Markus Stegmann
Schmaler Korridor Kacheln
bestuhlt mit Plastik was will
sie schon wieder mit blauer
Leichtmetallkrücke Zuckertütchen
gratis nur dankt und geht
Schenkt nochmal ein
den Klaren eben rasch vom
untersten Regal neben dem
Mülleimer gegriffen und ebenso
schnell wieder dorthin zurück
Plastikmadonna mit Kind ragt
nur wenig aus der Wand hervor
schwebt schmucklos über den Köpfen
damit sich niemand daran stösst
öffnet den Grossraumkühlschrank
Bringt ein belegtes Brot mit dem
Messer zerteilt zum Schnaps schlägt
den Kaffeesatz raus was ist heut mit
euch los seid ihr überhaupt da dann
macht mal macht ihr mal
23. Januar 2017 00:14
Gerald Koll
22. Januar 2016, ein Freitag
Gestern M. getroffen. Ich sehe ihn zu selten. Er ist wieder größer geworden, gewachsen in Jahrhunderten der Ehre.
Aufgewacht nach zwei Träumen. Der erste mit Kitty (auch über sie hatte ich mit M. gesprochen), der zweite führte mich zu Freund L. nach Gettorf, und ich überlegte, ob ich zu L. über die Süderstraße fahren solle oder über die Felder. Während des Träumens schien mir diese Frage von immenser Bedeutung zu sein. Warum nur? Was hat sich seitdem in den Traumfalten verborgen? Auffälliger natürlich der erste Traum, der Kitty-Traum, in dem Kitty auf einmal im Zimmer stand. Schon war ich drauf und dran, sie zu umarmen, da schreckte ich zurück und rief mir zu: Frau S.! Doch da lag Kitty schon im Bett, nackt und greifnah. Ich widerstand mit Hinweis auf Frau S., worauf Kitty schmollend aufstand und sich hinauskomplimentieren ließ. Damit aber war es noch nicht vorbei: Ich ging noch Treppen hinauf in andere Zimmer, denn es war so, dass diese ganze Wohnung offenbar von einer Kitty-Vertrauten vermietet wurde … der Rest ist mir entschwunden. Zage erwacht: neben Frau S., und der Traum rief mir nach: ein Schuft bist du.
22. Januar 2017 23:54
Mirko Bonné
singing may wash away the blood of the lamb
Grace Paley
1
Es gibt dich nicht, überirdisches Licht
New Yorks, nur Himmelsweite, See und
die steinern überbaute Zunge der Insel.
Der Sturm vorm schwarzen Fenster greint –
es ist spät Herbst geworden in Manhattan.
Die paar Platanen am Broadway färben sich
rot und gelb, und immer noch jaulen beflaggt
mit Sternenbannern Löschzüge, klirren mit der
Totenfahne Ambulanzen durch die abendliche
Menge in den Thermopylen aus Boutiquen.
Davongetragen letzte Reste Wärme,
ist der Sommer ausverkauft.
2
Von allem getrennt, das du liebhast,
bleiben Lieder. Sie ziehen sich zurück –
einer singt vom New York State of Mind –
in ihre Sanftmut, ganz als legte sich ein
Lamm mitten auf dem Broadway nieder.
Eine Abendmaschine kreist über Queens.
Starenschwärme teilen sich und fliegen
aufs Meer. Durch seinen Regen irrst du
tiefer in Geschäfte für Bilder, für Sirenen
sinnlos verloren, ratlos mit einem Blick
telefonierend, täglich intangibler,
unberührbar dein Gesicht.
3
In den Sinn gebunden eines der Lieder –
ein kleines Kind im Lift nach oben weint –
lauschst du über den Wipfeln im 7. Stock
am Fenster deines regengrauen Turms.
Und du spürst, wie dir durch die Glieder
Blut hinrennt zum müden Herzen eines
Dobermanns, der träumt. Howard Hughes
verkauft Gedichte. Breakdancer tanzen zu
In the Mood. Einer sprüht an eine Wand
in Blumen immer wieder Gottes Namen.
Mädchen summen jiddische Reime …
Laub und Regen, Raub und Segen.
*
19. Januar 2017 16:54
Christian Lorenz Müller
Dieses Gedicht tut sich schwer damit
ein Toupet aufzusetzen.
Es will ihm nicht wirklich gelingen
richtig großkotzig zu sein.
Allein schon ein Adjektiv
wie great in den Mund zu nehmen
macht ihm wahrlich Mühe,
und es ist ihm schier unmöglich
einfach zu behaupten
andere Gedichte hätten keine Ahnung,
Hölderlins „Hälfte des Lebens“
hätte keine Ahnung, no clue, vom Herbst,
oder Jan Wagners Haikus
wüssten nichts von Regentonnen.
Aber da denkt das Gedicht
wahrscheinlich viel zu kompliziert.
Ein Gedicht mit einem Toupet
ist ein Gedicht, das keine Glatze zeigt.
– Also los, sagt sich dieses Gedicht,
lass endlich die Sau raus,
du kannst dir erlauben, Shakespeares Sonette
in der Übersetzer-Umkleide zu befummeln
und Inger Christenses „sommerfugle“
ins Panini-Album zu kleben,
du kannst dir alles erlauben,
weil du gleich im „Fisch“ gepostet wirst,
weil all die anderen Gedichte im Forum,
establishment, unter dir stehen werden.
Die allermeisten Anderen tragen ohnehin
längst ein Toupet.
19. Januar 2017 10:56
Gerald Koll
19. Januar 2016, ein Dienstag
Muttis Knie zwickte so arg, dass mich schaurige Bilder anfielen von einer gehlamen Greisin an der Seite eines tippelnden Greisen im Berliner Bahnhof, wo sie inmitten regen Gedränges ihre Köfferchen vergeblich über den Bahnsteig zu zerren versuchten, als wären die Koffer störrische Hunde. Dann das alte Paar, Seite an Seite einander haltend, am Zug, traurig aufschauend zum Fenster des Abteils, in das sie niemals würden einsteigen können.
Ich fuhr sie dann am Sonntag nach dem Frühstück nach Gettorf, spielte drei Runden Take It Easy und kehrte zurück nach Berlin.
19. Januar 2017 10:54
Konstantin Ames
Kenn ich welche, die nach Osten schaun. Kenn ich welche
sprechen in Mikrofone. Hübschis. Kenn ich welche
machen 30 [Liegestütz]. Kenn ich welche, die Gott (diesen Bock)
lästern; kenn ich welche, die Lyrik sagen, dann auch
politische Lyrik sagen müssen. Arme Teufel. Kenn ich
Grenzen. Grenzen der Kunstfreiheit, Doc, gibt es nicht.
Es gibt auch keine gelenkte Kunstfreiheit, auch keine
Kunstreligion. Fragt Hegel; wählt heute AfD.
Alle Künstler sind gleich! Künstler =
Der Tôpbàdd! Schleicht ins Bild wie Tonton.
Alle Künstler sind Scheichs; außer in Saarabien.
«Wo kämen wir da hin?!» (Doc)
Fragt Pussy Riot, Pawlenski, Ai Weiwei, …
Es gibt keine gelenkte Kunstfreiheit! Und für Lyrik, sagt
Jesuscowboy, in Reservaten, Prärien, Laboren reicht die Zeit nicht!
Für das Gedicht Alexander Karle
17. Januar 2017 11:16
Hendrik Rost
Ungefähr alle 11 Minuten …
… ist Liebe plakatiert und käuflich.
… bellt ein Dackel im Hunsrück.
… fällt ein Schnitzel in Bratfett.
… prügelt ein Kerl seine Geliebte.
… fällt ein Urteil im Strafgericht.
… ist der Wille frei – so gar nicht.
… macht ein Präsident verbal klar Schiff.
… verfällt eine Welt in Panik.
17. Januar 2017 10:28
Gerald Koll
16. Januar 2016, ein Sonnabend
9 Uhr: Nach Geleit der Eltern zum Hotel und heimischem Bettgang drehte mir Frau S. kummervoll den Rücken zu, und zwar infolge der beim Abendessen gefallenen Wendung „hoppeldimoppeldi“, denn hoppeldimoppeldi, hatte ich weinlaunig kontrollschwach erzählt, sei Frau S. im Sommer im bayerischen Finsterau, als wir so dringend einen Fußball benötigten und partout keinen auftreiben konnten, in einen fremden Vorgarten gerannt und habe einen dort herumliegenden Ball stiebitzt. Dümmliche Wortwahl. Das Sexualleben geriet überaus vital.
Vater: „Da gibt’s doch einen Flugzeughersteller, der nicht Boeing ist.“
Sohn: „Daimler?“
Vater: „Unsinn. Die stellen Autos her, keine Flugzeuge. Höchstens Motoren.“
Sohn (googelt): „Daimler Chrysler ist gelistet unter Flugzeughersteller.“
Vater: „Ja, aber mit Sitz in Frankreich.“
Sohn (zeigt Wikipedia-Eintrag): „Sitz ist in Ottobrunn, Deutschland.“
Vater: „Das ist zu zu klein geschrieben. Das kann ich nicht lesen.“
Sohn: „Die stellen Flugzeuge her.“
Vater: „Aber mit Airbus haben die nichts zu tun.“
Sohn: „Das war doch gar nicht die Frage …“ (lesend) „Aber hier steht, die hätten sehr wohl mit Airbus zu tun …“
23 Uhr: zurück vom Konzert. Es war lausig kalt in der ungeheizten Orangerie im Charlottenburger Schloss. Besucher saßen in Mäntel und Decken gehüllt. Das Mozart-Konzert lief in der Reihe „Maskerade“, also in historischen Kostümen, angesagt von einem rokokesken Conferencier – eine provinzielle Posse, wenn auch in Berliner Version mit echtem Schlosssaal. Ältere Herren nickten weg, meine unbekannte Sitznachbarn ließ ungerührt ihr Smartphone auf dem Schoß leuchten. Vati wippte wohlgemut, meine kleine Mutti hatte gute Sicht. Verbucht als schöner Abend.
16. Januar 2017 13:53
Julia Trompeter
Aus dem Winter fließt Regen,
ich hab Wolken im Visier. Hier.
Hat es Kahlschlag in Babel,
weiße Möwen taumeln,
schwarze wären unsichtbar.
Ich spucke gegen den Wind
wie Joan Lowell; es ist mein
Tropfen Rotze, der zerstiebt,
auf den Feldern liegt eine zarte
Schicht überfrorener Müdigkeit.
Im Zweimaster, vorn, leuchten
Lichter, manche zwinkern
hinter Vorhängen hervor.
Natürlich ist etwas dahinter,
natürlich fliehen die Wolken.
Sie wollen zur See übers vlakke,
vlakke land, über dem ich steh,
am offenen Glas, wo längst Schiffe
treiben wie Gedanken: viel zu weit –
viel zu nah – viel zu fern, zu weh.
15. Januar 2017 23:29
Gerald Koll
15. Januar 2016, ein Freitag
Mutti und Vati sind angekommen und im nahen Hotel untergebracht, 77 und 80 Jahre alt, kaum nachvollziehbar hoch an Jahren. Die Zahl macht es, dass ich zu sehr darauf bedacht bin, es ihnen genehm zu machen und den Sohn zu geben. In wenigen Minuten, beim Abendessen, mache ich sie mit Frau S. bekannt, zu sehr darauf bedacht, es ihr genehm zu machen und den Gentleman zu geben. Andere können beides besser: Sie warten ab, bleiben in Deckung, geben sich gemütlich. Ich reite meist blindlings drauflos, schlage wüst die Sporen in die Flanken und vergesse, dass das Pferd, das ich dabei tranchiere, ich selbst bin. Nun also, gleich essen wir beim Italiener; für hinterher liegen Canasta-Karten, Salzgebäck und roter Wein parat, die Schlacht beginnt.
15. Januar 2017 15:09