Als der Arzt auch rechts einen Leistenbruch diagnostizierte und meinte, wir würden zuerst den linken operieren und dann nach drei Monaten den rechten, da bat ich darum, gleich beide in einem Abwasch gemacht zu bekommen, dann, so meinte ich, hätte ich es immerhin hinter mir. Er sagte, das könne er so gar nicht entscheiden, sondern nur der Chefarzt und der würde dann deswegen später zu mir kommen. Der Chefarzt kam dann auch, ließ mich husten und meinte, wir könnten es so machen, ich sei ja kräftig. Das machte mich stutzig. Aber gut …
Als ich aufwachte nach der OP, träumte ich von Betonblöcken, die mir jemand auf den Bauch gelegt hatte. Schwere Klötze, die mich zu ersticken drohten und die ich keinen Millimeter bewegen konnte. Ich wachte also auf und sah zwei schwere Sandsäcke, die tatsächlich auf meinem Bauch lagen und die Operationsnähte von außen beschwerten, damit ich nicht im Schlaf beim Husten die Narben sprengte. Ich sah also diese Säcke und im selben Moment setzten die Schmerzen ein. Es war eine Mischung aus Seekrankheit und bohrenden körperlichen Schmerzen, die so stark waren, dass ich versuchte, nichts zu tun, weder zu atmen noch nicht zu atmen oder mehr zu bewegen als eine Hand ganz langsam auf den Knopf neben dem Bett zu, mit dem ich die Schwester herbeiklingeln wollte. Dabei muss ich wieder eingeschlafen sein oder ich war ohnmächtig geworden. Als ich wieder erwachte, waren die Klötze verschwunden und der Druck geblieben. Ich dachte nur: klingeln, aber die Schwester kam ohnehin und brachte gleich eine Spritze mit, die sie mir oberhalb der Thrombosestrümpfe in den Oberschenkel gab, und sagte, „gleich wird’s besser“.
Besser? In einem Bruchteil von Sekunden kam eine warme Woge des Wohlgefallens von hinten auf mich zu, hob mich an und nahm mich mit auf einen Ozean der, zugegebenermaßen exogen erzeugten Freude. Schmerz war vergangen. Ich ließ mich sanft schaukeln und spürte in mir eine Zufriedenheit, die ich bis dahin noch nie erlebt hatte, die ich nicht einmal für möglich gehalten hatte, so fraglos und mild. Wie eine Mutter, eine große, milde Mutter, dachte ich.
So schaukelte ich eine Woche lang auf den Moment hin, wo ich das Ufer wieder erblickte in der Ferne, wo harte Realität lauerte und das Land von Pein besiedelt war. Also klingelte ich und bat um mehr und ich bekam mehr, denn ich war ja der, der beidseitig konventionell operiert worden war. Der, von dem man angenommen hatte, er sei stark genug, der, dem man diese Schmerzen also schon zugestanden hatte.
Das gute Gefühl. Das beste Gefühl, das ist es, wonach alle jagen. In der Werbung, in der Liebe, im Partner, im Erfolg, in der Kunst, im Schmerz, im Aufopfern, in der verdammten Aufmerksamkeit. Als ich es erlebt habe, wusste ich nicht, dass es das ist. Es gab keine Trennung in dies und das. Alles war – einfach nur. Ich konnte keine Zeile lesen zu der Zeit, sie verschwammen mir vor Augen. Ich lag im Bett und sah MTV, bunte, schnell geschnittene Bilder, die meine Aufmerksamkeit nicht belästigten. Ein Freund besuchte mich einige Male im Krankenhaus, wir unterhielten uns. Als ich entlassen wurde, hatte ich vergessen, dass er da gewesen war. Oder nicht vergessen, es spielte keine Rolle mehr. Das war ohnehin die hl. Droge.
Ach, der Leistenbruch, der war angeboren oder erworben. In jedem Fall eine Schwäche, und dann kommt dieser Druck von innen nach außen. Und das Gefühl platzt.
23. Mai 2012 16:08