Mathias Jeschke

Volucella zonaria

Was macht die Hornissenschwebfliege auf
dem weißblütigen Schmetterlingsflieder so
anziehend, als sei sie eine der einnehmend
langmähnigen Spielerfrauen, gewinnendes
Lächeln, schwarz-rot-goldener Stringbikini.

Du gehst vor der wippenden Blütendolde in
die Knie, von der sie den süßen Nektar saugt,
starrst auf das Insekt, als handele es sich um
eine edle Peepshow, wie das Tiki-taka der
Spieler bei dieser Copa do mundo no Brasil.

Jenes Samba-Strandereignis, von dem du dir
ein schickes Häppchen erhoffst, denn springt
nicht immer noch was raus, ja, kommt nicht
immer noch was rum, wenn es mal irgendwo
Gewinner gibt auf dieser überregulierten Welt.

Sogar für den, der sonst nichts zu lachen hat,
der sein letztes Hemd bereits gegeben hat,
um diese zarte Berührung zu spüren, dieses
sanfte Saugen und Ziehen auf seiner schönen,
nackten, immerhin davongekommenen Haut.

14. Juli 2014 15:06










Christine Kappe

geradezu beruhigend

Wir lagen alle erschossen umher. Dann kam der Geheimdienst und wollte aufräumen. „Wer hat hier wen erschossen?“, fragten sie in drohendem Ton. Ich gab vor, das erkenne man doch an der Farbe unserer Jacken. Die ganze Zeit musste ich meinen linken Arm an der Schulter festhalten, weil er sonst heruntergefallen wär. Ich verspürte schrecklichen Durst. Mann war ich erschöpft. Hätte ich vorher gewusst, dass Totsein so anstrengend ist! Unter den Umständen war es geradezu beruhigend, dass sie uns mit Sicherheit festnehmen würden.

10. Juli 2014 12:04










Hans Thill

… von den Wäldern …

(aus Bordeaux) um die eigene Schrift zu lesen, schön krumm,
wie am Hauberg gewachsen, ein Gestrüpp überm weichen
klebrigen Boden. Das ist so schwarz aus der Ferne,
daß man die Gliedertiere nicht
erkennt

vor ihrem Hintergrund oder versteht
was sie sagen könnten. Von den flachen Wäldern der Hardt
haben wir noch die aufsteigende Lust am Zweifel,
der uns Mittags einnimmt im gesiebten
Licht

der Gardinen, ein schwäbisches Verstummen
mitten im Kapitel, Erinnerung an ein Buch des
Dürfens. Von den Wäldern bei Veterano haben wir noch
gehobelte Zeilen, eine Masche, fallengelassen wie ein Viererwort
und ein Ach. Von den wilden
Wäldern

8. Juli 2014 22:32










Andreas Louis Seyerlein

~

3.25 – Leichter, gnädiger Regen heut Nacht. Gegen zwei Uhr nehme ich Gilles Leroys Roman Zola Jackson zur Hand. Ich schaue auf die Uhr, fange an zur vollen Stunde, versuche so viele Seiten des Buches zu lesen in dieser kommenden Stunde wie möglich, ohne auf Gefühle, die Wörter erzeugen könnten, verzichten zu müssen. Um drei Uhr lege ich das Buch zur Seite. Drei Falter sind in die Wohnung vorgedrungen. Ich weiß nicht weshalb, ich meine in ihren pelzartigen Erscheinungen verkleidete Wesen erkennen zu können. Wenn ich einen Gedanken, der vielleicht seltsam ist, der Erfindung sein könnte, lange genug betrachte, vermag ich die Konsequenzen dieses Gedankens wahrzunehmen, als wäre die Erfindung tatsächlich vor mir in der Luft, und flatterte herum, und suchte an den Wänden meines Zimmers nach einem Ausgang in den Tag, der niemals existierte. – stop

2.54 – Gestern Abend erreichte mich eine E-Mail von Georges. Er schreibt: Mein lieber Louis, wie ich durch die Stadt Valletta schlenderte, bemerkte ich in der West Street nahe St. Lucia eine kleine Werkstatt. Sie war düster, aber gerade noch hell genug, dass ich ein Mädchen erkennen konnte, das an einem Tisch saß, sie schien Hausaufgaben zu machen. Ich richtete meine Kamera auf das Mädchen, um es zu fotografieren, da hob sie den Kopf und sah mich an mit einem freundlichen Blick. Ich fragte, ob ich eintrete dürfe. Es war ein wirklich düsterer Ort, das Licht der Straße erreichte gerade noch den Tisch, auf dem das Schulheft des Mädchens lag, und es war kühl, und es ging ein leichter Wind. In der Tiefe des Raumes erkannte ich einen weiteren Tisch, der von einer Glühbirne beleuchtet wurde, die ohne Schirm von der Decke baumelte. Hinter dem Tisch hockte ein dunkelhäutiger, alter Mann mit weißem Haar. Ich grüsste auch in seine Richtung. Als ich mich gerade herumdrehen wollte, um auf die Straße zurückzukehren, schaltete der Mann einen gläsernen Leuchtglobus an. Ein schönes blaues und gelbes Licht von Meeren und Wüsten strahlte in den Raum, vor dessen Wänden Regale bis zur Decke ragten. Dort warteten weitere Erdkugeln, es waren einige Hundert bestimmt. Ich bemerkte, dass der Mann auf dem Tisch Gläschen mit Farbe zu einer Reihe abgestellt hatte, er selbst hielt einen feinen Pinsel und ein Messer mit einer winzigen Klinge in der Hand. Außerdem ruhte der Globus vor dem Mann auf dem Kopf, vielleicht deshalb, weil er einmal aus seiner Fassung genommen und augenscheinlich herumgedreht worden war, der Südpol befand sich im Norden, der Nordpol im Süden der leuchtenden Kugel, an welcher der Mann mit seinen Werkzeugen arbeitete. Es war eine Arbeit für ruhige Hände. In dem Moment als ich näher gekommen war, nahmen sie gerade die Entfernung des Schriftzuges Cape Town vor, der selbst auf dem Kopf stehend in das Blau des Meeres jenseits des afrikanischen Kontinentes reichte. Aus nächster Nähe nun beobachtete ich, wie der alte Mann die Spuren, die die Radierung des Schriftzuges erzeugt hatte, mit blauer Farbe füllte. Immer wieder prüfte er indessen den Ton der Pigmente, in dem er eine Lupe in sein linkes Auge klemmte. Er schien weitgehende Erfahrung in dieser Arbeit gesammelt zu haben, seine Hände bewegten sich schnell, es roch nach Terpentin, und der Mann hauchte gegen das Meer, wohl um seine Trocknung zu beschleunigen. Dann begann er zu schreiben, er schrieb Cape Town, er schrieb die Wörter so, dass sie nun richtig herum vor unseren Augen erschienen. Ich erinnere mich an ein Motorrad, das auf der Straße vorbei knatterte. Das Mädchen hatte seine Schulhefte geschlossen und war ins Licht der Sonne getreten. Plötzlich war es verwunden. – stop
> particles

6. Juli 2014 02:25










Thorsten Krämer

Habsburg Villa

Nach dem Regen: auf Augenhöhe
mit den Hunden, durchnässte Witterung. Der Blick
entgleitet ins Off, wo immer schon das Interesse liegt.

Du bist nicht hier, du täuschst dich, das sind
auch keine echten Hunde. Der Cargo-Kult
der Sinne, und auch in dir kursieren Nachrichten
von gerade eben.

29. Juni 2014 13:45










Hans Thill

Selfie mit Prokrustes

Das Leben ist möglich, sofort kann es
beginnen. Mit der weißen Strumpfhose von Psychopolis,
aus viel Milch und ein bisschen Honig, gerade
genug für die Mundhöhle der Mona Lisa, einen hohlen
Zahn des Skaphander. Mit unserer Verbeugung
vor der Leiter zum Bett des Prokrustes, der uns die
Hammelbeine langzieht. Mein Geist ist ein schwarzes Schaf,
ein Windhund, darüber am Himmel Raketoplane, zärtlicher
als die Bienen, die es einmal gab. Wir befinden uns
im Weingarten der Sprache, der Schnee fällt hier mit dem Rücken
zuerst, als wäre er ein blaues Tier. Aha, die Wirklichkeit
haust in den Zimmern (izby), svet heißt die Welt
und Bono heißt Bono. Durch ein Guckloch zu Beerscheba
betrachten wir die einzige Blondine des Neuen Testaments,
Maria Magdalena, versonnen und spitz hantiert sie
das Löffelchen, vor sich Dantes Fußabdruck, gelöst
in einem Glas Wasser
Begrüßungsgedicht für Michal Habaj, Mila Haugová, Rudolf Jurolek, Dana Podracká, Martin Solotruk, Ivan Strpka, Nico Bleutge, Christian Filips, Sylvia Geist, Kerstin Hensel, Christian Steinbacher, Uljana Wolf

26. Juni 2014 11:32










Andreas H. Drescher

Sirup

Woher auch immer die Hitze in meinen Händen kommt,
Die Stadt kriegen sie nicht zu fassen.
Das Dorf war mir noch
Leicht
Durch die Finger gerieselt.
Auch das nicht zu greifen.
Doch kühles Rinnen immer
Hin über den Handballen
Das meine Fingerbeeren zu Gelee kochte.
Ich gab meinem Versagen also einen neuen Namen:

Sirup

26. Juni 2014 08:01










Christine Langer

Disteln

Die Silberlinge
Lassen ihr Köpfchen hängen
Fallende Silberköpfe
Knöpfe am Wegrand
Köpfe der Stille die silbrigen Taler
Die Täler des Einsamen
Monde im Taglicht
Gefranste Münzen Mützchen
Voll von Flaum und Dornensaum
Glanzpunkte Kronen die Krönung
Im farbigen Treiben
Heranwachsende Hommage
An eine verborgene Sprache

25. Juni 2014 16:41










Christian Lorenz Müller

Fernsehbilder aus Aleppo (10. Juni 2013)

Ihr ererbter Name, Michail Timofejewitsch,
gilt in tausend Sprachen gleichviel
wie die Wörter Aufstand und Unterdrückung,
er lässt die Augen junger Männer glänzen
und die Augen jener, die in einer Nacht
zu Greisen wurden, vor Schreck sich weiten.
Der radikalisierte Koranschüler in Pakistan
spricht ihn aus und der Kindersoldat im Kongo,
der Bodyguard des syrischen Präsidenten
und der kolumbianische Drogenbaron.

Früher, Michail Timofejewitsch,
war von der Braut des Soldaten die Rede,
heute hat der Rebell oder der Scherge des Diktators
eine Hure in Händen, die es von beiden Seiten
mit sich machen lässt, eine geliebte Hure,
die in Augenblicken namenloser Angst
an die Brust gedrückt wird, nacktes Eisen
an einem nackten Herzen.
Michail Timofejewitsch, erkannten Sie sich irgendwann
als jener Lude, der dem Sensenmann
das Sichelmagazin erfand?

Die Brust mit Orden beklimpert,
schelten Sie die Händler, schelten Sie die Politik
und scheinen dennoch stolz auf Ihr Werk,
stolz auf Ihren Namen, den schon Ihr Vater trug,
ein Bauer, ein einfacher Mann,
den kaum jemand kannte.

24. Juni 2014 19:16










Andreas H. Drescher

Apfel

Die eine Seite des Apfels – von Steinen ge
troffen – auf der schmeckt er am besten

Weil dort die Kraft des – Wurfes auf
gehoben ist die Kraft – des Wurfes und

die Wucht des Falls
(für Christine Langer)

24. Juni 2014 08:31