to jonathan
noe shapiro >>

16. November 2009 18:38










Martin Zingg

Vierzehnter November

Sass da, die Beine übereinander-
geschlagen, und nicht bereit zu sterben.

Jetzt ist alles wieder gut,
sagte mein Ohrenarzt, die Ablagerungen
der Zeit, in den Gängen, auf dem Trommelfell.

Was dachte er, was ich hören will oder muss,
ob alles gut wird wieder, leichtfertig war mein
Augenblick ja nie, was weiss ich,
ob es jetzt, ich meine, ob es nur noch an den Ohren liegt,
was weiss ich, was ich lieber hören muss.

18. November 2009 23:47










Andreas H. Drescher

DIE SCHWIERIGE WIRTIN 1

Vor dieser Nase schließt sich die Zeit

18. November 2009 23:56










Markus Stegmann

DIE SCHWIERIGE WIRTIN 2

Vor dieser Nase schließt sich die Zeit
wendet, wackelt, aber schliesst besser
mit jedem Tritt, denn formloser

20. November 2009 00:16










Hartmut Abendschein

Grundstudium Zufallshaiku

Nicht aber: Die literarischen Weblogs, die durchsetzt sind mit Beiträgen mit dem Charme zusammengekürzter Wikipediaartikel. Die Literaturwikipedianer. Die Reproduktion ohne Transformation.

Nebenbei, im Hof ist noch Licht: Halts Maul sonst twitter ich dir eine. Oder: Morgen gehn wir einen twittern. Undsoweiter. (Die Beispiele strukturalistischer Literaturanalysen im Grundstudium. Goethe mit Jakobson undsoweiter. „Es rappelt und dappelt …“ und so weiter)

Oder aber: um es in anderen, engeren Kleidern zu probieren: kann das literarische Weblog auch und prinzipiell als grossangelegtes Paratextkonstrukt bezeichnet werden; will man den Werkbegriff* erneuern, spräche man vielleicht von einem (je nach dem) komplexen Paratextwerk. Oder – kurz und durchaus im positiven Sinne: Parawerk. (Dabei geht es in den Kommentarsträngen wohl vor allem darum, zu zeigen, wer die feineren Äderchen hat. (-) (Wars nicht ein kleines, pochendes Äderchen an einer Schläfe? In Manns Tristan?)

Texttitelmemo: „so zu sagen“

(Und vielleicht: die Rückkopplungen einbinden. Mässig gebunden. Unregelmässig mässig. Hinweisen: auf Abschiedskarten zum Ausdrucken, bspw.)

Ein paar Proben:

Barocktapeten
Bilder von Insektenstichen oder
Dusch und Shampoospender

Oder:

ersatzhandlungen
entzündung unterm auge
getarnte bunker

(Letzteres schon als quasi-Haiku. Im Barthesschen Sinne. Mit Satori-Effekt. Überhaupt: Mehr arbeiten an einem ernstgemeinten Begriff der Peotik. hor.de/cat/peotik)

[notula nova 62]

* Edit: eine weitere, sehr brauchbare Definition, die wir jüngst in Innsbruck hörten: Ein Werk(ansatz) mit geplanter Unabgeschlossenheit …

20. November 2009 10:41










Andreas H. Drescher

DIE SCHWIERIGE WIRTIN 3

Vor dieser Nase schließt sich die Zeit,
wendet, wackelt, aber schliesst besser
mit jedem Tritt, denn formloser nie als
allerlang gekannt der Stockschnupfen

20. November 2009 11:17










Markus Stegmann

DIE SCHWIERIGE WIRTIN 4

Vor dieser Nase schließt sich die Zeit,
wendet, wackelt, aber schliesst besser
mit jedem Tritt, denn formloser nie als
allerlang gekannt der Stockschnupfen
geparkter Schatten deiner Matratze

21. November 2009 01:21










Andreas H. Drescher

DIE SCHWIERIGE WIRTIN 5

Vor dieser Nase schließt sich die Zeit,
wendet, wackelt, aber schliesst besser
mit jedem Tritt, denn formloser nie als
allerlang gekannt der Stockschnupfen
geparkter Schatten deiner Matratze:
aufgeschütteltundwiederaufgeschüttelt.
Außen-Histamin mobilster Milben aus

21. November 2009 12:09










Markus Stegmann

DIE SCHWIERIGE WIRTIN 6

Vor dieser Nase schließt sich die Zeit,
wendet, wackelt, aber schliesst besser
mit jedem Tritt, denn formloser nie als
allerlang gekannt der Stockschnupfen
geparkter Schatten deiner Matratze:
aufgeschütteltundwiederaufgeschüttelt.
Außen-Histamin mobilster Milben aus
Pakistan oder wars BALKAN schrie ein
Zorn aus modernen

21. November 2009 13:37










Andreas H. Drescher

DIE SCHWIERIGE WIRTIN 7

Vor dieser Nase schließt sich die Zeit,
wendet, wackelt, aber schliesst besser
mit jedem Tritt, denn formloser nie als
allerlang gekannt der Stockschnupfen
geparkter Schatten deiner Matratze:
aufgeschütteltundwiederaufgeschüttelt.
Außen-Histamin mobilster Milben aus
Pakistan oder wars BALKAN schrie ein
Zorn aus modernen Nato-Märchen oder
warns Nasen-Märchen? Hölzern schniefst

21. November 2009 15:28










Markus Stegmann

DIE SCHWIERIGE WIRTIN 8

Vor dieser Nase schließt sich die Zeit,
wendet, wackelt, aber schliesst besser
mit jedem Tritt, denn formloser nie als
allerlang gekannt der Stockschnupfen
geparkter Schatten deiner Matratze:
aufgeschütteltundwiederaufgeschüttelt.
Außen-Histamin mobilster Milben aus
Pakistan oder wars BALKAN schrie ein
Zorn aus modernen Nato-Märchen oder
warns Nasen-Märchen? Hölzern schniefst
du übers Parkett, aber der Augensack
wog schwerer

21. November 2009 19:30










Andreas H. Drescher

DIE SCHWIERIGE WIRTIN 9

Vor dieser Nase schließt sich die Zeit,
wendet, wackelt, aber schliesst besser
mit jedem Tritt, denn formloser nie als
allerlang gekannt der Stockschnupfen
geparkter Schatten deiner Matratze:
aufgeschütteltundwiederaufgeschüttelt.
Außen-Histamin mobilster Milben aus
Pakistan oder wars BALKAN schrie ein
Zorn aus modernen Nato-Märchen oder
warns Nasen-Märchen? Hölzern schniefst
du übers Parkett, aber der Augensack
wog schwerer, weit schwerer noch als
diese verkehrten Federkerne, die du

23. November 2009 11:17










Marjana Gaponenko

Piotr IV

(Der Hut)

Es fängt damit an: du hörst auf die Tage zu zählen.
Ob es schneit oder nicht, ist dir gleich, denn du wanderst umher,
die Augen geöffnet geschlossen, und nach nichts ist dir weh
und nach allem. Leichtfüßig betrittst du den Baum, seine Brust
und fällst seufzend heraus aus den Schränken der Leute
die du nicht kennst, lüftest höflich den Hut, einen fremden;
nur dass er lebte, so wie sein Herr, rührt dich. Du sagst:
er ging in den Gärten, fuhr über Blumen
rollte über Alleen, flog mal hoch und mal tief
unter dem kühlen Gewölbe,
über den Kuppeln der Welt.

Ja, er ritt auf rotem Geläut über allen, auch über dir,
als Tränen dich schnitten in Scheiben, so fein
dass du nicht mehr wusstest, ob es schneite
oder ob du bloß traurig warst.

23. November 2009 15:22










Nikolai Vogel

oder die Computerstimmen in den Zügen

Wer ist es, der einen da willkommen heißt?

23. November 2009 16:12










Markus Stegmann

DIE SCHWIERIGE WIRTIN 10

Vor dieser Nase schließt sich die Zeit,
wendet, wackelt, aber schliesst besser
mit jedem Tritt, denn formloser nie als
allerlang gekannt der Stockschnupfen
geparkter Schatten deiner Matratze:
aufgeschütteltundwiederaufgeschüttelt.
Außen-Histamin mobilster Milben aus
Pakistan oder wars BALKAN schrie ein
Zorn aus modernen Nato-Märchen oder
warns Nasen-Märchen? Hölzern schniefst
du übers Parkett, aber der Augensack
wog schwerer, weit schwerer noch als
diese verkehrten Federkerne, die du
immer im Gramm bei dir hattest, aber sag,
wo ist deine Stirn, deine

23. November 2009 22:17










Andreas H. Drescher

DIE SCHWIERIGE WIRTIN 11

Vor dieser Nase schließt sich die Zeit,
wendet, wackelt, aber schliesst besser
mit jedem Tritt, denn formloser nie als
allerlang gekannt der Stockschnupfen
geparkter Schatten deiner Matratze:
aufgeschütteltundwiederaufgeschüttelt.
Außen-Histamin mobilster Milben aus
Pakistan oder wars BALKAN schrie ein
Zorn aus modernen Nato-Märchen oder
warns Nasen-Märchen? Hölzern schniefst
du übers Parkett, aber der Augensack
wog schwerer, weit schwerer noch als
diese verkehrten Federkerne, die du
immer im Gramm bei dir hattest, aber sag,
wo ist deine Stirn, deine grame Gramm-
Stirn denn nur hin? Hat sie sich verfe-
dert oder verfediet?

23. November 2009 23:12










Markus Stegmann

DIE SCHWIERIGE WIRTIN 12

Vor dieser Nase schließt sich die Zeit,
wendet, wackelt, aber schliesst besser
mit jedem Tritt, denn formloser nie als
allerlang gekannt der Stockschnupfen
geparkter Schatten deiner Matratze:
aufgeschütteltundwiederaufgeschüttelt.
Außen-Histamin mobilster Milben aus
Pakistan oder wars BALKAN schrie ein
Zorn aus modernen Nato-Märchen oder
warns Nasen-Märchen? Hölzern schniefst
du übers Parkett, aber der Augensack
wog schwerer, weit schwerer noch als
diese verkehrten Federkerne, die du
immer im Gramm bei dir hattest, aber sag,
wo ist deine Stirn, deine grame Gramm-
Stirn denn nur hin? Hat sich sich verfe-
dert oder verfediet? Sachte, Ballast,
wieviel Abraham, Moldau, Mandelringe
kostet der Abrieb alter Pupillen?

23. November 2009 23:25










Andreas H. Drescher

DIE SCHWIERIGE WIRTIN 12

Vor dieser Nase schließt sich die Zeit,
wendet, wackelt, aber schliesst besser
mit jedem Tritt, denn formloser nie als
allerlang gekannt der Stockschnupfen
geparkter Schatten deiner Matratze:
aufgeschütteltundwiederaufgeschüttelt.
Außen-Histamin mobilster Milben aus
Pakistan oder wars BALKAN schrie ein
Zorn aus modernen Nato-Märchen oder
warns Nasen-Märchen? Hölzern schniefst
du übers Parkett, aber der Augensack
wog schwerer, weit schwerer noch als
diese verkehrten Federkerne, die du
immer im Gramm bei dir hattest, aber sag,
wo ist deine Stirn, deine grame Gramm-
Stirn denn nur hin? Hat sie sich verfe-
dert oder verfediet? Sachte, Ballast,
wieviel Abraham, Moldau, Mandelringe
kostet der Abrieb alter Pupillen?

25. November 2009 10:34










Hendrik Rost

Zufallshaiku

Gott ist in allem
Beispiele beweisen nichts
Demut und Kampfgeist

25. November 2009 14:53










Sylvia Geist

„Mannheimer Bestandsaufnahme“…

… nennt Florian Slotawa sein bislang wohl umfangreichstes und umfassendstes Kunstwerk. Dazu listete er sämtliche Gegenstände seines Besitzes auf und fotographierte sie. Und trennte sich dann davon, um die Dinge auf Reisen zu schicken: „Das heißt, der Kühlschrank ist zuhause Kühlschrank, kommt ins Museum, wird zum Material für Skulptur, kommt wieder zurück nach Hause und wird weiterverwendet. Die Gegenstände zirkulieren zwischen Alltagsgebrauch und der Verwendung für Kunst.“
Ein Sammler wollte eine der Skulpturen kaufen, doch da die Gegenstände der „Mannheimer Bestandsaufnahme“ eine Einheit darstellen, kaufte er schließlich den gesamten Besitz Slotawas. Von diesen Dingen, die heute nur noch verpackt ausgestellt werden dürfen und demnach schon in ihrem „Kunstzustand“ im Lager einer Aachener Galerie schlummern, besitzt Slotawa lediglich noch Fotos. „So radikal ist das nicht. Meine Großeltern haben den Krieg überstanden, damals alles verloren und es auch überstanden. Ich denke, wenn man nicht bereit wäre, etwas Radikales zu machen, dürfte man eigentlich keine Kunst machen. Oder andersherum: Die Entscheidung, Kunst zu machen, ist an sich schon einmal eine radikale, und wenn man dazu nicht bereit ist, dann sollte man besser etwas anderes machen.“

Liste 3

25. November 2009 18:55










Andreas Louis Seyerlein

~

22.28 – Seit einigen Tagen denke ich, sobald ich lese, begeistert an Neurone, Synapsen, Axone, weil ich hörte, dass ich mittels Gedanken, die Anatomie meines Gehirns zu gestalten vermag. Vorhin, zum Beispiel, ich folgte der Ankunft eines Schiffes in New York im Jahre 1867, überlegte ich, was nun eigentlich geschieht in diesem Moment der Lektüre dort oben hinter meinen lesenden Augen, ob man verzeichnen könnte, wie für das Wort Mary, das in dem Buch immer wieder aufgerufen wird, frische Fädchen gezogen werden, indem sich das Wort nach und nach mit einer unheimlichen Geschichte verbindet. Oder der Regen, der Regen, was geschieht, wenn ich schlafend, Stunde um Stunde, Geräusche fallenden Wassers vernehme? In der vergangenen Nacht jedenfalls habe ich wieder einmal von Regenschirmtieren geträumt, sie scheinen sich fest eingeschrieben zu haben in meinen Kopf, vielleicht deshalb, weil ich sie schon einmal nachtwärts gedacht und einen kleinen Text notiert hatte, der wiederum in meinem Gehirn zu einem bleibenden Schatten geworden ist. Natürlich besuchte ich meinen Schattentext und erkannte ihn wieder. Trotzdem das Gefühl, Gedanken einer fernen Person wahrgenommen zu haben. Die Geschichte geht so: Von Regenschirmtieren geträumt. Die Luft im Traum war hell vom Wasser, und ich wunderte mich, wie ich so durch die Stadt ging, beide Hände frei, obwohl ich doch allein unter einem Schirm spazierte. Als ich an einer Ampel warten musste, betrachtete ich meinen Regenschirm genauer und ich staunte, nie zuvor hatte ich eine Erfindung dieser Art zu Gesicht bekommen. Ich konnte dunkle Haut erkennen, die zwischen bleich schimmernden Knochen aufgespannt war, Haut, ja, die Flughaut der Abendsegler. Sie war durchblutet und so dünn, dass die Rinnsale des abfließenden Regens deutlich zu sehen waren. In jener Minute, da ich meinen Schirm betrachtete, hatte ich den Eindruck, er würde sich mit einem weiteren Schirm unterhalten, der sich in nächster Nähe befand. Er vollzog leicht schaukelnde Bewegungen in einem Rhythmus, der dem Rhythmus des Nachbarschirms ähnelte. Dann wachte ich auf. Es regnete noch immer. Jetzt sitze ich seit bald einer halben Stunde mit einer Tasse Kaffee vor meinem Schreibtisch und überlege, wie mein geträumter Regenschirm sich in der Luft halten konnte. Ob er wohl über Augen verfügte und über ein Gehirn vielleicht und wo genau mochte dieses Gehirn in der Anatomie des schwebenden Schirms sich aufgehalten haben.

> particles

30. November 2009 13:48