Hendrik Rost
Viele Kilometer entfernt lebt mein Vater.
Er ruht sich aus, nehme ich an.
Entfernt der alte Vater. Er ruht sich aus,
glaube ich. Wovon, das weiß ich nicht.
Sein Herz findet keinen Takt.
Es schlägt und flimmert irgendwie
und sendet kryptische Winke. Es morst
ohne Sinn. Es schlägt und pumpt
sich immer wieder eine Weile
von meinem Leben, wenn ich an ihn denken muss.
Ich will nicht nur wirres Zeug reden:
Auch diesen Moment nimm, nimm,
ohne irgendetwas zu tilgen. Mehr als genug Leben
habe ich bekommen
von dir.
10. Mai 2016 10:12
Christine Kappe
Solange die weggeworfenen Dinge harte Sachen waren, Werkzeuge, Bauelemente, selbst Munition, regten sie nur unseren Verstand an, der fragte: Wozu war das gut? – waren es aber weiche Sachen, in denen sich der menschliche Körper abzeichnete, Schuhe, Betten, dann wussten wir uns nicht mehr zu helfen, wir mussten uns mit ihnen in Beziehung setzen, und letztlich mit den Menschen, die sich darin befunden hatten, und wir merkten, dass sie fehlten, aus einem anderen Grund als dem natürlichen.
(nach dem Besuch der „Rosenbuschverlassenschaften“ von A. und H.J. Breuste in Hannover Ahlem)
8. Mai 2016 18:32
Tobias Schoofs
are you awake · my love?
we have not seen each other
for so long · please send a sign
when you are still awake
I cannot sleep without a bird
singing on my window board
7. Mai 2016 21:42
Hans Thill
Wo einer, den Bengel in der
Hand, haushoch
abschmiert ins Säuberliche
eines getretenen
Schuhs, ist die Klarheit
schon verkauft.
Aber wo
die kahle Stelle eines
Yogabeins und das Dach
einer Pagode
von unten sichtbar werden,
bediene dich des Rätsels
als sanften Seegang
für Baum, Einbaum,
Unbaum.
Hier findest du fünf
Gramm Stille, hier
wohnt das trübe Auge
in seiner Ali-Höhle,
scheucht
dich in die Falten der
Schrift, Platz zu schaffen
dem Unmöglichen.
für Gregor Laschen zum Geburtstag
4. Mai 2016 15:48
Björn Kiehne
Möwen kreisen über deinem Haus
als du geboren wirst,
schreien vor Unruhe und Hunger,
hacken dir Stücke aus der Seele,
tragen sie über das Meer.
Ich sehe dich groß werden,
zwischen den Bombennächten,
als der Himmel blutet
und die Bienen
am nächsten Morgen,
in der Linde vor dem Haus,
summen wie immer.
Ich höre deine Mutter sagen,
geh aufs Feld Junge,
les Kartoffeln auf,
die dicken Bauern haben ein paar
auf dem Acker vergessen;
ich spüre deinen Ekel
wegen des Lehmstaubs
zwischen deinen Fingern.
Dieser Staub,
der dich auf die Handelsschule trägt,
Waschmittelvertreter werden lässt,
aus dem du deinen Kindern
ein kuschelweiches Haus baust,
den Kindern,
die du immer sauber wolltest und rein.
Heute,
der Himmel stützt sich müde auf die Felder,
baust du an deinem Boot aus Staub,
baust es, um das Meer zu befahren,
den Wellen zu folgen und
dem Möwenschrei in deinem Herzen.
4. Mai 2016 14:57
Andreas H. Drescher
Gleich nach der Mittagspause sprang ich in die Luft
und fand dort ein paar Kleinigkeiten durcheinander
Vor allem der Filz der Schleierwolken machte mir zu schaffen
Sie wollten einfach nicht als Decke halten
Kaum war ich ein wenig eingenickt
als mich der Nordost schon wieder beinfrei blies
Ich klemmte mir also die Centauri unters Augenlid
und beschloss von jetzt an ausgeruht zu sein
3. Mai 2016 07:05
Tobias Schoofs
vierundvierzig noch voll hoffnung
jetzt aber keine mehr zumal
in der von frankreich zugestellten
post von dir nie was dabei ist
hab beschlossen dir das alles
aufzuschreiben in der hoffnung
dass du es eines tages liest
falls du noch lebst es liest sich
furchtbar von zuhaus der russe
steht bei görlitz und die westfront
nähert sich dem rhein wir haben
nicht mit freundlichkeit gerechnet
mit mehr verständnis aber doch
26. April 2016 21:30
Andreas H. Drescher
Im Mantelraum
Der Weichtiere
Das Prüfwerkzeug
Gleich in der Nachbarschaft
Sein Sinnesorgan
Terminal
Danach die Ausmündung
In die Geschlechtsgänge
24. April 2016 06:54
Thorsten Krämer
Die Fehlermeldungen meines Handys
lehren mich
die Grenzen der Empathie.
22. April 2016 15:25
Christian Lorenz Müller
Das Smartphone ist ein Boot,
das niemals untergeht, WhatsApp
der Kompass, der die Richtung zeigt.
„Hast schon gesehn?“, schreibt der Cousin,
der in Osnabrück im Keller sitzt,
wo er Kartoffeln, nur Kartoffeln schält.
„Fünfhundert. Vierzig haben überlebt.“
Sekunden später schlägt das Samsung
voll mit Blau, rollt schwer in Salmans Hand.
Schwankend geht er zu dem Zelt
in dem die Steckerleisten sind:
Das Ladekabel, Ankertau,
hat er schon in der Hand.
22. April 2016 11:20