Christian Lorenz Müller
WINTERGEWITTER
Das Eichhörnchen blitzt
schwarz im Schnee. Dann der Donner
der Räumfahrzeuge.
Das Eichhörnchen blitzt
schwarz im Schnee. Dann der Donner
der Räumfahrzeuge.
Dies ist die Zeit, in der auf dem Parkplatz
des Baumarkts Wälder wachsen,
in der sich der Leiter der Gartenabteilung
zu einem mürrischen Engel verwandelt.
Die Glut seiner Zigarette zieht als Stern
durch dämmrige Stunden.
Ein Rom treibt einen abspenstigen Einkaufswagen
zurück zu seiner Herde,
kettet ihn gegen fünfzig Cent
in den Stall, und natürlich
fängt es an zu schneien,
die Flocken nässen
einen abgestellten Kinderwagen.
Gleich hinter der Eingangstür
plärrt der Säugling,
seine erschöpften Eltern
tragen ihn durch Kerzen, Lichterketten,
durch goldenes Gekugel im Sonderangebot
und zwei Sorten Räucherwerk
in der praktischen Plastikdose.
Wer auch immer hier
auf Herbergssuche ist
geht in die Baustoff-, die Holzabteilung
und zimmert sich sein Obdach selbst.
Ihr Dowayos!
Die Weißen sind seltsam. Ich habe euch ja schon oft von ihren riesenhaften Steinhäusern erzählt, die voller großer Kisten und rätselhafter Gerätschaften sind. Ein einziger Raum in diesen Häusern ist so groß wie eine ganze Hütte in Dowayoland, und dieser Raum wird immer nur von einem einzigen Menschen bewohnt und niemals von Mann und Frau, Kindern, Kindeskindern, Cousins, Cousinen, Onkeln und Tanten wie bei uns.
Nun aber, da es kalt zu werden beginnt, geschieht etwas Merkwürdiges: Die Weißen bauen sich Hütten aus Holz, Hütten, neben denen sich selbst die Lehmbehausungen von uns Dowayos stattlich ausnehmen. Die Hütten werden mitten zwischen die allergrößten Steinhäuser gestellt und sofort bezogen. Ganz anders als die Steinhäuser, an denen ich kaum einmal einen Schutzzauber gesehen habe, werden diese Hütten mit Unmengen von seltsamen Fetischen und Amuletten behängt: Mit hölzernen Figürchen in kuttigen Kleidern, die allesamt Flügel haben; mit stacheligen Kränzen, auf denen Kerzen brennen; mit Sternen aus Stroh und bunten Kugeln, in denen man sein Gesicht erkennen kann. Diese Schutzzauber müssen sehr stark sein, denn die Weißen kommen in Massen, um sie zu kaufen.
Das Erstaunlichste aber, ihr Dowayos, ist, dass ausnahmslos alle Weißen, die es zwischen die Hütten zieht, einen magischen Trank zu sich nehmen. Er wird in großen Kesseln angerührt und erhitzt und schmeckt genauso ekelhaft wie das Gebräu, das uns unsere Dowayozauberer verabreichen. Die Weißen schlürfen ihn mit großer Gier, damit sie ihren Göttern näher kommen. Denn nicht wenige beginnen nach zwei oder drei Tassen klagende Weisen zu singen, Weisen, die sich ganz anders anhören als alles, was ich bisher an Musik im Land der Weißen gehört habe.
Ihr Dowayos, die Weißen sind wunderlich! Ein ganzes Jahr lang tun sie so, als gäbe es keine Magie und keinen Zauber, als wären ihnen ihre Götter völlig egal. Und dann plötzlich spüren sie ihre Seelen, bauen Hütten aus Holz und brauen magische Tränke.
Vielleicht sind sie uns doch viel ähnlicher, als ich es bisher geglaubt habe.
* Der Stamm der Dowayos lebt im Süden Kameruns in unzugänglichem Bergland. Kontakte zur „weißen Zivilisation“ sind selten. Erstmals näher beschrieben wurden die Dowayos von dem britischen Ethnologen Nigel Barley, der mehrere Jahre unter ihnen lebte. (Nigel Barley: „Traumatische Tropen. Notizen aus meiner Lehmhütte“. Erhältlich als dtv-Taschenbuch.)
5. Dezember 2018 11:00Wirf den dreisten Räuber ab,
wirf ihn ab und komm zu mir zurück.
Dann striegle ich mit dem Poliertuch
Glanz in deinen blauen Lack,
dann fliegt die wilde Mähne Freiheit
mir wieder ins Gesicht.
Die Sonne schnaubte
auf deinen Alunüstern
wenn ich mit dir durch Stadtprärien stob,
mit galoppierenden Pedalen
Herden von Terminen jagte.
Komm zurück,
bring mir die beiden Köcher,
die voller Speichen sind,
und meine Beine spannen sich erneut
zu Bogensehnen:
Dann macht Erwartung
deine Reflektorenaugen rot,
dann höre ich
das aufgeregte Kriegsgeschrei
der Klingel, dann kämpfen wir gemeinsam
gegen Blechkomantschen
und bringen reiche Kilometerbeute ein.
Nein, du kommst nicht zurück.
Ewige Jagdgründe
nehmen dich nun auf,
Jagdgründe der Erinnerung.
Auf Pflastermörsern
zerstoßen Sohlen das Rot
der Buchenbäume.
Die Kehrmaschine
bürstet das Blattgold gegen
die Mittelstriche
und der Besen des
Hausmeisters aquarelliert
zwischen den Wohnblocks.
Unüberhörbar
im Park: Laubbläserbatik
aus dem Gartenamt.
Ein starker Herbststurm
als Action-Painting. Regen
verwäscht die Farben.
Die Kratz- und Schabe-
technik der Rechen in den
Gärten der Nachbarn.
Das Eichhörnchen und
sein Schwanzpinselschlag über
der Farbpalette.
Abends der Krähen-
pointilismus in der aus-
gekahlten Eiche.
Später verfaulen
die Farben dann zu schwarzem
Suprematismus.
Ein Sprühstoß Ahorn-
rot bläht sich zum Luftballon.
Drunter der Häcksler.
Für Bernhard Lochmann
24. Oktober 2018 09:29Wann biedermeiert
mich denn wieder ein Dichter
butzenscheibenrund?
Wieder irgend so ein Dinosaurier
der auf Stahlbetonbeinen
durch das Grätzl stampft.
Gänge, durch die sich Kabeltrassen
wie Wirbelkanäle ziehen.
Du bringst kilometerlange Steuerleitungen ein:
Immer diese orangen Nervenbahnen in der Hand,
an denen bald schon die Computer
hängen werden, die Telefone –
alles, was den Dinosaurier
so in die Welt hinausschnuppern lässt.
Wochenlang verbuchst du diese Leitungen
in den Büros, rennst jeden Tag
gegen Wände und Türen aus Glas,
überall Zellenwände aus Glas,
und am Ende des Monats fragst du dich
ob du tatsächlich noch ein Mensch bist
oder eher ein Neurotransmitter
der zwischen den Gängen, den Stockwerken hampelt
und dann stellst du dir vor
wie sie hier schon im nächsten Jahr
hinter ihren Schreibtischen sitzen werden,
Mitochondrien, die eine Winzigkeit
Energie produzieren, stellst dir vor,
wie sie aus dem 14. Stock
über das Stadtpanorama blicken
und sich wichtig fühlen, cool
oder vielleicht sogar erhaben
weil sie nicht wissen, dass sie sich nur
im Hals eines Brontosauriers befinden,
eines Brontosauriers von hunderttausend Brontosauriern,
in einer von zehntausenden von Städten;
in einem Hals, der in einen spitzen Kopf ausläuft
der die Wolken vom Himmel frisst
oder gleich die Sonne.
Und all diese Saurier
liegen an einer Glasfaserleine,
dünn wie ein Haar.
Du hast sie gesehen,
unten im Serverkeller, du weißt:
Ein Schnitt mit der Nagelschere
und der Saurier verliert seine Sinne,
die Fahrstühle bleiben ihm im Halse stecken
und die Menschen-Mitochondrien
gehen binnen Stunden zugrunde
weil das Notstrom-Aggregat
keinen Diesel mehr bekommt.
Zu groß, wird man später sagen,
wenn die Überlebenden des Meteoriteneinschlags
wieder in Hütten und in Höhlen hausen,
zu groß und nicht anpassungsfähig genug,
und man wird den ungläubigen Kindern
ein Stück Steuerkabel zeigen
oder einen Computer,
der längst nicht mehr läuft.
Für Michael B.
8. Oktober 2018 09:12Rund um die U-Bahn-Station
ein lärmendes Geläute
aus Dirndlröcken.
Angetrunkene in Lederhosen
ziehen an den Schürzenbändern,
klingeln Flaschenklöppel aneinander.
Der Gottesdienst beginnt in wenigen Minuten.
Schon sinken die ersten auf die Knie,
beugen, biergläubig, ihr Haupt.
Sie stehen wieder auf, schwanken weiter,
der Gegenwart eines Gottes zu,
dreieinig aus Gerste, Hopfen, Malz.
In tausenden irdener Monstranzen
wird er immer wieder in die Luft gehalten,
höher noch und höher.
Im Rausch, dem Allmächtigen,
wird jede Seele gesund –
Geheimnis des Saufens, das ein Nüchterner
nicht zu verstehen vermag.
Andere Situation, denkst du dir,
als du nach einem Band Bukowski
mit einer Tasse Tee
am offenen Fenster stehst
und den Hausmeister dabei beobachtest
wie er die Bio-Tonnen
für die Abholung bereitstellt,
Plastikhumpen mit etwas Obergärigem darin.
Daneben der Rasen,
diese Wilkinson-glatte grüne Visage
mit zwei akkurat gestutzten
Büschen oder Koteletten links und rechts.
Aber da watscht deine neue Nachbarin
die Wohnungstüre gegen den Rahmen
und zerrt ihr Balg
durch das Stiegenhaus nach unten,
hinaus auf den Rasen.
Sie hat ihre Shorts bis zum Platzen
mit ihren Arschbacken ausgestopft
und ihre Flip-Flops schnalzen wie zwei Zungen
als sie ihrem Sprössling
zeternd hinterherläuft.
Er hat sich eines von seinen sieben
herumliegenden Fahrzeugen geschnappt,
vom Bobby-Car bis zum Fahrrad
ist alles dabei.
Sein Papa steuert einen BMW
mit einem Auspuff, der ärger röhrt
als ein kaputtes Alphorn.
Andere Situation, denkst du dir
mit Blick auf deine Tasse.
Bukowski hätte etwas Hartes getrunken
oder zumindest ein Bier.
Die Pumpe: Dunkelgrün lackierte Achse
um die sich alles dreht.
Unermüdlich geht der Schwengel
auf und ab und auf und ab,
rollen die heißen Sommertage
über die Beete.
Aus allen verfügbaren Gießkannen
blitzen Speichen silbern zur Erde.
Hell klingelt das Wasser
auf der Haut, wenn du dir
einen Guss auf die Waden gönnst.
Der Himmel eine Packtasche,
zum Platzen angefüllt mit Blau,
und unablässig, unablässig
geht der Schwengel,
treibt dich die Sorge
um die Rücklicht-roten Tomaten,
um die Zucchini, die den Umfang
eines trainierten Oberschenkels hat.
Spätabends endlich steht das Rad.
Du liegst erschöpft im Gras,
schaust hinauf in den Himmel
wo der Mond
sein Standlicht eingeschaltet hat.