Gerald Koll
Das fünfzigste Jahr (156)
26. Februar 2016, ein Freitag
Heute leitete ich meine erste eigene Aikido-Stunde. Die Hälfte aller Schüler habe ich selbst mitgebracht: das war Frau S.
26. Februar 2017 13:37
26. Februar 2016, ein Freitag
Heute leitete ich meine erste eigene Aikido-Stunde. Die Hälfte aller Schüler habe ich selbst mitgebracht: das war Frau S.
26. Februar 2017 13:3725. Februar 2016, ein Donnerstag
Bin wieder in Berlin. Etwas bedauerlich, dass ich das Ladegerät nach Lanzarote mitzunehmen vergaß, denn innerhalb der Doppelpaar-Dynamik ergaben sich immer wieder Vibrationen. Das Zweisamkeitsbedürfnis von Frau S. ist höher als meines. Das andere Paar, spürbar länger verpaart als wir, geriet in wunderliche Reizbarkeiten, angespornt durch unterschwellige Konkurrenz.
Lanzarote liebenswert zu finden, ist nicht schwer. Es hat Kliffe, Berge, Vulkane, Küsten, Grotten, eine Ortschaft namens Nazareth und viele Bewohner namens Jesus. Einer davon ist Aikido-Lehrer und betreibt ein sehr schönes und warmherziges Training.
Auf Lanzarote hat übrigens jemand anders mehr zu sagen als Jesús. Das ist César. Lanzarote steht fest im Bann des Lanzarote-Erfinders César Manrique. Um ihn wird ein seltsamer Kult betrieben. Seine obsolete 70er-Jahre-Kunst definiert das (künstlerische) Selbstverständnis der Insel. Manrique gilt als Vorreiter des naturverträglichen Tourismus, stak aber so tief in den 70ern, dass sein „Garten der Krebse“ heute irgendwie verhunzt wirkt. Ein echtes Scheißmuseum mit furchtbaren Räumen voller Diagramme und verblichenen Erklärungen. Hinwiederum apart: Kellner mit altmodischen Westen, womöglich vom Meister selbst geschneidert. Sie bedienen an Tischen mit monströsen Aschenbechern, die Generationen von Rauchern überleben werden. Fraglich, ob Lanzarote Manrique verträglich fand. Auch ohne ihn verfügt diese sehr wüste und verschüttete Insel über eine erfrischend robuste Natur: mondhafte Gesteinsfelder, pompöse Gischten, abenteuerliche Versandungen.
Peinlichkeit beim Bezahlen im Verwalterbüro. Die Vermieterin verlangte mehr, als unser Kontaktmann und Wahl-Lanzarotiner O. (auch er liebt übrigens einen Mann namens Jesus) gesagt hatte. Wir hatten also zuwenig dabei, nörgelten halbherzig, und man vertagte sich schmallippig auf den nächsten Tag, um die Nachzahlung zu leisten. Zu unserem Unglück kam aber unser Wahl-Lanzarotiner O. ins Gehege und wollte die Sache klären, schritt forsch aus unserem Bungalow ins Büro, schritt bald forsch aus dem Büro in unseren Bungalow und verkündete forsch, wir müssten tatsächlich nachzahlen. Zu dem unliebsamen Termin erbot sich Frau S., die ich aus einem unsinnigen Galanterie-Reflex heraus begleiten wollte, um als Adjutant meine Kavaliers-Pflicht zu erfüllen. So also betraten wir beide am Folgetag das Verwalterbüro, Frau S. flötete Entschuldigungen gegen die deutlich angepisste Vermieterin, die nun leider kein Wechselgeld hatte, sodass Frau S. zum Geldwechseln in den Supermarkt musste und mich, der ich als unsinniger Schattenmann hinter ihr gestanden hatte, als Geisel zurückließ. In dieser Wartezeit, bestimmt fünf Minuten lang, schwiegen die Vermieterin und ich, taten aber auch sonst nichts, sondern tasteten lediglich mit unseren Blicken die leeren Wände ab. Diese Zeit gehört zu den großen, ja: unvergesslichen Momenten der Verlegenheit.
Der Rückflug verlief ohne Erbrechen.
25. Februar 2017 18:3017. Februar 2016, ein Mittwoch
Der Hochwald. Die Grottenwanderung. Die Krebse im Wasser. Der César Manrique.
Das Mirador El Rio. Die Aussicht. Der Timm Thaler. Das Essen. Die Verstimmung.
17. Februar 2017 14:07
12. Februar 2016, ein Freitag
Aufnahmen eines insulanen Wesens in nackter Landschaft. Aikido in Arrecife. (Die Tageszeiten sind austauschbar).
Nachtspaziergang.
12. Februar 2017 13:0511. Februar 2016, ein Donnerstag
Aikido in Arrecife. Fotografische Aufnahmen eines nackten mythischen Wesens in insulaner Landschaft (die Adjektive sind austauschbar).
11. Februar 2017 18:2310. Februar 2016, ein Mittwoch
Frau S. befiel während einer abendlichen Diskussion über das leidige Thema „Fleisch essen oder nicht“ eine mentale Übelkeit. Sie ging auf die Terrasse, ich hinterher, lockte sie auf das flache Dach: hinlegen, sterneschauen, weiteratmen.
Ich erzählte Frau S. meinen liebsten und meinen schlimmsten Traum, beide geträumt im Alter zwischen 20 und 30 Jahren: zum einen mein Heraustreten aus einem Hochhaus, dem Fahren mit dem Fahrrad auf hellem Kiesweg, dem Knirschen, dem Bretagne-Flair, dem Waldstück mit dem flachen Haus und den Liegen mit nackten Menschen mit Getränken und dem Ausruhen; und jener Traum aus wohl der gleichen Zeit: von unserer Familie in einer mexikanischen Gegend mit einsamer Kirche in windiger Steppe; mit der Schwester, die sich von der Portalspitze in die Tiefe stürzt und mit verrenkten gebrochenen Gliedern liegen bleibt, dann sich aufrappelt, wieder in die Kirche geht, wieder an der Spitze erscheint und sich wieder hinunterstürzt, immer wieder aufs Neue, so wie, so weit ich mich erinnere, auch die anderen Familienmitglieder. Das sind die bislang intensivsten Träume meines Lebens.
Dann Schlafen. Aber was für ein Geschlafe: ein Traum über das Haus von Helmut Schmidts Mutter (weder Haus noch Mutter sind mir bekannt). Man konnte sich diesem spitzgiebligen, grau-verputzten Häuschen auf einem schmalen Sandpfad nähern, der hinter dem Haus verlief. Man wusste, dass es Helmut Schmidts Mutter sei, die drinnen wohne. Keine erstklassige Gegend; vom Charme her eher Revensdorf. Ich wunderte mich sehr: Mitglieder der Schmidt-Familie, dachte ich im Traum, werden offenbar sehr alt, denn der verstorbene Helmut ist ja auch nicht mehr der jüngste gewesen – und die Mutter lebe also noch … so setzte ich den Spaziergang entlang der Zäune fort. Auslöser dieses Traums mag ein Foxterrier sein, der zu unserer Feriensiedlung gehört. Er heißt Loki.
10. Februar 2017 17:10