Hans Thill

ELF – ELEVEN – ONZE

E lfen löschen Feuer
L ebewohl flüchtiger Efendi
F anatischer Ego Leugner

E lsewhere let each vote enjoy next
L azy earful velvet edges never edible
E llbow vandalism eat nuts earn latenings
V elocity eleven nurses elevated like e-cattle
E lephant nutrition each little ego vomits
N obody enables laughter elder vegetables´ eyeball

O h nains zélandais écoutez
N os zélotes élégies osseuses
Z izanie entendue opération nocturne
E ntité obscure nature zigzagante

3. Januar 2011 00:03










Mirko Bonné

Luftmacumba

Außer Sicht? Ja und wenn?
Sieh den Vogel – ihn erreich!
Emily Dickinson

1

Das Schöne an dem Turm in Rio,
den Zauber davon in alledem Elend
von Luxus, brachten die Vögel mir bei.
Blickte ich nur lange aufs Betonmeer
von Ipanema im weißen Dunst, dann
weiter ostwärts auf die wirkliche See,
segelten über die Hotels Fregattvögel
lautlos schwarz. In ihrer ausgemergelt
anmutenden Riesigkeit voll Gleichmut,
kreisten sie in weithin zerdehnten Pulks
über der Favela am Hügel von Cantagalo.
Als er sie beschrieb, stellte sich Whitman
Segler vor, Schluss mit dem Kompass –
Schluss mit den Karten, Schiff der Luft,
und über der Bucht, an Bord der Fähre
nach Niterói, wo Passagiermaschinen
zehn Meter überm Wasser zur Piste
des alten Flughafens sinken, sah ich
in löchriger Thermik zwischen den Jets
schwarze Rümpfe und Segel hingleiten,
eine prähistorische Keilschrift vom Fliegen,
langsam wie die Zeit über den Ozean streicht.

*

3. Januar 2011 10:24










Markus Stegmann

Weder befolgtes Licht golden

Mit aufgefächerten Flügeln drehende Wolken sich wahrscheinlicher als denken im Schnee

Nominal „Haar“ buchstabiert das Gesicht, und jeder Schein leuchtet als schweifender

Schleifen, die gleichen Sibirien, geht Märzlicht entgegnete Augen, aber flackernder

Hängen Kannen als Nebelöfen auswandern Matten manövrieren mit Waffeltaschen

Noch eines, das bröckelt, bittet, bevor weder befolgtes Licht golden abblättert noch

Zu „Ohne Titel“, 2008, Öl/Leinwand, 220 x 200 cm, von Klodin Erb

5. Januar 2011 21:59










Sylvia Geist

Wiederfund (13): Die Freude

„Oft geht er hinunter zum Garten, dort ist er für sich. Zwar heißt es, er habe durchaus rauh spielen können, doch oft zieht er sich zurück, und der Garten macht dem Kind die Flucht leicht. Nimm die Rike mit, ruft die Mutter. Manchmal gelingt es ihm, ohne die Schwester fortzukommen. Muß er Rike mitnehmen, zieht er sie in einem Wägelchen hinter sich her. Er spielt Pferd oder Reiter oder Postmeister. Er redet auf Rike ein, ohne eine Antwort zu erwarten. Irgend jemand wird damals schon festgestellt haben, daß er mundfertig sei. Einmal galoppiert er, dann wieder schleicht er, als sei er ein alter Mann. Die Leute kennen ihn alle, den Buben vom Gok, dem Bürgermeister.
(…) Er schlägt mit einem Stecken die hohen Halme, verbirgt sich hinter einer Uferweide, ruft wie ein Totenvogel, was die Rike ängstlich macht. Sei schtill, bleib hocke, i ben ja do.
Er ist da, erzählt Geschichten, legt sich auf den Rücken, phantasiert Wolkenfiguren, mitunter ist es so spannend, daß die kleine Schwester eine Weile zuhört. So liegt er oft. Erst sieht er nur den Himmel, dann „das Gebirg“, den Albtrauf, den Jusi, den Neuffen und die Teck, dann die Stadt, die Kirche auf dem Fels, darunter die verrutschte Zeile der Häuser, das Neckartor, die Brücke: von dort ist er gekommen.
An diese Tage wird er sich erinnern, vor allem, wenn er heimkommt, ratlos, „ohne Geschäft“, und es wird nicht die Heldenerinnerung sein, „da ich ein Knabe war“, sondern der Drang „heimzugehn, wo bekannt blühende Wege mir sind, / Dort zu besuchen das Land und die schönen Tale des Neckars-.“ „Törig red ich. Es ist die Freude.“
Die Freude? Etwas wiederzufinden (…), eine Umgebung und Menschen, die sein Gedächtnis fassen kann, auch wenn es das Kind anders erlebte.“

Er habe dieses Kind erfinden müssen, schreibt Peter Härtling*. Heute hätte man ein Bündel Fotografien, die Hölderlins und die Goks hätten sicher wie andere Familien ihre Chronik fotografiert. „Der Kleine, der Allerkleinste, da in der Ecke, das warst du. Und der Mann lacht und wundert sich der alten Mutter zuliebe“, stellt sich Härtling eine in die Jetztzeit gerückte Familienszene vor.
In seinem Bemühen, „auf Wirklichkeiten zu stoßen“, belichtet er jedes Bild doppelt: den Schweizer Hof zum Beispiel, den der Autor als Hölderlin-Schule kennt, ein Gebäude, das nicht mehr dem gleicht, was als „stattliches Anwesen, mit landwirtschaftlichen Gebäuden und Kellern“ beschrieben wird, den Grasgarten, zu dem er zwar den Weg kennt, „die Neckarsteige hinunter, doch schon das Tor ist nicht mehr da und auch die Brücke hat anders ausgesehen.“ Er hält sich beim Queren der Zeiten an Lektüren fest und baut den Brückenkopf auf die Differenz der Erfahrung: „Wenn er Entfernung denkt, denkt er sie anders als ich; er denkt sie als Wanderer, als Reiter, oder als Passagier einer Pferdekutsche.“
Es sind solche Momente der zugewandten Distanz, die jene der Annäherung glaubhaft machen und auch den Leser hineinfinden lassen in die vorgestellte Kindheit, die so anders gewesen sein muss, dass Attribute wie „strenger“, „gefährlicher“ oder auch „reicher“ wieder nur auf ihn, diesen heutigen Leser, verweisen. Wenn Härtling in seinem Bild des Jungen, den seine Familie vielleicht Fritz nannte, trotzdem auf Wirklichkeiten stößt, liegt das daran, dass es vieles gibt, das man sich in der eigenen, von dort aus gesehen anderen, Umgebung nur als unveränderlich vorstellen kann, Lebensäußerungen wie Freude oder deren zeitweiligen Begleiter Übermut etwa, und dann stellt sich ein, wovon man liest:

„Die Mutter sitzt an einem der Fenster zur Neckarsteige, es ist fast ein Hochsitz, und schaut hinunter auf die Häuser an der Stadtmauer, aufs Neckartor. Es gefällt ihr, wie die Ochsenfuhrwerke sich den Buckel hinaufmühen müssen. Sie kann die Rufe der Bauern hören, das Knattern der Räder auf den Steinen. Oft sitzt ihre Mutter, die Großmutter Heyn, bei ihr. Eine Magd stößt den Fritz in die Stube, er ist erhitzt und betreten, doch seine Augen triumphieren. Er habe Maikäfer auf die Mägde losgelassen. Die seien vor Angst außer sich gewesen und der Lausbub habe noch gejubelt. Die Großmutter will für einen Augenblick lachen, sie verbietet es sich, denn ihre Tochter bleibt ernst und tadelt den Buben: Du hast den merkwürdigsten Unfug im Kopf, kannst du es nicht bleiben lassen? Soll ich es dem Vater sagen? Er schüttelt den Kopf, erwidert: Sie dürfen mir nichts tun, es ist die Freude, ganz einfach die Freude.“

*“Hölderlin“, in: „Ein Schriftsteller schreibt ein Buch. Dichter über Dichter und Dichtung“, herausgegeben von Gerhard Köpf, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main 1984

10. Januar 2011 14:21










Mirko Bonné

Luftmacumba

2

Leises Gezisch aus einer kleinen gelben
irrtümlich gelandeten Mongolfière, wenn
Gas in den Tank des Taxis gepresst wird,
das mich durch die unheilvolle Nacht fuhr.
Mit den Augen der Blattschneiderameisen
rollten Omnibuskolonnen aus dem Centro
nach Botafogo, Flamengo und Cantagalo,
hinter Scheiben dunkle Gesichter, kaum
Brillen, Zeitschriften, Unterhaltung. Müde
von Tag und Wärme, bereitwillig bewegt,
leert sich um Mitternacht Rio und landen
auf der Lagune hinter Leblon die Reiher,
um in der sicheren Dunkelheit zu fischen.
Den Kopf in die Nacht gereckt schluckend,
stehen sie einbeinig im Wasser da, träumen
unter den ausgebreiteten Armen des Jesus
auf dem Corcovado, das Evangelium hätte
noch gar nicht begonnen, und schlafen so
satt irgendwann ein. Und auch ich schlief,
Gesichter, die mich verlachten als Baron,
als Barão da Torre, rollten in Kolonnen
hoch oben im Turm durch den Traum.

*

10. Januar 2011 21:16










Marjana Gaponenko

Der Teeziegel

(Kanton-Amsterdam 1785)

Eines Nachts trittst du an Deck.
Plötzlich weißt du:
die Sterne sind Sommersprossen.
Plötzlich siehst du nichts mehr,
nur dass du kleiner bist,
so viel kleiner als sie.

Kaufmann aus Holland,
der Himmel salzt zwar alles zu,
doch nicht die Angst
nicht mehr zu sein.
Sie blieb von dir zurück
und noch ein Ziegel Tee
so viele Nächte später.

Dass er, aus Staub gemacht,
noch nicht zerfiel,
sei dir und mir ein Trost,
mein Freund.

11. Januar 2011 00:14










Andreas Louis Seyerlein

~

22.01 – Knisternde Kälte. Dompfaffen, Rotkehlchen, Grünfinken hängen, zwitschernde Trauben, an Futterbällen im Garten über Schnee. Ich hatte, in dem ich sie beobachtete, die Idee, dass mir bald einmal reflektierende Zellschichten in den Augenhöhlen wachsen könnten, tapetum cellulosum lucidum, hinter den Glaskörpern hinter den Pupillen, Katzenaugenhäute, nicht von der Beobachtung der Natur da draußen im Garten, sondern vom Lesen der Wikileaks – Irak – Protokolle : IED EXPLOSION IN BAGHDAD (ZONE X) 2004-01-14 18:40:00 – IP X REPORTED THAT A GREY X EXPLODED IN A RESIDENTIAL AREA. IPS AND X ELEMENTS WENT TO THE SITE AND FOUND THE EXPLODED CAR. X BROTHERS AND THEIR X CLAIMED THAT SOMEONE ELSE MUST HAVE PUT THE EXPLOSIVES IN THEIR CAR. IZ EOD BELIEVES AN IED WENT OFF PREMATURELY. – UPDATE: DETAINED THE X BROTHERS AND HAVE COORDINATED TO HAVE THE BOMB DOGS GO TO THE HOUSE LATER TODAY. IED TRACKING NUMBER IS X. stop. stop. 390136 Dokumente. stop. Nehmen wir einmal an, ich versuchte Tag für Tag 100 dieser Texte zu lesen und nachzufühlen, was sie bedeuten könnten, Particles, die von Bombenanschlägen, Scharfschützen, Enthauptungen, Feuergefechten, Entführungen berichten, dann würde ich längere als zehn Jahre Zeit in dieser Arbeit verbringen. Inwiefern würde sich bald die Gestalt meines Gehirnes verändert haben, meine Sprache, welcherart wären die Geschichten, die ich noch erzählte?

> particles

22. Januar 2011 10:44










Sylvia Geist

Shangri-La in Steveston

Man könnte so bleiben, im Schoß
die Hände ornamental, um das Leben
des Tischs nicht zu stören, das Wachstuch,
denn es wachsen Buschwindröschen
darüber und Ringelblumen im Quadrat.
Ein Schafgarbenbonsai blüht auf
der Dose für raffinierten Zucker, „Melissa“
sagt die andere zum Kandis. Der Raum
ist ein Kraut, mild und wild

mit den Kelchen seiner Sammeltassen
und persischen Teppiche aus Taiwan,
seine ganze fadenscheinige Unscheinbarkeit
entzieht dem Gedächtnis die Entzündung,
die frisch gekalkten Schlafbaracken für die
Arbeiter der Konservenfabrik, den Jungen
mit Sepiahaut, ausgestreckt auf einem Bett
aus Lachs. Die Narben im Gesicht der kleinen
runden Frau an der Kaffeemaschine

verewigen ihre Jugend, und ebenso lange
möchte man auf sie warten, um sie wieder
und wieder lächeln zu machen mit nichts
als Anwesenheit. Kutter gleiten stumm durch
das Gras, ein guter Augenblick zu stranden,
alles vergangen sein zu lassen, auch ihn, deshalb
vergeht er: Ein Gatter knarrt. Bald siebzig Jahre
nach Murakamis Internierung erntet man
in seinem Garten Bohnen.

24. Januar 2011 13:37










Mirko Bonné

Luftmacumba

3

Auch von Blattschneiderameisen träumte ich,
aber kein Mandelbaumblatt, sondern ein Auge,
ein zerlegtes Vogelauge schleppte der Staat
über den Uferweg zu einem Nachtparkplatz
an der Lagune – Augenschneiderameisen.
„Fogo!“, rief es von Fenster zu Fenster, da
Botafogo spielte gegen Flamengo oder
Fluminense. Um mich herum, hin und
her wälzte ich mich im Schlaf, bis ich
zerstoßen, zerstückt morgens aufstand,
eine halbe Papaya verschlang und hinab
mit dem Lift in den sonnendurchfluteten
Tag rannte bis zum Strand am Atlantik.
Dort sah ich über den hereinrollenden
grünen Brechern, wie zwei Kormorane
zwischen Wellenreitern umherstoben,
gleichauf mit Wellen und mit Reitern
blickten sie immerfort ins Wasser, bis
es sie hinunterstürzte, sie eintauchten
und im Meer verschwanden, um schon,
war die Woge vorüber, emporzuschießen,
den Fisch im Bauch und die Freude fühlbar.

*

24. Januar 2011 20:43










Markus Stegmann

hinaussah

mit um herum gewickeltem haar
zwei kilometer heran einen
wagen brote schob magern arme
die knie und warfen
um herum gewickeltes haar
als bandagierten leib als
nichts mehr hinaussah
kamen sie an

24. Januar 2011 23:54










Markus Stegmann

bulaq

augen in händen herzen in steinen die sie greifen konnten die kleineren kleinsten rücklings entbehrten brote als kastenwagen dazwischen rannten sie rasch und alle anderen schwanden am ende der autobahnen wie sie dort einbogen und wieder umrundeten den platz wo sie austraten schnellten abgedunkelte dem plötzlich gereinigten sprechen entgegen und warm wärmer erfüllte lungen drängten immer häufiger als atem die folge des tages war

27. Januar 2011 00:03










Hendrik Rost

Ex negativo

Wenn mein Vater eine Meinung
vertritt, frage ich mich, was
soll das? Er bekommt ja nicht
einmal Geld dafür.

Mein Vater gehört zu den weißen
Jahrgängen. Den Krieg hat er
als Junge erlebt. Flucht
war ein Kinderspiel.

Mein Vater hat kein Parteibuch
mehr. Seine Firma sitzt jetzt
in Osteuropa. Zu Silvester
wünsche ich ihm viel Erfolg.

Ich meine damit: Bleib, Vater,
flüchtig, sag mir etwas, das ich
ablehnen kann, ich bin dein
Produkt. Du hast überlebt.

28. Januar 2011 09:58










Markus Stegmann

Al Tahrir

flanken sie
schneller sie fl
mun m
mohn sie
schl v
verfängt wurf ver
schl
gno losen leib
bricht bl
macht
mal macht
der wandlosen s flamm
dies verl
vorn
vorn von formlosen
knie kno
kl
f
treiben d
am
lehn
rückl kopf
sinkt erl
längs dein
bl

30. Januar 2011 01:45










Mirko Bonné

Luftmacumba

4

Ein Fink, ein sehr großer gelber, kam
am Mittag im 13. Stock an mein Fenster,
ein schönes Tier, wie ich es einmal erst
in einer Fernsehdoku über die Zerrüttung
Darwins angesichts von achtundzwanzig
Finkenarten verstreut auf achtundzwanzig
kleine Nachbarinseln sah. Er lugte herein
in meinen Turmausguck und hatte, wieso
weiß ich nicht, Emily Dickinsons Augen.
Schon flatterte er weiter, schwirrte noch
zu den Kronen der Akazien hinab als ein
gelber Zauberpfeil aus dem Gedächtnis
und verlosch. Eine Zeitlang stöberte ich
zerstreut im Netz, las, erste Luftschiffer
der Mongolfière waren ein Hahn, eine
Ente und ein Hammel, rätselte, ob sie
im Topf gelandet waren, und sah dabei
zwanghaft auf das Meer, zur Wäsche,
die in der Sonne die Türme beflaggte.
Ich rannte hinaus, hörte in Cantagalo
Hähne zur Macumba krähen und lief,
dass es war wie Luft durch eine Lunge.

Für Johannes Kretschmer

*

31. Januar 2011 22:34