Thorsten Krämer

Code connu

I.

deine inflationsbereinigten Augen

als wäre nichts natürliches an dir

deine Lippen, wenn sie stottern

der Moment, in dem dies passiert

eine Erinnerung mitten im Winter

deine Knie, eine plötzliche Wölbung

als hättest du nichts anderes gewusst

dein sonderbares, sonderbares Haar

eine Sammlung an Zerstreutheiten

diese ängstliche Zurschaustellung

im Innern einer Insel, die sinkt

die Haut eine Widersetzlichkeit

als hätte es gestern wieder geschneit

deine zyklischen Schulterblätter

die Frage, um die es dir geht

ein sorgsam gefaltetes Quartier

als wäre ein Gedanke kein Glück

deine Wange, ein glühendes Zagen

eine online ersteigerte Tarnung

im Gebüsch einer komplexen Bewegung

dein die Haare raufendes Kinn

abends auf der karierten Prärie

ein Anflug von Mutantengefasel

als wäre kein einziger Vorwurf wahr

deine spieltheoretische Zunge

in der Klammer ein Fußbad für alle

dein nach Norden geöffnetes Ohr

als sei diese Luft nicht mehr tragbar

vorhin ein entrücktes Geräusch

die Züge, die jetzt kollabieren

eine Anmaßung voller Geduld

deine teamfähigen Zehen

die gestreifte Stille, eine Verwechslung

als sei es nicht Schicksal gewesen

eine Müdigkeit, die einen Schal kauft

30. Juli 2010 01:18










Thorsten Krämer

Shodo-Weekend in Pa Sing

Kalauer-Kalligraphie: den feinen Strichen das Derbe
abtrotzen, die vergeigte Vergeistigung. Am Horizont die
Alpen stehen unverwandt. Der Wind ein Rascheln. Parole

Performanz, der Meister lehnt sich sachte vor. Wo Schrift
ist, soll Schreiben werden. Der Atem ein Rasseln. Und hier
das unzerknüllte Papier, ein Zucken nur der Pinselspitze.

(für Frank Hornung)

8. Juli 2010 20:04










Thorsten Krämer

Untitled

Die Blumen spielen Mathe: die Maßlosigkeit
dieser y-Achse, wie sie ausfranst und lässig die
Ebene wechselt.
                             Wie sie blühend vielfach Parabeln
antäuscht, und in der Horizontalen dasselbe Spiel.

Zu vernachlässigen: der Negativbereich. Dagegen der
Vorhang eine Funktion der Aufmerksamkeit, gefrorene
Bewegung.
                   Die von Menschenhand geschaffene
Lücke im Winkel der Stiele, das aufgeladene Schwarz.

20. Juni 2010 10:38










Thorsten Krämer

Uff

Frikadellen für Berlin: wir wollten den fremden Bruder
durchfüttern, in keinem der Klassiker war sein schwarzes
Schaf zu finden, eine Nachlässigkeit nur der Gegenwart.

Der Geruch beim Aufblättern der Zeitung war unübersehbar.
Uff, sagte die Mutter, und: Das hat er mit Absicht gemacht.

(für Thomas Maria Malangeri)

13. Mai 2010 18:06










Thorsten Krämer

Es gibt einen Ausweg

Schon seit Jahren gehe er nicht mehr ohne Tür aus dem Haus.
Auf einem Flohmarkt in Prag habe er eine faltbare aus Papier gefunden, die stehe auf seinem Schreibtisch im Büro. In Brasilien produzierten sie welche zum Aufblasen; es gebe sie auch gestrickt, aus Edelstahl, als Reiswaffel zum Essen und mit wärmeempfindlicher Oberfläche, die sich bei Berührung verfärbt. Die Vielfalt sei zwar schön, aber nicht notwendig – vielleicht reiche ihm schon bald eine App, er sei da sehr zuversichtlich.

(für Aléa Torik)

8. Mai 2010 20:03










Thorsten Krämer

Steele, Mississippi

Es ist nur die Sprache, die hier
verfällt, der Rest ist festgehalten auf die
Dauer einer chemischen Reaktion, an deren

Ende Dreck steht, ein unbestimmtes Element.

23. Februar 2010 10:55










Thorsten Krämer

Für Kater Nero

13. Januar 2010 10:38










Thorsten Krämer

Oil Rigs

Die Mensch-Maschine bei der Arbeit: Getriebene des
Glücks, Goldsucher an künstlichen Gelenken. Jedes Zahnrad
eine Geliebte, jeder Tropfen Schweiß eine nicht erneuerbare
Ressource. Tief drinnen das Pumpen, das dein Herz übertönt.

11. Oktober 2009 20:33










Thorsten Krämer

Miami Beach

Dort, auf der Bank, wirst du sitzen
in dem Traum, den ich träumen werde.
                                                                        Heute
ist ein sonniger Tag, ein leichter Wind bewegt
die Blätter der Palmen. Die Promenade ist so schmal
wie das Meer, dazwischen der Strand beinahe
eine Wüste.
                     Schon jetzt nimmt dein Schatten
langsam Gestalt an.

1. Oktober 2009 11:34










Thorsten Krämer

Kolbhalle

Der Schlafmangel, die Vorfreude.

Die endlos lange Gästeliste bei denkbar günstigem Eintritt, die Afrikaner
aus der Nachbarschaft, der Bauwagen, die drei Mann an der Theke, die
alle keinen Plan haben, die Sommerluft, die Couscous-Mädchen
ganz in Schwarz, die Stolperfalle Feuerstelle, die Tische, die
Bänke, und jemand sagt das Wort psychotisch.

Der DJ im Anzug, das Wasser umsonst, der Schäferhund mit dem rot
leuchtenden Auge, das Gerede, das Herumsitzen, das genaue Ausloten
der Schallverhältnisse, die eine Musik, die andere Musik, die Suche
nach dem dritten floor, das Fleisch-Mobile, das Tanzen.

Das Tanzen.

Die Handyfilme, der Engländer, der im Bogen pinkelt, das Betrunkensein
als Kunstform, die erstaunlich bunten Lichter, die Frau, die auftaucht
und verschwindet, das Gewusel, die verbrannte Hand, die Stahltür
unter Strom, und plötzlich stehen da die 80er, mit grauem
Zopf, und sagen: Hier sind ja viele scharfe Bräute.

Das Künstlergefasel, die Beschimpfungen, das Geräusch des Regens
unter den Sonnenschirmen, die Gesichter, die Plastikbecher auf dem
Boden, der Rollstuhl zum Ausruhen, die Soba-Mädchen ganz in
Schwarz, das immer allmählichere Vergehen der Zeit.

Die Gegenwart, das Wachsein.

(für Christian Bernhardt)

13. August 2009 10:46