Hans Thill
Norbert Randow (1929 – 2013)
MIRELA IVANOVA
Ein und dasselbe
für Norbert Randow
Es ist schon rührend, zwei verschiedene Schuhe hat es an und trägt einen Filzhut, Mottenfraß seit einhundert Jahren, in der Straßenbahn tritt es seinen Platz ab, aber aussteigen kann es nur mit größter Mühe, achtlos geht es an den Schaufenstern vorbei, das Leben ist leer geworden wie die Regale, drei ordentliche Flicken hat es auf einem Mantel, in vier Fremdsprachen redet es mit sich selbst, ich bin ein kleines Bulgarenkind, trällert es auf bulgarisch, und gutmütig ist es und ekelt sich nicht, das arme Kind, es kommt angelaufen mit der Bettpfanne, von Zeit zu Zeit macht die Hundertjährige unter sich, dann wischt es ihr den Arsch ab und sich die Tränen, das Haus ist voll von der Leiche, und dann trinkt es ein paar Nikephoros-Schädel Bourbon aus, rast los mit dem BMW, versichert seit dreizehn Jahrhunderten, eilt mit Brot und Salz die »Brüder« zu begrüßen und die Führer, ist irgendwie naiv und zugleich mit allen Wassern gewaschen, wedelt mit Blüten-sträußen vor den Wechselstuben herum, fischt im Trüben, rutscht den Buckel runter, macht »Radka, die Piratin« an und, hopsa, tanzt, trauert und schachert auf den Plätzen, läßt Regimes und Sklavereien über sich ergehen, Stammtischheld, Messer her, jetzt knallt´s, erzählt dunkle Witze zu dunkler Stunde, stopft sich voll mit Zitaten, mit hausgemachter Lukanka und Radio Liberty, gehorsamster Anarchist, Herrgott, ist das die bulgarische Würde, ist sie das, du unsre bejammernswerte Heldenmutter?
Aus: Einsames Spiel, Heidelberg, Verlag Das Wunderhorn 2000, deutsch von Norbert Randow