Hans Thill

Ortsveränderung: Die Dörfer

DAS NÄCHSTE DORF, eine Durchgangssiedlung. Freche Völker hatten es zwischen weißem Bengelholz auf Isolatoren und Lehm errichtet. Wo man mit der Ferse kratzte, glänzte es elektrisch hervor. Wir suchten Unterkunft für Sekunden. Fremde werden gepackt, gebündelt und entflammt, warnte Seneca. Wir stellten unsere Teller vor das alte Tier, das sich mit Worten zierte.

19. Oktober 2010 10:15










Hans Thill

Ortsveränderung: die Dörfer

DAS NÄCHSTE DORF hieß Boden oder Bad und lag auf einem rauhen Berg. Bäche sah man keine Fische tragen. Die Straßen flossen mit dem Schotter in die Ferne, die hinter einem Schleier lag. Ein Fachwerk wie aus trüben Türmen gezimmert. Wie entkamen wir dem kalten Quatsch der Kübel und Boxen? Grund, Garten, ein nächtliches Alfabet, das in Balkanien begann. Sprechende Namen, Hunde. Wie Steine stand das Vieh auf der Wiese.

12. Oktober 2010 09:58










Hans Thill

Haus der Silben (Schluß)

silben-7

Foto: Jean-Philippe Baudoin


Das Gerüst
Ganz oben hingen Trauben an diesem Holz. Das Dunkle wuchs ins Helle hinein. Man hätte auch einen Vogelbauer aufhängen können, Nägel gab es genug, hölzerne Stifte und eine Kamera, die das alles festhält. An den Trauben pickten Vögel, es waren große schwarze Sirenen, die nicht so-viel schlucken konnten wie der Simurgh. An manchen Stellen klebten die Kerne von Jahrhunderten, statt zu fegen redeten die Bewohner laut über die Straße hinweg, was keinen Vogel verscheuchte, uns aber ins Genick fuhr, als wir hier vorbeirannten: Fuckwerk!
(für den neuen Nobert!)

23. August 2010 13:16










Hans Thill

Haus der Silben

paraphe

Foto: Jean-Philippe Baudoin


Die Paraphe
Dieser Mann unterschreibt mit Holz, was ihm Eisen und Papier einbrachten. Seine Kraft hat nichts leserliches, sein Name ist zackig wie ein beringtes Faß. Er lebte mit einer Wildfrau unter tiefen Tellern, bis er dann im Dorf die Goldstücke an die Bauern brachte. Wo andere noch säen, wird für ihn schon gemäht. Auf den Lichtungen die Wildfrauen, Hirschen reitend. Er hat jetzt also ein Dach und ein steinernes Herz. Keine Pferde in dieser Geschichte. Vom Hafer ein paar Körner, daher der Mangel an Kraft am Ende der Zeile.

29. Juli 2010 12:43










Hans Thill

Haus der Silben

silben5

Foto: Jean-Philippe Baudoin


Das Gatter
und auch die hängenden Rauten einer Biergartenfahne. Semiramis, Zäune für Königinnen, Semiramis, im Donner geboren. Auch eine Statue möcht höflich appostrophiret sein. Drei Könige ritten zum Dorf hinaus, jeder ein Ringlein im Ohr. Und die schrägen Vierecke, Gitterzeichen einer Software, die Kreuzstöcke einer Nervenverbindung. Der erste findet das Brot, die Not, den Tod. Der zweite findet die Fremde. Der dritte das Töchterlein. Und auch die Formation der Soldaten, wenn sie stehen und beten. Der vierte König wurde mit Eisen gebrannt und in ein Faß gesteckt.

2. Juli 2010 18:06










Hans Thill

Mein Nam

mein Leich mon voyage mineur. Ein Wiedergänger sprüht
in kleiner Trance an alle Trafo-Stationen: Pas Op!

Verkehrter Kaffee und verirrter Wein steigen zu Kopp
und heissen beispielsweise Chloroform. In einem

weit entfernten Land hilft gegen wortverklebten Mund
Thalassa als ein Zungenlöser aus l und s. dar zamin

dur dast. Mein Nam mein Dotter eines Gottes ärmer
als die Nacht blau im Gesicht und für ein halbes

Sommerstück bin ich in Form: ein kahler Fall ein Overall
das Stresswort allemaal dem Anton Reiser hinters

Ohr geschrieben. Mein Nam meine Entgleisung mein
überall beseeltes immerzu rasiertes Pädonym

bin ich auch kein Korkenzieher wär ich doch gerne
eine Vogeluhr

Begrüßungsgedicht für
Dirk van Bastelaere, Eric Brogniet, Karel Logist, Els Moors, Erik Spinoy, Liliane Wouters, Gerhard Falkner, Zsuzsanna Gahse, Norbert Lange, Michael Speier, Ulrike Almut Sandig.
Edenkoben 23. Juni 2010

23. Juni 2010 15:59










Hans Thill

Haus der Silben

erschöpfter wagen

Foto: Jean-Philippe Baudoin


Erschöpfter Wagen
Ein Behälter muss klare Linien haben und aus dickem Holz soll er sein, wenn man Steine damit fahren will. Man sieht es auf Bildern, die erstarrte Flüssigkeiten sind, historisch und grau, etwa aus der Vorstadt von Paris. Der Behälter schaut nicht nach oben, er bleibt bei sich und seinen Inhalten, die aber auch notwendig sind, andernfalls wäre der Behälter leer.

31. Mai 2010 12:22










Hans Thill

Haus der Silben

stein aus papier

Foto: Jean-Philippe Baudoin


Stein aus Papier
Faul wie eine Spinne lag sie hinter Wänden, die so dünn waren, daß jeder zusah, wie sie ihren Tee schlürfte, oder beim Husten bauchte sich die Wand aus, ein atmendes Stück Stroh mit Lehm, vor Urzeiten gestampft, zu Zeiten geknetet, heute gesehen, morgen schon auf der Briefmarke. Das Silbenhaus. Do Mi Si La Do Re.

14. Mai 2010 10:02










Hans Thill

Haus der Silben

fachwerk2

Foto: Jean-Philippe Baudoin


Der Turm
Daß die Kraft dich nicht verläßt, wenn es soweit ist. Daß du den Nagel findest für den letzten Hunger. Daß es noch ein Stückchen Land gibt, um es zu erschüttern. Du teilst die Wesen in Sie und Du, Flügel oder stumme Bodentruppen, die hinausfahren, wenn es soweit ist. Wenigstens ein Ruder sollten sie haben oder einen Mast. Wen wird man binden? Er hat Öl in den Ohren, das man in Lampen versauern ließ. Die Vögel packen den Wind in Säcke, man kennt das aus alten Quellen. Daß die Worte auf tönernen Füßen stehen, wenn es soweit ist. Daß sie dich rechtzeitig verlassen. Daß sie schnell sind wie Witze aus einem Bart. Es ist die alte Sacksprache, wir kennen sie von Fässern, erst zu öffnen, wenn es soweit ist.

13. April 2010 14:06










Hans Thill

Haus der Silben

fachwerk 1

Foto: Jean-Philippe Baudoin


Die Agraffe
Das trockene Haus, das trockene Holz, das trockene Geld, der trockene Schuh. Sie trug verziertes Silber um den Hals, ein anderes Stück an ihren Fesseln. Einmal hat es geklingelt, alle haben es gehört, nur nicht die Ohren des Propheten. Der hatte ihr anfangs noch Spielzeug gebracht. Emily mit den fünf Religionen. Es war ein Akt der Nächstenliebe, ein Klingeln vor Verdurstenden. Auf Wunsch schrieb sie in einen Sand mit ihren Füßen einen gesagten Satz. Auf Wunsch zeigte sie eine Kerze noch im hohen Alter.

31. März 2010 10:23