Christian Lorenz Müller

Wer weiß schon

Der See buchtet sein Braun
in die Wälder, gründelndes Sonnenlicht
in moorigem Geheimnis.
Du hast dir die Hände
mit Henna gefärbt,
Torfflaum rötelt dir die Schultern.
Komm, legen wir uns auf den Rücken,
ruhen wir schwebstoffleicht
im abendlichen Wasser.

Wer weiß schon, ob sich der Sommer
noch einmal so ruhig und tragend
ausstreckt unter uns.

12. Juni 2014 18:40










Christine Langer

Liebe goldene, vergoldete, leuchtende Fische,

ich freue mich sehr, einen neuen Unterwasser-Gefährten einladen zu dürfen. Ich habe Christian Lorenz Müller vor ca. 10 Jahren bei einem Textwerk-Lyrikseminar im Literaturhaus München kennen- und schätzen gelernt. Er ist 1972 in Rosenheim geboren, gelernter Trompetenmacher und lebt in Salzburg. Vor 4 Jahren erschien sein Roman „Wilde Jagd“ bei Hoffmann und Campe, er arbeitet derzeit an einem weiteren Roman. Er schreibt aber auch Gedichte und erhielt dafür den Georg-Trakl-Förderungspreis. Auch seine Rezensionen finde ich bemerkenswert; seine Kritiken sind stets eingebettet in einen dynamisch-rhythmischen Sprachfluß. Herzlich willkommen, lieber Christian, auf daß Du uns mit auf viele Meeresgrund-Entdeckungsreisen nimmst, zu Muscheln, Korallen, kreative Tiefen des Untergrunds!

12. Juni 2014 18:37










Andreas H. Drescher

DER SÜDEN VI

Ein harter Herr sitzt jetzt auf dieser Bierbank, ganz allein. Und sieht sich selbst als Süden diesem falschen Dampfer nach. So lange schaut er sich hinterher, bis ihm die Bierbank unterm… Unter was? Und was? Zum Ausguck wird… Ausguck Zenit. In Garben. Seefahrer sagen: Im Süden steckt das Salz. Deshalb Zenit. Damit es auch nach oben geht. Er fragt sich jetzt, wie viele von uns er vertäut hat. Waren es neun, waren es dreizehn? Das Sinnieren macht ihm Freude. So schert er sich nicht um die Zahl hinterm Sinnieren. „Vordersteven“. Das Wort denkt er gern. So müde denkt er sich daran, dass es ihm ist, als hätte er das Meer in Salz zu sieben. Und schließlich trägt ihm eben dieses Meer die Dreizehn quer durch alle Decks. Um mit uns zu wetten. Um mit uns zu wetterwetten. Um mit uns zu wettereifern: steuerfahnderisch, steuerflüchtlingisch. Im Ernst. Sonst kommt er nicht dazu, seine Schulden einzulösen.
Wettschulden sind Wetterschulden.

12. Juni 2014 06:28










Björn Kiehne

Kurfürstenstraße

Ich zeige dir die Nacht,
lass dich teilhaben
am Hunger der Stadt;

für dich die Rose,
die Schrift aus Schnee,
in der ich deinen
Namen auf den Asphalt schreibe;

du läufst auf und ab,
ziehst im Gehen seine Linien nach,
versuchst dich zu erinnern:
das Dorf, der Garten, das Lachen;

die hungrigen Autos warten,
stehen Schlange für dich,

das Mädchen, die Straße, die Welt,
die Welt mit der Wunde
zwischen den Beinen;

später dann leuchtest du
die Nacht aus mit Blicken,
die dir nicht mehr gehören;

wachst am Morgen zwischen
Müllsäcken auf,
wo es nach Erbrochenem riecht
und vergossenem Wein;

Gedanken lösen sich aus deiner Stirn,
legen einander die Hände
auf die Schultern,
reihen sich zu einer Polonaise
hinunter zum Kanal,

dorthin,

wo ein Schiff auf dich wartet,
ein Schiff, das dich fortbringt,
fort aus dieser hungrigen Stadt.

11. Juni 2014 13:07










Mathias Jeschke

Freibad

Stille lockt im glucksenden Leuchten.
Über dem Becken ragt der Turm.
Ich springe und lass mich verschlucken.

Seht, in der Sonne der brennende Dorn!
Hinunter, um mich in Blau zu kleiden.
Stille lockt im glucksenden Leuchten.

Zu Spott nicht zu werden, zu knicksen,
nicht schwer mich verstiegen zu haben:
Ich springe und lass mich verschlucken.

Was mich erwartet im Feuchten?
Kann ich mich hinter mir lassen?
Stille lockt im glucksenden Leuchten.

Furcht in den Sprung hineingenommen,
mit dem Scheitern gemeinsam gestürzt.
Ich springe und lass mich verschlucken.

Ein Taucher, beherzt. Zu den Korallen!
Hinunter, um lustig hinaufzugischten.
Stille lockt im glucksenden Leuchten.
Ich springe und lass mich verschlucken.

10. Juni 2014 21:41










Mathias Jeschke

Tankstelle

Halle aus Licht am Rand des Geländes,
mein fahriger Blick streift Ungefähres.
Ich führe den Stutzen behutsam ein.

In der Rechten flexibel den Schlauch,
in der Linken den dinglichen Stutzen.
Halle aus Licht am Rand des Geländes.

Der scharfe Geruch ein sinkender See,
an der Säule salutieren die Zahlen.
Ich führe den Stutzen behutsam ein.

Es klirren die Sporen an meinen Stiefeln,
im Radio die Beichte einer Gitarre.
Halle aus Licht am Rand des Geländes.

Was hinter mir liegt, schafft eine Leere,
die will ich befüllen mit all meiner Kraft.
Ich führe den Stutzen behutsam ein.

Es liegt ein duftendes Sehnen im Abend,
dies sei der Moment, in dem es geschieht.
Halle aus Licht am Rand des Geländes.
Ich führe den Stutzen behutsam ein. 

9. Juni 2014 23:08










Hendrik Rost

Zeitgeist

„Da trat Petrus auf, zusammen mit den Elf! Diese Männer sind nicht betrunken, wie ihr meint:
Ich werde von meinem Geist ausgießen über alles Fleisch. “
Buch der Taten

An einer umtosten Kreuzung
wartet einer mit seinem Rollator
im Trikot der Männer

der Spielerfrauen schwer atmend
in der Pfingsthitze. Das Gefährt
geschmückt mit Fahnen

in Farben, die wir lieben
zu verachten, dann springt
die Ampel um. Die Grünphase

dauert Sekunden. Auf alles,
was heilig ist! Siege und Lebenslagen
stecken tief in den Knochen.

9. Juni 2014 15:42










Markus Stegmann

weniger als

weniger als
war
wieviele
waren weniger
dran
oder
drin waren
wieviele als
wenig weniger
wurde im
weniger
waren
wären sie
fast nicht
mehr
wieviel von
wenig wäre
weniger als
nichts

für rebecca f.

7. Juni 2014 20:59










Hans Thill

… von den Wäldern …

Von den alten Wäldern haben wir noch
die Finger, zwanzig an jedem Gerät,
um zu wählen und drei in einem nächtlichen Organ

Die Schrift verstummt im Imperfekt,
im Schlaf reißen wir uns die Beine aus.
Während der Baum das Licht liebt und wir noch
Sätze aus Salz reden, sieht er schon die
lange Kolonne der Tanks

und der ganze geschmeichelte
Wald öffnet sich einer Armee. Die Soldaten
haben Flecken am Gebein, Grün an den Helmen.
Sie tragen Namen auf der Brust, Blüten im Mund von einem
geschlagenen Baum

5. Juni 2014 22:22










Mirko Bonné

Elizabeth Street

Es ist schwer, wenn die Abschiede beginnen,
denn alles sagt es, Verschwindenmüssen,
Wiederkehr möglich, doch nie mehr so.
Darum dräng ihn zurück, den nächtlichen
Himmel, in den du hineinfliegen wirst. Geh,
zwischen herbstlichen Wohntürmen, und
in Gedanken nimm die Tram zur Bucht.
Red dir ruhig ein, dass es gut war, besser,
du sagst dir, es ist gut. Behalt keinen Kiesel.
Du vergisst bloß, wo er mal lag, auf dem Dach
eines dunklen Hotels, die Nacht, wie sie roch,
und im Regen die Ufer der Elizabeth Street.
Es wird Zeit. Bye bye pride! Es ist gut.
Nimm sie mit – jetzt ist es soweit –,
das große Licht, die Freundlichkeit.

*

5. Juni 2014 10:40