Markus Stegmann
Da sei immer Sand gewesen, Sand an den Sohlen, und ein schmirgelndes Geräusch habe sie begleitet, wenn sie auf Asphalt gelaufen sei. Frau Atnan fährt mit ihren Schilderungen aus Berlin fort. Ich habe Berlin-Schilderungen im Allgemeinen nicht sonderlich gern. Früher schon, heute nicht mehr. Heute kommt einem jeder mit Berlin-Schilderungen. Was mich daran am meisten bedrängt, ist die Botschaft eines echteren Lebens, das in Berlin und nur in Berlin zu finden sei. Daher begegne ich Frau Atnans Berlin-Schilderungen mit Skepsis. Wenn ich aber genau hinhöre, erzählt Frau Atnan gar nicht von einem besseren Leben, sondern von Sand an ihren Sohlen.
7. Februar 2016 22:38
Thorsten Krämer
Mit dem Wind verschieben sich die
Maßstäbe: deine Hand, schmetterlingsgroß,
auf der Rückscheibe.
Der Staub
hat die Farbe der Ziegel, frisch gebrannt
stehen sie in der Sonne.
Das Haus
des Ministers, drei Straßen weiter, gleicht
einer Ruine.
Deine Haut, die sich löst, wo sie
den Motor berührt hat – der Fahrer schmierte
Benzin darüber.
Sagte ich Straßen? Es gibt
hier keine Straßen, nur die Leere zwischen
zwei Behauptungen.
6. Februar 2016 11:56
Mirko Bonné
Ein junger Arzt sagt achtlos
deiner Tochter, die erschrickt:
„Der Tod seiner Frau, laut Akte
ist das kein halbes Jahr her.
Ein Glück, er erinnert sich
an nichts, weiß davon nichts.“
Aber wer weiß schon, hm,
was du spürst, was du
verstehst und welche
Bilder dir als wilde
Möwen um die Augen
segeln? Der Augensommer,
die Kirschbäume, die Wolken,
so weiß wie Krankenschwestern
im Klippengarten bei La grève blanche.
Natürlich, alle müssen wir sterben, solange
keiner den Tod in Frage stellt. Jede Liebe
ist ein Anker, und dein Körper, Claude,
weit oben auf der Oberfläche
der schwarze Rumpf,
treibt dort und dreht sich,
als wäre Wind aufgekommen.
Aber sieh doch das Erschrecken.
Diese Frau, die weiterlebt, weißt du,
das ist nicht deine, sie ist zur Hälfte
aber aus dir, deine Tochter ist sie,
und sobald du davontreibst,
hält sie alle davon ab,
dich aufzuhalten.
*
5. Februar 2016 11:10
Björn Kiehne
Die zwei Punkte am Schneehang das sind wir,
wie kleine Tropfen eingetrockneten Bluts
im kalten Stoff der Landschaft.
Früher spielten wir Fußball,
hier, wo die Feldmark beginnt.
Da wussten wir nicht, dass uns später,
alle Felder zu Schlachtfeldern werden,
dass die Steine unter unseren Schritten schreien,
die Hügel vor uns zurückweichen würden,
dass wir nicht werden warten können, unseren
Schmerz immer und immer wieder weiterzugeben.
Wer stellt uns jetzt noch die Kerze ins Fenster,
wer spricht uns jetzt noch die Einladung aus?
Krieger,
legt die Waffen nieder,
lasst den Schmerz,
kommt nach Haus.
3. Februar 2016 12:45
Christine Kappe
Thorsten hatte einen Holzkopf. Deswegen hörten alle auf ihn. Wenn er redete – und er moderierte ja immer die Wochentage – schlug er sich ein paar Splitter vom Schädel. Damit unterstrich er seine Worte. Das sah beeindruckend aus. Manchmal ließ er absichtlich ein paar Späne hängen, sie lockten sich dann und ließen seinen Kopf größer und schöner erscheinen. Natürlich wurde sein Kopf in Wirklichkeit immer kleiner. Aber das wollten wir nicht wahrhaben. Wir liebten nicht nur seine fetzigen Vorträge, sondern waren energetisch angewiesen auf ihn, ohne dessen Sound wir in der lähmenden Lethargie unseres kleinen Dorfes versunken wären.
2. Februar 2016 12:25
Tobias Schoofs
plötzlich klappert die alte maschine
seit jahren steht sie nur ausgestellt
zusammen mit anderm alten gerät
darunter auch eine staubige contax
und sie erzählt uns ihre geschichte
von den gesprächen mit den andern
die ganze zeit und dass sie wünscht
was sie hervorbringt wären nicht nur
diese kleckse auf papier sie möchte
wie die kamera bilder machen nur
wirklicher nämlich bewegte bilder
lebende wesen mit echten wünschen
echtem gefühl und sie verzweifelt nur
wieder von maschinen zu schreiben
28. Januar 2016 22:50
Markus Stegmann
den gesteuerten arm angebundnen
kopf gerannte wasser wasser
druck gelogne sprache gerannte
drehende geschobne gliedmassen
menge werfende steine der verdrehte
arm verbundne rücklings gedehnte lügen
reisst papier ab vom kopf die tiefe
in der sie gehoben von allen gehoben
midan ataba
25. Januar 2016 22:35
Christine Kappe
„Das Leben ist eine Eisrennbahn. Liegt Schnee, ist es kalt; liegt kein Schnee, ist es glatt; taut es, war alles nur eine Täuschung“, dachte der Japaner und lief so schnell wie Regentropfen fallen.
„Wenn ich die Augen schließe, sehe ich das Zittern auf der
Wasseroberfläche von unten, dann ist es nicht mehr das Zittern auf der
Wasseroberfläche, es ist das Zittern unter der Wasseroberfläche, auf der
Wasserunterfläche, das Zittern im Wasser, das Zittern, mein Zittern; es ist
die Musik des Anfangs und des Endes, d.h. des Windfangs,
der Umfang dieser Musik beträgt 1 Wasser, das Wasser trägt mich.“
23. Januar 2016 18:30
Christian Lorenz Müller
So weiß blakt der Schnee.
Lampions, schwanken die Gondeln
erlöschend im Wind.
22. Januar 2016 12:03
Christine Kappe
Skifahrer bei Nacht, der Takt ist viel zu schnell, um ihn
rhythmisch zu erfassen, es handelt sich um die Panik von Skifahrern, die
im Dunkeln noch nachhause finden und nicht erfrieren wollen; eine tiefe
Frauenstimme versichert ihnen aber, dass sie sich nicht zu beeilen brauchen,
das Haus ist längst eingeschneit, abgebrannt?, egal: solange
sie sich bewegen, kann ihnen nichts passieren, angestrengt lauschen sie
dem Sirren der Seilbahn – natürlich ist ihr Herzschlag inzwischen viel lauter
21. Januar 2016 06:40