Sünje Lewejohann
die au
in der au da liegt mein augenblau, all mein
herzblut, meine werke. es könnte auch die
förde sein, wen kümmert das, es reicht ein
grund, ein sandboden zum drin versinken.
meine steißgeburt ergab sich hier, auch mein
scheitern, meine liebelei. an jedem kiesel gibt
es zeichen, linien meiner hände auf dem
augrauen grund. ich laufe mit den tieren, ja,
mit hirsch und fischen. ich jage die kornmuhme
aus dem feld und finde jeden verstaubten onkel
wieder, den sie sich in die erde zog. ich weiß ja,
es gilt, zwischen schlafenden zu wachen. all die
urbilder. die heimkehrer, auch der, der immer
lustvoll warnte vor der au, ist längst ein erderest,
ein sandkorn nur in ihr. ich brauche keine stege
mehr, ich nehme alles mit mir mit; das wasser
tropft mir aus den taschen, aus den stiefeln und
vom kopf. ich bin die enkelin des grundes, an
meinen händen siehst du häute, schlägt in meinem
herz die au und all das, was ich haben wollte, legt
sich wie ein roggenkranz um meinen kopf.
Sünje Lewejohann
alles dir
bitte sehr: alles gehört dir.
mein frühstücksgedeck, mein garderobenplatz, mein schlüsselbund, sogar
mein seemannsgarn, der tabak und der pfeifenrauch.
nimm dir auch das geweih von der wand, den zierteller und
den ausgestopften hasen, sein pelz ist weich und sein blick
so froh.
geh liebster, es wird sich einiges finden. dein
langersehntes liebesnest, was davon bleibt, das nehme ich noch mit
in mein lausiges herz. wer will schon einen lächelnden hasen, das fragst du noch
ein wildes tier sollte immer nur grausam sein.
ich weiß ja, wie das leben spielt und siehts du, meine hände halte ich
noch immer ausgestreckt
auch das gehört dir, das sofakissen, dieser streifen ausgehhaut. ich
lahme nun, da kommt nicht mehr und das gehört dir auch.
Sünje Lewejohann
vogelherz
deine sprache ist kurz, sie reicht
nicht einmal von den lippen bis zu den augen.
du kannst machen, was du willst
in der mitte bricht sie ab, zieht kreise.
es nützt auch nichts mehr, schnell
zu reden, etwas wie ein apfelkern bleibt
immer auf deiner zunge liegen.
du hast ein faltiges gesicht bekommen und raue hände,
das ist die zeit, die mit den flügeln schlägt dein
vogelherz fliegt letzte runden.
was fängt dein blick noch ein?
die raupen im baum, das kopfkissen, den traumfänger,
den fremden kitsch?
das letzte wort geht dir nicht über die lippen.
es passt noch in den kopf aber
nicht mehr in den mund.
du legst nur den finger auf deine wange,
spitzt die lippen.
Sünje Lewejohann
der schnee
dein heiles herz wird bald sehr viele sein
siebzehn hunde von denen hast du nur geträumt
und geträumt die jagd hat begonnen und die hatz der
eiswind schneidet dich in stücke das denkst du noch und gehst
auf diesen ebenen steht das eis bis in den himmel du hast
dir eine schlechte zeit ausgesucht die seehundfrau
wird dich füttern sie wartet still und kaut die bissen vor;
kleine silberne fische die kannst du mit gräten und augen essen und
mit ihren lippen an deinen frostigen und ihren schillernden flossen
in deinen wangen die fallgruben du rollst zusammen überschlägst dich
dein herz ist sehr viele siebzehn hunde und einer dem wächst ein neues fell.
der schnee ist ein findling für sich.
Sünje Lewejohann
hafen
hafen/ auch hier war der hafen
die krähen die pechschwarze brut.
paarten sich mit möwen und
fischen und von den schiffen kam
immer nur ein ton ein einziger.
sie sprachen in bildern:
ein hase der sich zusammenrollte im graben
eine taube auf der scheibe des autos,
ein rehbock dem wir den lauf zertrümmerten,
ein igel eine, katze ein winziger schwarzer hund,
eine füchsin voller milch.
wenn der tag fiel wohnte all das bei den krähen.
ihre kinder lauerten am kiel, klopften
an gesprenkelte eier. ein insektenschwarm
panzer auf panzer, lichtschwaden, ganze millionen,
und ich auf dem rücksitz,
ein zerschnittener sohn mit haaren aus licht.
die fuchswelpen waren zu dritt, zwei Schwestern,
ein bruder.
Sünje Lewejohann
wildnis
wildnis/ So rupfte man mir das Fell in
Büscheln aus. Ich war ein Tier ein heiliger
Leib. Ich wanderte. Ein Wesen im Pelz mit
rissiger grober Haut. Angefüllt mit dieser
fiebrigen großen Zunge die an blütigen
Lippen leckte. Am Wasserlauf sprudelndes
Wasser schleckte einen Durst zu stillen nach
Farbwirbeln und aufgerissener Erde. Das
sich in die Erde grub an allem schob und
zerrte. Gräben Kanäle Hügel und Täler ein
Sternendach. So schuf ich eine frierende
Landschaft alles war mein eigenes es wuchs.
Ich ließ mir Hörner stehen und Berge aus
glänzendem Fett. Ich träumte mir Lärm
dazu. Das Fell seither zottig eine
ausgedehnte Wildnis. Krallen dazu spitz
und scharf. Und dann: Wie aus mir mitten
im Land ein Wal aus Lehm herauswuchs
und ich mich schämte. Man mir die Büschel
ausrupfte sie mir zeigte. Sich danach wusch
im Eis dieser Landschaft. Wie aus den
Büscheln Beine wuchsen und Köpfe sie
eine Herde wurden aus lauter zottigen
Tieren. Als ich den Wal zu mir nahm ihn
sanft und liebend nährte. Wir uns
umschlungen schlafen legten auf dem
singenden Eis.
14. Juli 2010 12:00
Sünje Lewejohann
Salzbleich/
Salzbleich/ Wäre ich eine Taube, ich hätte kein
Gesicht. Ein Schnäbelchen nur und zwei
punktgroße Augen. Wäre ich eine Taube, ich
wüsste nichts. Bliebe ein nacktes, ein
immernacktes Ich. Nur in manchen Träumen
triebest du mit dem Strandgut an das Ufer. Läge
ein salzblasser Körper zwischen Tang und
Feuerstein. Geschliffenes Glas an Zehen und
Scheitel. Mit den Klauen kratzte ich diesen
Umriss nach. Ein Halbmond auf deinem
Gesicht. Dann böte ich gurrend meine Gurgel
feil.
Und rupfte man mir die Federn aus, bliebe mir
ein feines Knochengerüst zum Wandeln
zwischen Dachziegeln und Lehm. Zum Picken
mit knöchernem Schnabel. Zum Flügelrasseln
und zum Zeichensetzen in feinem Waldmulch.
Als letztes noch würde ich mir ein
Menschengesicht schnitzen, eine Stirn, zwei
Augen, Nase, Mund. Ich schnitzte mir ein
schiefes Lächeln hinein, ein Grübchen und eine,
nur eine einzige, ausgefallene Wimper.
Sünje Lewejohann
mein bett steht unter seichten straßen
tief in der erde wachsen mir haare die anker werfen
und hände zwanzig
für jede bewegung eine
treiben fühler aus den fingern treiben
durch das erdreich weite wege den untergrund
der stadt ertasten erkennen löwenzahn und randbepflanzung
baumwurzeln umschlingen mir die graue haut atme ich
staub dreck erdinneres meine lungen werden schwer
ein sack kartoffeln daraus treibt es
kommt licht durch die abwasserrohre
fällt etwas ein das augenweiß wird grau dann braun
staub rieselt aus allen poren
unter der erde kann ich schlängeln die beine winden
die füße schlagen die lippen schieben erde vor sich her
endlich still die zunge belegt die mundhöhle weit voll erde
darauf beißen die zähne
mit dem kopf voran stückchen für stück
aus den pupillen verschwindet die sicht es ist ein schlichtes dunkel
grau und weich wie schlaf.
Sünje Lewejohann
der fuchs
gib mir von den schönen roten äpfeln
zum dank wird dir ein drittes auge wachsen
um das dich alle beineiden
du goldgesicht mein fuchs
hab all die narben von deinen zähnen
weiße gebogene linien kleine
bäche fast was liebte ich dich
drängte ich mich an deinen pelz und
harrte wochenlang am waldrand
aus ich bete sage an all den tagen nur das eine wort das amen
vor dem essen auf der bank in der sonne karierte decke
glattgestrichen so
eben die gesänge hören die felder gefrorene erde
ich gehe und gehe kein laut nur feine linien
eine ader fast gerissen
huhn und kralle das alles halte ich an
meine ausgekühlten lippen.