Christian Lorenz Müller

GROSSARTIG BEFUNKELT VON 50 STERNEN

Dieses Gedicht fragt nicht nach Zustimmung,
Ablehnung, es arbeitet allein mit poetischen Dekreten,
die Agentur für sprachliche Entwicklungszusammenarbeit
hat es gerade aufgelöst, die Konsonantenschutzbehörde
zugunsten der Vokale zurückgestutzt, dieses Gedicht
will überall dort, wo es gelesen wird, zahllose Ahs und Ohs,
es lässt die Fragezeichen jenseits des Rio Grande
in der Wüste verdursten und lädt jedes Ausrufezeichen
durch wie eine Winchester, es will ein Dutzend
Inuit-Wörter für Schnee okkupieren, es will eine Residency
für Milliardäre mit Hang zum Haiku in Gaza-Stadt
und lässt sich von Tech-Boys täglich Metaphern schenken,
die Taille der großen Wassersanduhr, unser Panama-Kanal

etwa stammt aus einer Farm im Mittleren Westen
auf der über 30.000 Server grasen,
dieses Gedicht schreibt sich täglich
auf den weißen Stripes der Flagge fort, auf Zeilen,
es lässt sich von nichts insprieren außer von sich selbst,
jeder Satz großartig befunkelt von 50 Sternen.

12. Februar 2025 09:07










Tihomir Popovic

mäusebussard

über dem nabel
der stadt segelt
der mäusebussard
sein säbelschnabel
blitzt in der hitze
die schwingen
tätig untätig

in seinem blick
alle streuner
auf belgrads straßen
flöße auf der sawe
jeder schiffer
mit dem donaukummer
voller schwarzmeerfurcht

26. Januar 2025 11:49










Mirko Bonné

Crow

Why be only cinder,
says the crow to the cranes,
when you stand in light, why
is my song a caw. Waa!

skyscrapers, trams.
I had feathers as motley
as clouds Waa! in the icy
wind. Had rivers as plumage,

claws that etched the sounds
of the trees into the ground, so
Waa! was a path to the warmth
of the summer street. It was a fire.

Was flames, a red blaze,
ghostly Waa! a burning
window. I flew through it,
and it was the eagle, was Waa!

the god who blackened me,
left me mute and searing.
Song and map and mantle,
in crow dreams Waa! they

are one. I came to a morning.
And treetop was the great light.

For Tony Birch

(Translated by Mirko Bonné)

*

20. Januar 2025 17:25










Christian Lorenz Müller

SCHUBKARRE

Wo man sie auch stehen lässt
muldet sie sich geduldig
dem Himmel entgegen,
bietet dem Regen einen Ort,
an dem er sich sammeln,
der Sonne Material,
an dem sie sich erhitzen kann.
Von konkavem Charakter,
ist ihr nichts Schmutziges,
nichts Scharfkantigs fremd,
sie hält ihre blecherne Hand auf
für Steine, Sand, Schlamm und Erde,
sie lässt sich mit erhobenen Armen
an die Wand stellen,
erträgt es, wenn der Wind
sie kalt befingert,
der Hagel sie hart beschießt,
fast schon zärtlich zieht sie
über die Jahrzehnte Rost an,
duldet in einem vergessenen Winkel,
fordert nichts für sich
als ein wenig Luft im Frühjahr,
und doch bleibt alles stehen,
wenn sie einmal nicht mehr will,
wenn ihr Quietschen und Seufzen
die Baustellengeschäftigkeit zerreißt,
die Sommeridylle im Garten,
wenn das Gummirad der Zeit
plötzlich stillsteht,
Steine auf dem Boden liegenbleiben,
geschaufelte Erde kein Ziel mehr findet,
dann läuft jemand rasch nach Öl, nach Fett,
besänftigt ihre achsquer stehende Qual
zu neuer Geduld.

7. Januar 2025 09:38










Hans Thill

Schiller Karaoke

7
Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter,

Nut wäre mit Rädern aus Görlitz (die Mädchen) zu haben
als zerstreuten Befehl. Halt Er das Muß in den Muskeln,
melde überall Gitter in Scherben. Spät geriet
das Klettern dann zum Hangüber der
sportlichen Neun.

Umständlich Sterben am G-Punkt auf niemandes Zehn,

5. Januar 2025 18:49










Björn Kiehne

Das neue Jahr

Die Sonne wird auf-
und untergehen,
Ebbe und Flut
die Inseln umspülen.

Atmen, Sprechen,
Schweigen, Dinge tun,

sein lassen.

Den sicheren Ort suchen,
den Weltrettern
zuvorkommen.

Mit den Wolken steigen,
durchsichtiger,
sorgloser, klarer.

Hier die Stille,
dort die Worte,
Trittsteine im Fluss
der Zeit.

1. Januar 2025 19:40










Andreas Louis Seyerlein

MELDUNG. Tiefseeelefanten, 225 hupende Rüsselrosen, südöstlich der Stadt Odessa im Schwarzen Meer gesichtet. Man wandert in kreisender Bewegung. — stop

p a r t i c l e s

31. Dezember 2024 15:14










Tihomir Popovic

purcell

sing on
bis der see
die stadt überschwemmt

sing on
bis der tang
die turmuhren umschlingt

sing on
bis die boote
in fliederhecken blühen

bis die mailänder rosen
einschlafen im beten
sing on

30. Dezember 2024 22:15










Mirko Bonné

Weihnachten 1979

Und ich seinerzeit! Ich war 14, die zweite Ehe meiner Eltern ging in die Brüche. Ich erfand die Geschichte eines Fußballvereins. Erste Höhepunkte. Politik? Poesie? Eher Musik, „Follow you, follow me“, die Kunst der Geheimhaltung und die der Lust. Joy Div hörte ich nicht, solange es die Band gab. Bei Michelle am Hamburger Hauptbahnhof sah ich zum ersten Mal das Cover von „Love Will Tear Us Apart“ und den Engel darauf, der zu Stein geworden war aus Kummer. Ich schrieb noch keine Gedichte, aber ich erfand die Geschichte eines Fußballvereins. Ian Curtis nahm sich im Mai 1980 das Leben. Als ich an seinem Grab stand – ich kam aus Schottland und fuhr nach Wales –, lagen darauf lauter hellblau-weiße Schals. Ian war loyal supporter der Cityzens, von Manchester City, das 1979 kein Aktienverein war, sondern Team der Vorstädte, vom Rand. „Love Will Tear Us Apart“ und alle Songs von „Closer“ können zu Weihnachten 1979 entstanden sein.

Foto und Facebookbeitrag verdanke ich Sven Meyer.
*

26. Dezember 2024 21:28










Christian Lorenz Müller

OBEN AM MASTEN WIMPELT BLAU
(Gaisbergspitze in Haiku)

Wolkenmeer. Als Ein-
master segelt der Gipfel
den Kalkklippen zu.

Die Paragleiter:
Spinnaker, die der Wind vor
den Masten takelt.

Nachts schwimmen Lichter
als Plankton auf. Die Wimpern
werden zu Barten.

Die Takelage:
aus Frequenzen. Wind bläht den
Schnee zum Segeltuch.

Vormittags entert
die Sonne auf, sie klirrt das
Eis aus dem Masten.

Oben am Masten
wimpelt Blau. Fahnensignale
überm Wolkenmeer.

18. Dezember 2024 10:38