Mirko Bonné

Hof

… fast die Hälfte von Hof
fnung?

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25. März 2018 17:24










Mirko Bonné

Handtaschen

In den Handtaschen deiner Mutter gibt es
ein Gerät, wenn du das anknipst, hört man
wie früher den Staubsauger im Kinderzimmer.
Fotos von dem Chaos nach einem Zugunglück
liegen verborgen hinter den Reißverschlüssen.
Mach jede Tasche auf, es regnet darin immer.
Aber es gibt keine Unwetter dort im Dunkeln,
nur Tränenschauer. Jede Handtasche weint.

In der Handtasche von Oma Käte war nichts
außer ihrem Schlüsselbund, einem Päckchen
Papiertaschentücher und dem Faltregenschirm.
Ihre Handtasche war ein Beutel, dünn, eine Haut,
mit zwei Omafingern kleinzuknüllen auf die Größe
einer Rosine, eines Reiskorns. Eine Handtasche,
sagte sie, wozu das, hm, Krimskrams, Plunder?
Ständig gab sie Opa Sachen: „Da, steck ein.“

Eine Landkarte des wiedervereinigten Korea,
Pokémon-Figuren und Plastikkaninchen, leere
Karamellpuddingbecher und kaputte Ladekabel
liegen in den Handtaschen deiner Töchter neben
irgendeiner Tasche ihrer Oma und der Beutelhaut
von Uroma Käte. Manchmal kriecht eine Tochter
in die Handtasche der anderen und schläft dort.
Jede ihrer Handtaschen ging bislang verloren.

In der Handtasche deiner Frau lebt eine Unke,
apfelgrün ist sie und schön. Umher schwirrt darin
ein Mückengeschwader, das Futter für den Lurch.
Alle Handtaschen von allen deinen Freundinnen
sind in der Tasche deiner Frau. Deine Geliebte
hat deshalb keine Handtasche, dein Liebling
entwirft Handtaschen. In der deinen wächst
Gras. Still ist es darin, wie im Universum.

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12. März 2018 10:57










Mirko Bonné

Tubus

Nach Erich Fried

Es ist unter-
drückt, sagt
die Verein-
zelung. Es
ist, was es
zerfrisst, sagt
der Tubus.
Es ist verun-
sichert, sagt
die Brechung.
Es ist vernich-
tet, sagt die
Annexion.
Es ist un-
säglich, sagt
die Ausgren-
zung. Es ist,
was es zerfrisst,
sagt der Tubus.
Es ist gelähmt,
sagt das Beben.
Es ist eine Leiche, sagt das Gedicht. Es ist unmenschlich,
sagt das Schweigen. Es ist, was es zerfrisst, sagt der Tubus.

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11. Februar 2018 13:38










Mirko Bonné

Der Neuanfang

Zweiter Januar, schon ist dein
Kalender mitten im Jahr, und du
staunst, wie wenig doch von dem
Übergang zu spüren war. Nichts,
was abrupt abbricht, Schluss,
kaum dass es richtig begann,
nichts, das auf einmal los-
legt. Sitz ruhig nur da, nur
sieh dich um: Kein Wunder,
bloß der endlose Weg hierher,
den immer alles auf sich nimmt.
Den Pappeln, fliehenden Rehen,
dem Pfad um den See, Kindern,
die im Matsch alte Böller suchen
und da mit Glück Kröten finden –
allem ist er eingeschrieben, dir
auch: der Neuanfang. Wieso
sonst fürchtet sich nichts
vor dieser Zärtlichkeit
des Gegenwinds.

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23. Januar 2018 15:14










Mirko Bonné

Shithole

15. Januar 2018 00:19










Mirko Bonné

Steg

Die Stühle sind angekommen!
  In Reihen stehen sie im Licht
des Saals, als könnten sie sich
  unauffällig geben und davon-
laufen, sobald jemand vergisst,
  die Tür zu schließen. Genauso
wartet das Licht. Es sinkt auf die
  Stühle. Wer später darauf sitzt,
weiß das dunkle Holz ebenso gut
  (ebenso wenig) wie irgendeiner
sonst. Aber das ist ja zum Glück
  auch überhaupt nicht die Frage,
du Stuhlforscher! Ahnen die Stühle,
  wer auf ihnen Platz nehmen wird?
Ahnt es irgendeiner? Wer denn? Wo
  ist der Weg, der Steg aus Licht quer
durch den Saal der ganzen Ignoranz?

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10. Januar 2018 21:17










Mirko Bonné

Wulin

Von den binnen Wochen erbauten Wolken-
  kratzern hängt das Grün aus dem Himmel
in die Straßen hinunter. Alte mit einem Eisberg
  aus Styropor fahren vorbei, und in den Augen
der Kinder liegt die Tiefe der konfuzianischen
  Zeit. Kummer ist eine Art schwerer Zweifel.

Eine Reklame, groß wie eine Schule, bunter als
  die Nacht unter Vögeln: Betrink dich im Bezirk
Wulin! Spür den Wind dort! Die schlaflose Stadt
  ist das Paradies! Im selbstfahrenden Bus nach
Wulin. Der eingeschlafene Fahrer, dem ich den
  Anorak über die schlotternden Beine breite.

Kanalbaumuseum, Schiffbaumuseum, Vögel-
  museum, Scherenmuseum, Messermuseum,
Wundenmuseum, Schießpulvermuseum, Katzen-
  museum, Tannenbaummuseum, Regenschirm-
museum, Regentropfenmuseum, Tränenmuseum.
  Komm nach Wulin! Bleib in Wulin! Für immer!

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29. Dezember 2017 17:00










Mirko Bonné

Jede Nacht die Sterne

Jede Nacht zwischen halb
vier und halb fünf wachte er
auf und trat ans Fenster, und
stets war er da auch draußen
unterwegs auf der Straße,
als Hund vielleicht,
                       oder
er schwankte als welkende
Stockrose an einem Zaun durch
das Dunkel. Er lag im Bett. Er
schlief und war zugleich
unterwegs unter
Bäumen.
           Lange stand
er im Zimmer am Fenster,
war ruhelos und lief so müde
wie unermüdlich, ob in seiner Stadt
oder einer anderen, zugleich
durch das schlaflose
Hereinbranden,
                   das Herein-
branden und -branden des Lichts
der Sterne. Das Sternenlicht.
Jede Nacht die Sterne.

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17. Dezember 2017 12:13










Mirko Bonné

Im Sargzimmer

Nur erfolglose Vertreter und mittel-
mäßige Autoren bringt man so unter,
zumindest in Berlin. Die Hauptstadt?

Nicht deine. Deine Hauptstadt ist eine
unsichtbare, umso hörbarere dafür. Dort
rauschen die Bäume, braust der Regen,

sind die Tiere freie Bürger, ist verkappter
Selbsthass unbekannt. Im Sargzimmer
der deutschen Hauptstadt weißt du es

wieder, du bist nicht besser als jeder
ausrangierte Güterwaggon, abgestellt
an einem Feldrand an der polnischen

Grenze oder tief in Belgien irgendwo.
Niemandszüge rattern vorüber, und
einer wird kommen, dich anzukoppeln,

wart’s nur ab, zwei, drei Jahre noch, und
Schluss! Du horchst. Von Wand zu Wand
sind es anderthalb Meter. Träum schön.

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6. Dezember 2017 16:44










Mirko Bonné

Säge

wer wüsste mehr von trennen und gelingen
zugleich? die feinen zähne des piranha,
der schlanke griff – und schimmern wie die klinge,
die zwischen sigurd und der keuschen bryn-

hild ruhte, bis die morgensonne
durchs fenster auf das bettuch rieselte.
und plötzlich kehrt der duft der sägespäne
zurück, jener moment im zirkuszelt,

in dem die jungfrau lächelnd in zwei teilen
sich wiederfand, der große zambonini
den hut abnahm, um ihn just dort zu wedeln,

wo beides wahr schien, zwischen rumpf und beinen
im trommelschwellen, im wirbel des lichts
nicht etwas da war, aber auch nicht nichts.

Jan Wagner

Herzlichsten Glückwunsch, Jan, Du großer Zambonini!

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28. Oktober 2017 12:54