Christian Lorenz Müller

SCHUBKARRE

Wo man sie auch stehen lässt
muldet sie sich geduldig
dem Himmel entgegen,
bietet dem Regen einen Ort,
an dem er sich sammeln,
der Sonne Material,
an dem sie sich erhitzen kann.
Von konkavem Charakter,
ist ihr nichts Schmutziges,
nichts Scharfkantigs fremd,
sie hält ihre blecherne Hand auf
für Steine, Sand, Schlamm und Erde,
sie lässt sich mit erhobenen Armen
an die Wand stellen,
erträgt es, wenn der Wind
sie kalt befingert,
der Hagel sie hart beschießt,
fast schon zärtlich zieht sie
über die Jahrzehnte Rost an,
duldet in einem vergessenen Winkel,
fordert nichts für sich
als ein wenig Luft im Frühjahr,
und doch bleibt alles stehen,
wenn sie einmal nicht mehr will,
wenn ihr Quietschen und Seufzen
die Baustellengeschäftigkeit zerreißt,
die Sommeridylle im Garten,
wenn das Gummirad der Zeit
plötzlich stillsteht,
Steine auf dem Boden liegenbleiben,
geschaufelte Erde kein Ziel mehr findet,
dann läuft jemand rasch nach Öl, nach Fett,
besänftigt ihre achsquer stehende Qual
zu neuer Geduld.

7. Januar 2025 09:38










Hans Thill

Schiller Karaoke

7
Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter,

Nut wäre mit Rädern aus Görlitz (die Mädchen) zu haben
als zerstreuten Befehl. Halt Er das Muß in den Muskeln,
melde überall Gitter in Scherben. Spät geriet
das Klettern dann zum Hangüber der
sportlichen Neun.

Umständlich Sterben am G-Punkt auf niemandes Zehn,

5. Januar 2025 18:49










Björn Kiehne

Das neue Jahr

Die Sonne wird auf-
und untergehen,
Ebbe und Flut
die Inseln umspülen.

Atmen, Sprechen,
Schweigen, Dinge tun,

sein lassen.

Den sicheren Ort suchen,
den Weltrettern
zuvorkommen.

Mit den Wolken steigen,
durchsichtiger,
sorgloser, klarer.

Hier die Stille,
dort die Worte,
Trittsteine im Fluss
der Zeit.

1. Januar 2025 19:40










Andreas Louis Seyerlein

MELDUNG. Tiefseeelefanten, 225 hupende Rüsselrosen, südöstlich der Stadt Odessa im Schwarzen Meer gesichtet. Man wandert in kreisender Bewegung. — stop

p a r t i c l e s

31. Dezember 2024 15:14










Tihomir Popovic

purcell

sing on
bis der see
die stadt überschwemmt

sing on
bis der tang
die turmuhren umschlingt

sing on
bis die boote
in fliederhecken blühen

bis die mailänder rosen
einschlafen im beten
sing on

30. Dezember 2024 22:15










Mirko Bonné

Weihnachten 1979

Und ich seinerzeit! Ich war 14, die zweite Ehe meiner Eltern ging in die Brüche. Ich erfand die Geschichte eines Fußballvereins. Erste Höhepunkte. Politik? Poesie? Eher Musik, „Follow you, follow me“, die Kunst der Geheimhaltung und die der Lust. Joy Div hörte ich nicht, solange es die Band gab. Bei Michelle am Hamburger Hauptbahnhof sah ich zum ersten Mal das Cover von „Love Will Tear Us Apart“ und den Engel darauf, der zu Stein geworden war aus Kummer. Ich schrieb noch keine Gedichte, aber ich erfand die Geschichte eines Fußballvereins. Ian Curtis nahm sich im Mai 1980 das Leben. Als ich an seinem Grab stand – ich kam aus Schottland und fuhr nach Wales –, lagen darauf lauter hellblau-weiße Schals. Ian war loyal supporter der Cityzens, von Manchester City, das 1979 kein Aktienverein war, sondern Team der Vorstädte, vom Rand. „Love Will Tear Us Apart“ und alle Songs von „Closer“ können zu Weihnachten 1979 entstanden sein.

Foto und Facebookbeitrag verdanke ich Sven Meyer.
*

26. Dezember 2024 21:28










Christian Lorenz Müller

OBEN AM MASTEN WIMPELT BLAU
(Gaisbergspitze in Haiku)

Wolkenmeer. Als Ein-
master segelt der Gipfel
den Kalkklippen zu.

Die Paragleiter:
Spinnaker, die der Wind vor
den Masten takelt.

Nachts schwimmen Lichter
als Plankton auf. Die Wimpern
werden zu Barten.

Die Takelage:
aus Frequenzen. Wind bläht den
Schnee zum Segeltuch.

Vormittags entert
die Sonne auf, sie klirrt das
Eis aus dem Masten.

Oben am Masten
wimpelt Blau. Fahnensignale
überm Wolkenmeer.

18. Dezember 2024 10:38










Mirko Bonné

DAS HAUS VERLASSEN. Nur wenig mitnehmen.
Eine Handvoll Schatten, den Umriß von Tisch und Stuhl.

Die Schlüssel liegen lassen, die weißen Seiten
zwischen den ungelebten Jahren deines Lebens.

Dieses Leben. So, wie man die Sprache verläßt,
um mit der Stille zu reden. Einziehen in Trauer

und Schnee, auf die sich unser Herz verläßt.
Sich niederlassen in einem Wort, das man noch

nicht gefunden hat, um das man erst
mit dem Tod würfeln muß.

Christian Saalberg
(10.12.1926–25.5.2006)

*

10. Dezember 2024 17:35










Tihomir Popovic

fünf jahre

alles
fast alles
am alten platz

folianten
hauswurzen
elefanten

mit viel zu kurzen
hängerüsseln
aus plüsch

gut versteckt
im wohn
gebüsch

von ihr
die zwei porträts
ihre kleider im schrank

ihre notenblätter
ihre treue
familie

und linde
südliche winde
im speisezimmer

8. Dezember 2024 17:55










Mirko Bonné

Rai-Ria-Ril-Russell**

Mit einem Dach und seinem Schat-z
Ich eine kleine Weile-stand
Von bunten Pferden all-em Land
Das lange zögert-untergeht

Zwar manche-vag-gespannt
Doch alle haben-Nieren
Ein böser Roter-geht mit ihnen

Und dann und-weißer Elefant

Ein Hirsch ist da ganz-Wald
Nur dass er einen-trägt und drüber
Ein-blaues Mädchen auf
Und drüber lö-tet weiß ein Junge

Und-mit der Kleinen heiß
Dieweil der Löh-ne zeigt und Zunge

Und-wann ein weißer-Fant

Und auf dem-kommen sie
Auch Mädchen helle-Pferde
Fast schon-mitten In-ge
Schauen irgend-über

Und dann und-Elefant

Geht hin und eilt-es endt
Kreist und dreht-und hat kein
Rot ein Grün-vor send
Ein klein-begonnen-Viel

Und manch-ein Lächeln wend
Ein-ges das blend-verschwend
Dies atem-blinde Spiel

** Rekonstruktion von Rainer Maria Rilkes Gedicht „Das Karussell“ nach Mitschrift der Schallplattenaufnahme „Goldne Deutsche Feder“ (Eterna, VEB Deutsche Schallplatten der DDR, Lesung Albrecht Fabers vom 4. Dezember 1950 in Chemnitz) – Anm. d. Autors

*

4. Dezember 2024 12:02