Christian Lorenz Müller

REGENTONNENVARIATIONEN 16 BIS 26 (Fake Poetry in Haiku)

Wie ein Bullauge
vor dem die Wolken fliegen,
die weißere Gischt.

Die Linse eines
Fernrohrs. Und schon ein Wasser-
läufer kratzt sie blind.

Der flüssige Kern
von einer Probebohrung
im Regenhimmel.

Der Rand der Tonne:
Einem Finger aus Wasser
aufgesteckter Ring.

Kleiner Handspiegel
für den Himmel: Gerade
zieht er Wolken nach.

Die Kinder kochen
Hexesuppe. Im Kessel
Wasser, Wolken, Gras.

An Sommertagen:
Plätzchenform, die ein Stück Blau
aus dem Himmel sticht.

Sommers das Fallrohr:
Ausgedörrte Kehle, die
nach dem Becher giert.

Ihr Überschäumen
bei Gewitter, und ringsum
der berauschte Garten.

Nach dem ersten Frost
kippst du die Tonne, du wirfst
den Diskus aus Eis.

Gesäubert steht sie
als leeres Glas. Das Frühjahr
erst schenkt wieder ein.

31. Mai 2017 15:51










Christian Lorenz Müller

RASENSCHIMMER WEIST IHR DEN WEG

Die letzten Hagebuttenlaternen
verlöschen. Die Buchen, bestückt
mit Leuchtdioden, mit Knospen.
Mit aufblendenden Blättern
steht das Buschwerk vor der Terrasse.
Der Kellner deklamiert drei Euro zwanzig
für einen Verlängerten,
eine junge Frau reicht Plastikgeld,
Kabelgerank eines Blauregens,
und streckt ihre koffeinierten Glieder.
Aufstehend: Was für ein herrlicher Tag!
Rasenschimmer weist ihr den Weg
von der Bühne, der gelbe Applaus
eifersüchtiger Narzissen
in dem das Knallen
ihrer Absätze verklingt.

(Zu „kein fenster, ein bild“ von Christine Kappe)

23. Mai 2017 11:12










Christian Lorenz Müller

BITTE BEACHTEN SIE

Kein Fenster, ein Bilderrahmen
in den eine junge Frau sich selber malt,
Sitzende in Betrachtung der Sonne.
Daneben ein Stilleben
mit Lampe und Ikea-Regal

sowie die bekannte Schwarze Katze
neben grün gestreiftem Vorhang.

Bitte beachten Sie: Die Ausstellung
schließt spätestens am Abend,
es schließen sich die Fenster
des Wohnblocks, und das Lächeln
der jungen Frau verschwindet.

7. Mai 2017 11:57










Christian Lorenz Müller

ZAZEN (Sitzen mit verschränkten Beinen)

Ein Wort ist keine Blüte.
Es bricht aus keiner Knospe
und hat keinen Duft.

Ein Wort ist nicht einsam,
ist nicht ängstlich,
fürchtet sich nicht
vor der Leere.
Es kennt keinen Gleichmut
und keine Empörung.

Es bedeutet sich nichts
und meint dennoch
immer sich selbst.

16. April 2017 19:06










Christian Lorenz Müller

HAARIGE ZAHNSEIDE (Drei Aphorismen für Affen)

Kreationisten wollen nicht wahrhaben,
dass sie vom Affen abstammen. Das ist verständlich.
Es gibt immer Menschen, die sich für ihre
Verwandtschaft genieren.

Thailändische Tempelaffen benutzen
Menschenhaar als Zahnseide. In China wiederum
sah ich an einem Imbissstand einen Menschen,
der sich die Zahnzwischenräume mit einer
Hühnerkralle reinigte.

„Mach dich nicht zum Menschen!“, mahnte
der alte Affe im Zoo einen Jungspund, der Bananen
durch das Gitter warf.

12. April 2017 11:39










Christian Lorenz Müller

HANDSCHUHE INS GRAS

Ein warmer Wind
bindet die Birke so grün.
Der frisch gekehrte Himmel
und mein besenreines Herz.

Ich setze mich an den Fluss,
an das sonnenblanke Fenster,
werfe meine Handschuhe ins Gras
und ich sage:
Zwei nutzlos gewordene Wischlappen!
Schau, welch aufgeräumter Stimmung
die Leute sind, die auf der Lände liegen.

Du hast Feierabend
und das am frühen Nachmittag.

29. März 2017 13:04










Christian Lorenz Müller

DREI APHORISMEN FÜR REZENSENTEN

Die Rezensenten schrieben den Erfolg herbei. Als er angekommen war,
erwies er sich als lustloser Geselle, der dem Autor auf die Bühne folgte
und kein Wort herausbrachte.

Hauptsatzprosa: Arm- und beinamputierte Sprache, für die Rezensenten
nicht selten die Prothesen liefern.

Man lobte die Autorin für die „Alltagstauglichkeit ihrer Sprache“.
Was war damit gemeint? Dass sich dieses Buch in der U-Bahn lesen
lässt oder aufgeschlagen werden kann, bevor man den Müll runterbringt?
Alltagstauglich wie ein Waschlappen, ein Stück Seife oder das
Wohnzimmerparkett?

23. März 2017 11:50










Christian Lorenz Müller

DIESER SONNTAG IST DAZU DA

Das gelbe Schwärmen der Palmkätzchen
unten am Fluss, das Summen
zahlloser Spaziergänger.

Ein Licht wie Fliegenleim,
von Joggern, Radfahrern umzappelt.

Im Schatten liegt noch Eis
auf einer Pfütze.
Dieser Sonntag ist dazu da
auf die Sonne zu warten,
auf das schmelzende Schillern
des Chitins, sein Aufglänzen
und sein Verschwinden.

13. März 2017 12:12










Christian Lorenz Müller

DER DIE WELT ZERFLOCKT (Fotografien von Johannes Seyerlein in Haiku)

I

Etwas wie Schnefall
zwischen Stamm und Zweig, Schneefall
der die Welt zerflockt.

Und das Auge irrt
nach Konturen, erkennt nichts,
erkennt nur sich selbst.

Und die Betrachtung
wird zum Biwak. Du weißt dich
draußen, weil du frierst

II

Dann zieht sich der Schnee
auf Stämme zurück. Birken
wissen vom Winter.

Der schmelzende Schnee
schwärzt die Erde. Was weiß war
klebt an den Stiefeln.

Und das Unterholz:
Ein feuchter Verhau, der dir
all das Dunkle zeigt.

16. Februar 2017 10:12










Christian Lorenz Müller

VIER APHORISMEN ZU DONALD T.

Die amerikanischen Arbeiter sind Schafe.
Sie haben den Wolf zu ihrem Hirten gemacht.

Die Trump’sche Mauer: Ein anti-mexikanischer Schutzwall.

Wer Trump seinen Präsidenten nennt
gehört jetzt zum Establishment.

Diagnose: Dekretinismus.

30. Januar 2017 11:42