Christian Lorenz Müller
DIGITAL SPRING (Spaziergang in Haiku)
Frisch blinkt sich das Blau
aus den Tablets, den Smartphones.
Knospen pixeln Grün.
für Cornelia Anhaus
25. Februar 2016 14:41
Frisch blinkt sich das Blau
aus den Tablets, den Smartphones.
Knospen pixeln Grün.
für Cornelia Anhaus
25. Februar 2016 14:41Auf den Hecken wildes Schimmern,
Raureif. Und die Sternen gehen unter,
gehen wandern und leuchten auf fernen
Bahnen, den Zeilen am Himmel. Fasane.
Greif hörte ihr Rufen, aber bei Gryphius
verstecken sie sich zwischen Bildern.
*
25. Februar 2016 12:59Ich stieg hinab ins Archiv und fand
zwei Bücher aus der Mitte des
19. Jahrhunderts. Neue Testamente,
eines in Tswana, eines in Maori,
beides im Süden der Welt.
Sie sind in London gebunden worden
von Burn & Son. Burn oder sein Sohn
hatte vor mehr als 150 Jahren
ein braunes Leder gewählt,
das mich in einen Urzustand versetzte.
Meine Assoziationen ließen mich
in einem englischen Ledersessel versinken,
ein rauchiger Whisky auf dem Beistelltisch,
das Feuer im Ofen entfacht,
Flammen, die vom Anfang erzählten.
Da lagen zwei Bücher vor mir, die mich
die Geschichte des Buches an sich
erahnen ließen. Sie sangen ein Lied,
das ich unter der Kopfhaut, auf meiner
Herzkruppe spürte: Fühle. Lies. Lebe.
Ein Leitmotiv im Film über mein
Leben sind die Rufe der Bussarde.
Auf das akustische Signal folgt
der Kameraschwenk, so wie ich
immer meinen Kopf wende, um mich
neu zu orientieren, anhand der
Bussard-Koordinaten herauszufinden,
wo im Raum ich mich befinde.
Den Soundtrack liefert ein öffentlich-
rechtlicher Radiosender im Norden
oder Süden, der die Musik meiner
Kindheit und Jugend spielt, versetzt
mit knappen Informationen zum
Tagesgeschehen, einem launigen
Schlagabtausch zwischen Moderator
und Wetterfrosch und allen Toren.
Die Texte werden nach den Gesetzen
des Betriebes vergehen, ich könnte
auch gleich ein Feuer im Garten
entfachen. Dennoch schreibe ich
weiter, das gehört zu diesen schrägen
Absurditäten, die ja nicht nur mein
Leben bietet. Die Kinder zumindest
danken es mir. Und mich drängt es.
Was ich in Marbach denn abliefern
soll, wenn nicht meine Festplatte,
frage ich die Leiterin. Sie zeigt mir
einen Fotoapparat, eine Musik-Cassette
und Stachelschweinstacheln. Ich
denke an manches, was ich Zeit meines
Lebens angesammelt habe, weiß aber
plötzlich: Meine Stimme wird bleiben.
Warum meine Stimme? Meine Stimme
fügt zusammen, sie überbrückt und
vermittelt. Nicht immer freundlich,
zugegeben, aber ich bemühe mich,
ihr Manieren beizubringen. Sie findet
schnell Freunde bei Kindern, das
macht auch mir Riesenspaß. Und ich
spür immer, ja, da ist was lebendig.
aus dem kollektiven gedächtnis
eine stadt in nordafrika und ein
flüchtling ein tscheche mit namen
aus ungarn erreicht nur mit not
noch die stadt auf der suche nach
visa für sich und die frau die aus
norwegen kommt oder schweden
wir jagen ihm nach aus kollektiv
vergessenen schwarz-weißen auch
völlig beschädigten bildern
Kilometerweit um Luft gewickelt
federnde Starre spitzes Zinken
zwischen Weinbergen.
Alle Reben
wachsen entlang von Draht,
sie tragen, sie werden gestutzt.
So viele Augentrauben,
die Kelter voll von Tränen.
Scharf abgescherte Enden
schlitzen den Wind das Zappeln
einer weißen Tüte
die sich zerrissen ergibt.
Das sei jetzt mal eine wirklich gute Wurst, sagt Frau Atnan, und deutet mit dem Messer auf eine dunkle, fast schwarze Wurst auf dem Holzbrett vor ihr. Da musst du keine 300 Gramm von essen, es genügen zwei oder drei Scheiben. Frau Atnan schneidet sich eine weitere Scheibe ab und zerteilt sie in kleine Stücke. Da, probier mal, davon musst du keine 300 Gramm essen, es genügen zwei oder drei Scheiben. Das ist ein Aroma, unglaublich. Und sie wisse auch genau, woher die Wurst komme, fährt Frau Atnan fort. Von zwei Jungbauern nämlich aus der Nähe von Bern. Die wollten mal was ganz anderes machen. Und dann sei diese Wurst bei rausgekommen. Da ist kein Gramm Fett drin, habe ihr einer der bärtigen Jungbauern auf dem Wochenmarkt in Bern versichert. Und wenn sie die Wurst so im Stillen betrachte, glaube sie ihm sogar: Kein Gramm Fett zu sehen. Und trotzdem schmecke die Wurst, vorzüglich sogar. Diese Wurst, stelle ich mir vor, koste sicher eine Stange Geld, mir reiche da eine ganz normale Wurst, im Gegenteil, ich hätte mit hundskommunen Würsten mehr Sympathie als mit ihrer Spezialwurst. Die Normalwürste seien voll von schlechten Sachen, erwidert Frau Atnan. Sie wisse nicht, wie lange sie noch lebe und möchte ihrem Magen nicht mehr schlechte Würste zumuten. Das habe er zur Genüge gehabt, und sie auch. Dafür esse sie auch keine 300 Gramm mehr, es genügten zwei oder drei Scheiben.
15. Februar 2016 22:13Wenn wir über die Wäldergrenze hinausgingen,
in die freien Ebenen, an die Flüsse. Wenn wir die Städte
und das Land hinter uns ließen. Wenn wir nicht darauf achteten,
wer mit uns käme. Wenn da ein Licht wäre, und wäre es nur
ein vorgestelltes. Nur? Wenn die Geschichte einfach
endete. Wenn endlich Geschichten anfingen!
Eine Betriebsanleitung, ein Evangelium,
eine Dichtung, eine Scheidungsvereinbarung,
ein Verschweigen, ein Gesetzesentwurf, wenn alles das
eins wäre. Wenn wir Wyoming befreiten. Wenn die Unwirklichkeit
in Wyoming aufhörte. Wenn die Zuneigung zurückkehrte.
Wenn die Zuneigung zurückkehrte mit den Fischen.
Wenn alle die Fragen wohin, wodurch, wonach, welche,
weshalb und wann die Antworten ersetzten. Und wenn alles
mit einem Mal bliebe. Hier, dort. In Wyoming, überall. Ohne Ursache.
*
15. Februar 2016 21:07Eine orange Brandung aus Schwimmwesten
Traumstrände, Dörfer in weiß und blau
zu Styropor erstarrter Gischt
Salzluft, die die Lungen reinigt
verrenkte Kleider in der Macchia
Baden in verschwiegenen Buchten
ein feuchtes Kopftuch auf Halbmast
spezielle Angebote für lesbische Paare
Schlauchboote, grau gestrandete Wale
bequem erreichbar ab Frankfurt, München.