Hans Thill

Lied der Waende

vezlay-grundriss2

Lied der Waende: Emmausjuenger
beim Schmaus darueber Christ Geburt
und Betung. Bernhard weckt das Kind
Nathan schimpft David einen Taeu-
fer da zeigt sich Magdalena
der Fuerstin von Provence Samson
schmeisst den Loewen Maenner essen
Reben. Drache mit Dame Apo-
kalypsepaar. Joseph und zwar
mit Frau Potiphar. Jakob wird
von Isaak geweiht. Peter und
Paul beten. Olifantenen-
gel. Antonius und Paulus
essen auch. Versuchung Bene-
dicti Kains Tod. Apostel
schreiben Reden auf Stein. Bauer
schneidet Brot. Einer friert einer
wirft den Rock ab. Wein wird geschnit-
ten. Einer huetet Schafe. Ein
Krieger stuetzt sich auf sein Schild. Ein
anderer maeht. Gaukler Hund Si-
rene. Schnitter. Bauer drischt sein
Korn. Bauer kippt es in die Hip-
pe. Ernte des Feldes. Bauer
sticht sein Schwein. Mann traegt alte Frau
auf Schultern. Mann haelt den Kelch mit
Wein. Omnibus in membris de-
signat decembris. Wein der Waen-
de. Blondine des Testaments
hier liegstu Stein und Estrich
decken Dich. Wir hueten Deine
Reste wie Nuesse aus dem Gar-
ten Jesse. Wir Inder mit dem
Hundekopf. Wir Rabenvoegel.
Wir Pygmaeen legen die Lei-
ter des Gebets ans Pferd. Fenster
der Nacktheit fliegen in den Him-
mel. Die leere Welt giesst sich aus
im schwarzen September Acht.

Par respect pour se site ne
pas se tenir aux grilles.
Hier haelt man sich nicht an Gittern:
Do Mi Si La Do Re. Haus des
Herrschers aller Noten. Lied
der Waende.

24. Mai 2009 17:24










Hans Thill

Der Barbar von Vézelay

vezelay11
Erinnert sich an eine Geschichte, in der eine fliegende Hand durchs Fenster kommt. Er ueberlegt, womit man so eine Hand fuettern koennte, doch daran erinnert er sich nicht

Er steht vor einem Haus, liest sein Fachwerk Balkenalphabet. Er befragt den Buchstaben e
denkt an den Reissnagel auf Perecs Schreibmaschine, er klappt das Buch zu wie Kublai Khan seinen Atlas

Der Sohn des Pharao wird von einem Racheengel getoetet. Moses und das goldene Kalb. Angreifende Elefanten

Er denkt an die verschiedenen Formen des Fallens, zaehlt sie auf. Aus der Autotuer, dem davonrollenden Pfirsich hinterher. Die Stufen eines Podiums hinauf, einen uebergrossen Blumenstrauss in den Haenden, im Begriff, eine Festrede zu halten. Kinder im Arm, alt und mit einem Kopftuch. Die Wolken fallen der Sonne entgegen. Graeber fallen den Himmel hinauf usw

Er liest, fuehrt ein Selbstgespraech korrigiert gesagte Dummheiten, schaemt sich fuer Vergangenes. Er denkt den Satz: Das geht mir nach. Tröstend die getunkte Magdalena aus einem eigenen Gedicht

13. Mai 2009 16:03










Hans Thill

Der Barbar von Vézelay

vezelay11

Liest Hinweisschilder als Befehle. Staedte waeren Brunnen, Doerfer haetten einen heiligen Schaedel. Entfernungen sind Kombinationen eines Geheimdienstalphabets

Er hat eine Ahnung. Er beruehrt keinen Pilz, keine Schraube, keinen Strassennagel

Legende der heiligen Eugenia. Der Basilisk und die Heuschrecke. Das Begräbnis des hl. Paulus

Er sieht die Baeume welken, die Steine zerbrochen unter den Flechten, er weiss nicht, was das fuer ein Zeichen ist und ob er es befolgen soll. Er sieht in der Kirche einen dicken Mann singen, neben ihm eine maechtige Frau im schwarzen Haengekleid, die ploetzlich ebenfalls zu singen beginnt

Er sieht ein, das Wissen hat die Voelker traege gemacht. Es hat ihnen die Hosen gekuerzt, die Schenkel wurden fetter. Er sieht die Wissenden den Berg hochrennen mit wippenden Rucksaecken. Er vergisst in einer ungeheuren Anstrengung alles, was ihm eingepraegt wurde und wischt sich mit einer herrischen Geste die Nase aus dem Gesicht

2. Mai 2009 12:00










Hans Thill

Stele

Idea Vilariño
(1920 – 2009)

Gedicht Nummer 19

Ich möchte sterben. Ich möchte
Keine Glocken mehr hören.

Glocken – was für eine Metapher –
o Sirenengesänge
o Feenmärchen
Märchenonkel – gehen wir.

Ich will einfach keine
will einfach keine Glocken mehr hören.

(eigene Übersetzung)

29. April 2009 23:30










Hans Thill

Der Barbar von Vézelay

vezelay11

Liest jetzt ein anderes Buch, das ihn langweilt, aber voll von Woertern ist, aus denen etwas wachsen moechte. Er sieht neun Gesichter mit jedem Auge und im linken noch als gruenen Fleck den Rest eines Insekts. Er sagt sich, er gehe durch einen Traum, aber es ist nur das langweilige Buch mit den wachsenden Namen, das ihn aengstigt

Er hat eine Ahnung. Er beruehrt kein Kabel, keine Ader, keine Wasserleitung. Ein Sonnenstrahl macht noch keine Wueste. Eine Luft macht noch keinen Hurrikan

Die Befreiung des hl. Petrus. Der Kampf des Guten mit dem Boesen (Kopie). Die Hinrichtung von Sauls Moerdern

Er findet eine Tastatur fuer lange Saetze, Komma und Semikolon sind leicht zu finden, der Punkt muss generiert werden. Sein Code ist das Haus des Herrn in Notensprache: Do Mi Si La Do Re.

Er sieht den Himmel als Teppich. Den Garten als Grundriss des Himmels. Er hoert wieder Stimmen. Die Sprache der Wespen

Kublai Khan und Marco Polo zwei Penner im kurzen Hemd mit grosser Plastikflasche, einer schwarzen Tinte und einer Tuete zermahlener Kekse, bedraengt von Sheriffs in den unterirdischen Kanaelen Frankfurts Rohrpost

Er sagt: Vézelay ist ein Esel in Burgrund. Ein kahler Ruecken, gekroent von Steinen. Er sagt: Reime sind Insekten. Er sagt: der Morgen haengt an meinen Fersen, an meinen Fersen haengen Wolken, ein Duesenjaeger springt mit Laerm durch den Himmel, der ein Teppich ist

13. April 2009 10:12










Hans Thill

Der Barbar von Vézelay

vezelay11

Lebt in den Geraeuschen zur Abwehr von Gedanken. Ein kurzes Husten und die Ideen waeren aus der kuehlen Kammer verschwunden. Sie sind bei den Gespenstern, die um Einlass in die Arche Noah betteln

Jeder Gedanke stiehlt etwas aus der Welt

Daniel in der Loewengrube. Angreifende Loewen. Die Welt in Anbetung vor dem Kreuz (Kopie)

Er liest ein Buch, das ihm nicht gefaellt. Er findet
einige Gedanken zu Schlaeuchen zusammengerollt und ein paar Geraeusche, die wie Kinder die Wiese hinaufkommen

Er erkennt die Fragen seiner fruehen Jahre. Er sieht sich als Schatten auf dem Ruecken liegend. Er sieht Voegel auffliegen und schliesst auf ein Geraeusch, das er nicht hoert. Er haelt das Buch in der Schraege, damit die Fluessigkeit ablaufen kann

Jetzt gefaellt ihm das Buch. Er findet eine Seite, die ihm perfekt erscheint. Es treten auf: der prahlerische Soldat, der Schmarotzer, der traurige Matrose mit dem Papagei. Der junge Verschwender, die Dirne treten nicht auf, haetten aber Raum genug, ein andermal. Dafuer gibt es den geizigen Vater, die verliebte Tochter, den albernen Diener. Der Barbar erkennt, dass das Buch geschrieben wurde, um diese Seite zu vermeiden. Dass sie aber schliesslich doch geschrieben und in diesem Buch versteckt wurde. Als Tuerschwelle, Balken

7. April 2009 23:12










Hans Thill

Der Barbar von Vézelay

vezelay11

Spricht zu den Steinen mit der hohen Stimme einer Frau in den Coloraturen der Hoeflichkeit

Er besitzt einen Kugelschreiber und ein grosses Haus mit Garten, mehr nicht

Er beginnt ein Alphabet. Das Wort »absolut« soll heissen: geloestes Gewuerz, lange Klinge. »Glottis« waere: Aufzaehlung alter Stimmen nach der Reihenfolge ihres Hinscheidens. »Tartar« ein Kaiser der Barbaren, tatenreich usw

Lehrer und Schueler. Der hl. Martin und der Baum der Heiden. Weltliche Musik und der Teufel der Unreinheit

Er sagt: ja, kann man. Er nimmt das offene A aus der Liste, erbost ueber das O. Welcher Buchstabe hat keine Zunge? Was braucht das Q?

Er legt sein Ohr an die Hand, sagt: mobile. Eine Sprache, den Kindern von Wespen eingeimpft mit
dem Stachel der Schrift

In jeder Zeile hoert er den Stock des Blinden.
Klopstock. Eich, fuenf Punkte am Arm, Binde
des Blinden, Sellerie der Anarchie usw.

Zuechte Wespen. Die Kerze der Wespe festziehen.
Zeuge die Ameisen unterm Stein

31. März 2009 21:52










Hans Thill

Hans Test unterschreibt einen Appell

Hans Test hatte nicht viel zu verschenken. Gestern Abend hatte er einen Satz gelesen, der ihn heute morgen auch noch nicht los ließ: »Enteignet die schamlosen Enteigner.« Daß Eigentum Diebstahl war, wußte er noch von dem Anarchisten Proudhon, dessen Buch mit dem Titel »Was ist das Eigentum?« ihm im revolutionären Portugal aus dem offenen Auto gestohlen worden war. Aus der selben Zeit fiel ihm ein, wie Landfried Schröpfer, ein experimenteller Heidelberger, einen Freund, der auf seinem geistigen Eigentum bestand, im Gedicht polemisch gefragt hatte: »wieso behältst Du Deine Texte nicht für Dich?« Es gab damals Zeitschriften mit Namen wie MOVENS.
Hans Test schaltete seinen Computer an. Bis der Bildschirm den in Kieselstein-Kreisen organisierten Zen-Garten zeigte, pulte er sich ein Stück Hornhaut von der Handfläche. Test würde später in den Verlag gehen. Er würde ein Manuskript lesen und korrigieren, mit dem Autor telefonieren und einen Termin ausmachen, in dem man die beträchtlichen Änderungen, die er für notwendig hielt, diskutierte. Er würde dann in der wöchentlichen Sitzung mit den Kollegen besprechen, was für die Förderung der einzelnen Titel zu untenehmen war. Er würde über die Gestaltung eines neuen Buchs sprechen, die Vertetersitzung vorbereiten.
Hans Test erinnerte sich, wie er bei einem Streitgespräch im Hinterzimmer einer Pizzeria ebenfalls in den siebziger Jahren einem Bauunternehmer die Berechtigung abgesprochen hatte, sich als jemand darzustellen, der arbeitet. Er nannte den biederen Badener einen Faulenzer, der seine Bauarbeiter ausbeutete. Ohne den Chef wäre alles sicher noch besser organisiert! Wenn die Bauarbeiter in eigener Regie die Baustelle übernehmen, werden Büroexistenzen wie Sie endlich überflüssig sein!
Einstweilen suchte Test aber nach dem Wort »Enteigner«. Im Netz fand er eine Debatte über die zunehmende Enteignung der Autoren durch die amerikanischen Einscanner von Texten vor. Er folgte dem link bis zur Seite http://www.textkritik.de/urheberrecht/
Hier stand der Ohrwurm-Satz als Überschrift eines Artikels der FR gegen die Übergriffe der Suchmaschine GOOGLE, verfasst von Roland Reuß, auch so ein Heidelberger, Literaturwissenschaftler, Entzifferer von Handschriften, Professor, Kopf des INSTITUTS FÜR TEXTKRITIK. In einem zweiten Artikel über den Veröffentlichungszwang für wissenschaftliche Texte, diesmal in der FAZ abgedruckt, bezeichnete Reuß sich listig als »Niemand«. »Ich bin dieser Niemand«. Odysseus spricht zu Polyphem. Reuß nannte den Veröffentlichungszwang in OPEN ACCESS eine »klammheimliche technokratische Machtergreifung.«
Im Fall GOOGLE ging es um einen Fall der Realgroteske, die Test, selbst fast kein Jurist, in mehrfacher Hinsicht ungerecht und nicht hinnehmbar fand, die aber trotzdem von allen Autoritäten offenbar als Vorgehensweise akzeptiert wurde. In den USA schloß die Suchmaschine mit dem schönen Dadaistischen Namen einen Vergleich mit Vertretern einer amerikanischen Autorenorganisation ab, der auch für ihn, Hans Test, hier in Heidelberg Geltung haben sollte, es sei denn, er mache dort, in den USA, einen Einspruch geltend, den er dann mit einem teuren Gerichtsverfahren gegen das mächtigste Unternehmen der IT-Branche durchzusetzen hatte.
Test fühlt sich an das Vorgehen von agrarischen Großkonzernen erinnert, die Erbinformationen einer Reissorte, die in Jahrtausenden beständiger Arbeit von Generationen indischer Bauern gezüchtet worden war, von schlecht bezahlten Chemieassistentinnen in einem Labor bestimmen ließen, um sie patentieren zu lassen und dann an eben diese indischen Bauern zu verkaufen. Dieselbe Strategie hier: Daumen drauf! Schon gescannt! Meins!
Im fraglichen Vergleich wurde jedem Autor für die Verwertung all seiner Bücher, die im Internet als Hintergrund für Werbebanner bereits veröffentlicht wurden und in Zukunft werden sollten, ein einmaliger Betrag von 60 Dollar angeboten.
Hans Test dachte, wenn einer Schmecker hieß und Vegetarier war, und ein Fleischkonzern nannte eine aus Abfällen hergestellte Streichwurst nach diesem Namen, weil seinen Werbestrategen nichts besseres einfiel, dann würde dieser Schmecker doch vielleicht etwas dagegen unternehmen? Oder wenn ein Motor entwickelt worden war, der mit Essig lief, benötigte man alle deutschen Weinberge zu Herstellung des neuen Kraftstoffs. Man verpflichtete also die Winzer zu Ablieferung ihrer Trauben und bot ihnen aber nur einen geringen Preis, weil man ja schließlich Essig produzierte und keinen Wein. Federführend ein Konsortium aus der Zentralkellerei der Winzergenossenschaften / Breisach und einem Ölmulti wie Exxon.
Die Abschaffung des wissenschaftlichen Verlagswesens, wie sie von Universitätsverwaltungen durch den Veröffentlichungszwang in OPEN ACCESS betrieben wurde, kam ihm mindestens so grotesk vor, wie die Vision eines mit Essig betriebenen Twingo. Nach einer durchzechten Nacht, Augen haben wie ein Twingo. Volltext trinken. Guglhupf essen, dazu einen Gewürztraminer. Das alte Europa, linksrheinisch.
Test wußte sofort, das waren alles hinkende Vergleiche. Stammelnde Verse, hinkende Vergleiche, krumme Sätze. Wenn die Lektorate bald abgeschafft waren, dann wäre all dies nicht mehr ein künstlerisches Mittel der Auflehnung gegen die Schrecken der Schrift, sondern im Gegenteil ästhetischer Alltag der Leser flacher Examensarbeiten, verfasst von alleingelassenen Schreibern. Federführend, ein seltsam altertümlicher Begriff.
Test nahm sich vor, dann wieder ordentlicher zu schreiben, alle Regeln schön brav einzuhalten, was ihm ein Greuel war. Und jetzt dachte er sich bereits aus, welche Banner bei jenen seiner Texte erscheinen könnten, die er selber ins Netz gestellt hatte. Das heiße Fleisch der Wörter? Der Schweinekiller NORDFLEISCH. Der Barbar von Vézelay? Irgendein elektronisches Spiel, von der Sorte, die gerade dabei war, die Grenze des Virtuellen zu überschreiten.
Auf einen Zettel notierte Test: »Miami, die Haie fressen unsere badenden Töchter, weil sie im leergefischten Meer nicht mehr genug Nahrung finden.« Noch so eine Idee von gestern Abend. Jetzt hatte er sich schon wieder nach Miami gebeamt. Die Imagination war immer noch ein rascheres Transportmittel als der schnellste Rechner. Test nahm sich vor, in Zukunft noch mehr im eigenen Kopf zu suchen und weniger im Netz. Und umgekehrt: Ohne die Kreativität der Einzelnen würde auch für GOOGLE bald nichts mehr zu posten sein. Er dachte an das freundschaftliche Auge-in-Auge eines Verwertungsvertrags, wie er im Idealfall zwischen Autor und Verleger abgeschlossen wurde. Wie viele seiner Freunde verstummt waren, weil sie keinen Verlag für ihre Texte interessieren konnten. Er dachte, daß man die wertschöpfenden Kleinunternehmer gegen die destruktiven Konzerne unterstützen mußte. Die Dynamitfischer der Weltmeere. Die Explorateure und Suchmaschinen. Die Claimabstecker.
Da Hans Test seine Texte nicht für sich behalten konnte, wollte er sie sich auch nicht einfach so nehmen lassen. Erneut ließ er seinen Browser kommen, rechts oben ins Suchfenster schrieb er EXPROP und fand wirklich einen Immobilienmakler dieses Namens in Mahopac, New York. Test blätterte ein wenig und dann erschien die passende Losung im roten Latein des 19. Jahrhunderts: „Die Expropriateurs werden expropriiert“ (Karl Marx).

25. März 2009 19:37










Hans Thill

Stele

Abdelkebir Khatibi
1938-2009

Sozio-Clips

Das traf mitten ins Herz. Er war völlig verblüfft. Weshalb der Wutausbruch der alten Freundin gegen ihn und seine Ethnie, weshalb die unglaubliche Heftigkeit? Aus welcher Nacht kam dieser Schrei? Ich höre noch immer die vergiftete Stille. Soll man aus dieser Szene einen Roman machen? Ein Theaterstück? Einen Film? Eine fetzige Zeichnung? Und dieses bissige Notat, wird es genügen, um unser Leiden zu bannen? Es war Sommer, mein Rücken schaute auf den Ozean. Drift der Kontinente in eine archaische Chimäre.

Rassismus? Der Haß auf den Genuß des Anderen, wird gesagt. Ja, aber gibt es denn zwischen dem latenten und dem manifesten Rassismus, zwischen Implosion und Explosion, nicht die permanente und imaginäre Vernichtung des Anderen an sich? Gibt es nicht die universelle Barbarei, die allen Menschen zueigen ist? Gewiß, da ist nichts zu machen, oder nur wenig, sehr wenig.

Eine Form von Gastfreundschaft findet sich in kriegerischen Gesellschaften. Gastfreundschaft: Fortsetzung des Krieges durch die Riten des Friedens. Die Strategie, das Spiel von Distanz und gesellschaftlicher Nähe werden dann einer Abfolge von Zeremonien und Speisen unterworfen, die ebenso geregelt sind wie die Abfolge der Jahreszeiten.

Einen bourgeoisen Franzosen beobachten, wie er den Figaro bei einer Tasse Kaffee entfaltet.

Die Werte und Gloriolen, die sich ein Land gibt, findet man in den Straßennamen, also in der Verehrung der Toten.

In der Pariser Metro die Bemerkung eines Afrikaners zu einem anderen: »Ich verstehe nicht, weshalb die Muslime in Frankreich fasten. Die Tatsache, daß sie hier sind, ist doch Fasten genug!«

Der Blick fällt auf eine Geschäftsstraße. Als ich diesen Schlachter (boucher) mit seinen beinahe theologischen Gesten betrachte, denke ich, daß er gewiß Monotheist ist, der Schweine-Metzger (charcutier) hingegen eher ein Schamanist. Initiation zum Opfer: Basis jeder Gesellschaft, jeder Sekte.
Und noch etwas habe ich gesehen: ein Balinese, der sein Milchferkel im Freien brät, scheint in einem Schattenspiel zu tanzen, gleichsam eine Szene der Seelenwanderung.

Sozio-Clip? Ein Notat, so rasch wie der indiskrete Blick auf den Anderen.

(Eigene Übersetzung aus: Abdelkebir Khatibi, par-dessus l´épaule, Aubier, 1988)

19. März 2009 14:20










Hans Thill

Der Barbar von Vézelay

vezelay11

Jan Hammer Jan Harfe. Ein zieh’n wie von Namen.
Zeile für Zeile ein Eich. Eine Korrektur aufgrund
des verlorenen Urtexts

»Je n‘ ay pas baisé l´homme mais la précieuse bouche de laquelle sont yssuz et sortis tant de bons mots et vertueuses paroles«. Margarete von Schottland weckt den schlafenden Barabaren

Er braet sein Brot auf einem Stein, den die Calvinisten in den Wald warfen

Er schneidet alles in einen Topf und gibt den Rest den Tieren zu fressen, die ihn Noah nennen oder Jona oder Hiob

Die mystische Muehle. Der Tod des Lazarus. Die vier Winde

Er sieht die Einzelheiten, schliesst aufs Ganze. Er sagt: der Wald weckt die Tiere, aber er fuettert sie nicht. Er sagt: die Steine gehoeren den Heiligen, das Gras gehoert keinem allein

16. März 2009 13:34