Mirko Bonné
Allein in dem Palast, aber über den See kommen die Lichter und scheinen nach einer Bleibe zu suchen. Dunkel wie die Täfelung ist das Wasser, eine Stille unterbrochen nur von Kühlaggregaten. Wenn ich hinunter zum Seeufer gehe, muss ich in Schlangenlinien gehen. Und weiß schon auf den Serpentinen, dass unten niemand sein wird. Dann blick, sag ich mir, über den schwarzen Spiegel, schon schimmert darin das Künftige auf – wohin ich mich auch wende, die Nacht, die Widerspiegelungen, alles Zukunft. Ich möchte sofort ein Gespräch mit einem Freund führen. Ich bin ohne Töchter angekommen und ohne Hast, mein Zimmer hat Sarggröße, aber über dem See liegt weiter das versöhnliche Dunkel. Berliner weltverengendes Gespräch ohne Vorstellung, wie es irgendwem geht. Häppchen Chicoréeschiffchen.
Ein Freund sagt dir endlich ernste Worte, bevor er aufbricht zur U-Bahn, weil es keine Betten gibt. Jenseits der moosigen Bahnsteige das Seeuferdunkel. Licht leuchtet, wo geschlafen werden muss. In diesem Palast habe ich mit dem Mondgesicht getanzt, hier war die Vergangenheit jedes Mal zu Ende und hängen immer noch Trugschlüsse an den Wänden. Und auch darin schimmert das Kommende auf.
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18. Februar 2025 19:55
Mirko Bonné
Why be only cinder,
says the crow to the cranes,
when you stand in light, why
is my song a caw. Waa!
skyscrapers, trams.
I had feathers as motley
as clouds Waa! in the icy
wind. Had rivers as plumage,
claws that etched the sounds
of the trees into the ground, so
Waa! was a path to the warmth
of the summer street. It was a fire.
Was flames, a red blaze,
ghostly Waa! a burning
window. I flew through it,
and it was the eagle, was Waa!
the god who blackened me,
left me mute and searing.
Song and map and mantle,
in crow dreams Waa! they
are one. I came to a morning.
And treetop was the great light.
For Tony Birch
(Translated by Mirko Bonné)
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20. Januar 2025 17:25
Mirko Bonné

Und ich seinerzeit! Ich war 14, die zweite Ehe meiner Eltern ging in die Brüche. Ich erfand die Geschichte eines Fußballvereins. Erste Höhepunkte. Politik? Poesie? Eher Musik, „Follow you, follow me“, die Kunst der Geheimhaltung und die der Lust. Joy Div hörte ich nicht, solange es die Band gab. Bei Michelle am Hamburger Hauptbahnhof sah ich zum ersten Mal das Cover von „Love Will Tear Us Apart“ und den Engel darauf, der zu Stein geworden war aus Kummer. Ich schrieb noch keine Gedichte, aber ich erfand die Geschichte eines Fußballvereins. Ian Curtis nahm sich im Mai 1980 das Leben. Als ich an seinem Grab stand – ich kam aus Schottland und fuhr nach Wales –, lagen darauf lauter hellblau-weiße Schals. Ian war loyal supporter der Cityzens, von Manchester City, das 1979 kein Aktienverein war, sondern Team der Vorstädte, vom Rand. „Love Will Tear Us Apart“ und alle Songs von „Closer“ können zu Weihnachten 1979 entstanden sein.
Foto und Facebookbeitrag verdanke ich Sven Meyer.
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26. Dezember 2024 21:28
Mirko Bonné
DAS HAUS VERLASSEN. Nur wenig mitnehmen.
Eine Handvoll Schatten, den Umriß von Tisch und Stuhl.
Die Schlüssel liegen lassen, die weißen Seiten
zwischen den ungelebten Jahren deines Lebens.
Dieses Leben. So, wie man die Sprache verläßt,
um mit der Stille zu reden. Einziehen in Trauer
und Schnee, auf die sich unser Herz verläßt.
Sich niederlassen in einem Wort, das man noch
nicht gefunden hat, um das man erst
mit dem Tod würfeln muß.
Christian Saalberg
(10.12.1926–25.5.2006)
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10. Dezember 2024 17:35
Mirko Bonné
Mit einem Dach und seinem Schat-z
Ich eine kleine Weile-stand
Von bunten Pferden all-em Land
Das lange zögert-untergeht
Zwar manche-vag-gespannt
Doch alle haben-Nieren
Ein böser Roter-geht mit ihnen
Und dann und-weißer Elefant
Ein Hirsch ist da ganz-Wald
Nur dass er einen-trägt und drüber
Ein-blaues Mädchen auf
Und drüber lö-tet weiß ein Junge
Und-mit der Kleinen heiß
Dieweil der Löh-ne zeigt und Zunge
Und-wann ein weißer-Fant
Und auf dem-kommen sie
Auch Mädchen helle-Pferde
Fast schon-mitten In-ge
Schauen irgend-über
Und dann und-Elefant
Geht hin und eilt-es endt
Kreist und dreht-und hat kein
Rot ein Grün-vor send
Ein klein-begonnen-Viel
Und manch-ein Lächeln wend
Ein-ges das blend-verschwend
Dies atem-blinde Spiel
** Rekonstruktion von Rainer Maria Rilkes Gedicht „Das Karussell“ nach Mitschrift der Schallplattenaufnahme „Goldne Deutsche Feder“ (Eterna, VEB Deutsche Schallplatten der DDR, Lesung Albrecht Fabers vom 4. Dezember 1950 in Chemnitz) – Anm. d. Autors
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4. Dezember 2024 12:02
Mirko Bonné
And the gates / Of the town closed as the town awoke.
Dylan Thomas
Die Wellen, die draußen ertrinken wollen,
laufen zum Schlafen alle in die Dünen.
Und du bleibst? Meinetwegen. Gut, bleib.
Die Strände lang versinken grauenvolle
Schätze im Schlamm, und zwischen ihnen
führt deine Spur, als wär sie selber Welle.
Kennst du am Ortsende die Engeltankstelle?
Der Küstensaum ist Küstenwall. Alles treibt
gut oder übel sonst her. Schon ist es weg.
Binnenland so ein Backsteinort, der träumt
von krummem Regen. Such ein Versteck
am Sonnenheizofen, und du findest keins.
An den Himmelsfäden runter hängt eins.
Vorm Ortsende kommt die Engeltankstelle.
Jeder Schuppen ein Käfer, die Beine Pfähle
mit Muschelpocken, wo Jungs hämmern.
An Leinen knallen blau Röcke. Die räumt
der Wind in die Luft, wenn es dämmert.
Die See kommt nicht zu Besuch, fast nie.
Sie kennt ja alles, nur keine Diplomatie.
Aber am Ortsausgang die Engeltankstelle.
Und in den Zimmern aus Zwieback und Ale
Häher-Gourmets, Möwen-Versteherinnen.
Kinder-Krähen. Mit Glück knospt ein Kahn
in einer Bö. Alles was zählt, ist drinnen,
draußen ist zu. Nimm dich jemandes an,
und bist’s nur du. War’s das? Dann geh.
Am Ortsende siehst du die Engeltankstelle.
Für Jan Wagner
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22. November 2024 16:57
Mirko Bonné
Scheuerbambler, original
Tabak-Blatt-Bündel, an den
Stielen, mit Draht, zusammen-
gebunden, wurde in Scheunen
zum Trocknen aufgehängt,
aus Ranstadt / Wetterau,
um 1946, guter Zustand.
Tabakschneidebänkchen,
Kurbelvorschub u. 20 cm
langes u. 4 cm breites
Wännchen aus Stahlblech,
8 cm hohe Alufüße, in deren
Flansch lagert die Vorschub-
spindel; Schneidehebel,
Alu, Messerklinge, Stahl,
gewerblich, um 47.
3 lose, filterlose Zigaretten,
Chesterfields, mit Logo,
etwaige Nachfertigungen,
Tabakschneider 1948,
Alu, zeittypische Merkmale
(rauer, löchriger / pickliger
Guss u. Handfeilmarken),
Kurbeln schiebt gepresste
Blätter automatisch vor u.
schneidet ab
Für Jürgen Becker (1932–2024)
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10. November 2024 15:15
Mirko Bonné
Hedva Harechavi
Migo
bringt meinen Migo wieder
bringt mein Heiliges wieder
bringt meinen Orakelstern meinen Augenstern wieder
bringt mein wunderschönes Ewigkind wieder
Indianerengel mein
Weltherr mein
bringt meine Nachtleben wieder
Nächtlein um Nächtlein mein
kriechen laufen rennen tanzen singen ganze Nacht meine
bringt meine Seele wieder
Kopfherzblutknochen mein
Hungerunddurst mein
Lichtundsiege mein
Haus mein
aus meinem Zimmer die Wärme mein
bringt wieder worüber ich nie gesprochen hab
den Moment
diesen einen
dort
wie dort
drei Uhr morgens
am Ufer eines gewaltigen Sees
und keinerlei Aufsicht auf Erden
und keinerlei Aufsicht im Himmel
und der Walfisch fragt: „Wie? Ist es wahr? Alle Ozeane
haben keine einzige Wand?“
Aus dem Hebräischen von Yevgeniy Breyger
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7. Oktober 2024 17:34
Mirko Bonné
Seit Juli vermisst: Schildkröte.
Der Zettel mit Zeichnung, gepinnt
an die nachtwarme Hauswand,
erzählt von ihr, aber nicht viel.
Man erfährt nicht, wie groß sie ist,
noch steht da etwa ihr Name – du
heißt womöglich genau wie sie.
Gleich, wie lang es sie schon gibt,
40 Jahre (dann hätte sie die Größe
eines Kindersoldatenhelms) oder
70 (mit einem verirrten Mähroboter
würde man sie verwechseln) oder
auch 120 (sie gliche dann einem
der friedfertigen Provencewarane) –
dein Alter bemisst du an ihrem.
Wilde Schildkröte, kriech weiter
durchs Hochsommerdunkel, setz
einen Fuß vor den anderen und sei
nicht die Ruine einer Orangenhälfte.
Die Trompete des Donners. Summen
müder Grillen. Oben in die Stille gekippt
Geglitzer in den Sternwipfeln. Oleander
ist ein schleppendes Feuer, ein Rosa,
so tief, dass der Tag darin ertrinkt.
Der Nachtduft atmet. Lauwarm ist er
wie die Hand des Mädchens, dem
sie gehört und dessen Pulsschlag sie
noch durch ihren Panzer gespürt hat.
Komm schon, flüsterte es, zeig mal
den Kopf. Manchmal spielt sie noch
Römische Formation. Oder sie fängt
aus der Luft ein Knisterblatt. Schon
bündelt sie alle Bewegung, jedes
glücklose Eilen, zu dieser Stille,
die sie ganz so enthält, wie sie
alle Schildkröten enthält. Außen
erlischt sie, innen kriecht sie weiter
hinaus aus dem Tod, und dir zeigt sie,
der hier sterben muss, das bist du.
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9. September 2024 11:29
Mirko Bonné
Plötzlich unter den Rosen,
Worte über meinesgleichen
auf den Lippen und meine
Ansichten von Rosen.
Spaliergeschöpfe ihr,
von April bis September
vertraut mit der Vorsicht
der blassen Postbotin,
ihr wehrhaften Blumen
in den Menschengärten
wendet das erloschene
Gesicht zur Sonne?
Laut euren Duftnoten
ist es etwas komplizierter.
Kein Absender, kein Datum,
und die Stempel verwischt.
Also bitte, liebe Rosen,
wo ist das Problem?
Ihr habt Dornen,
ich Zähne.
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12. Juli 2024 12:25