Nikolai Vogel
01.01.2016
Schon wieder ein Jahr,
und 2015
vergangen, verrauscht,
und 2016
schon nicht mehr ganz.
Schon wieder ein Jahr,
und 2015
vergangen, verrauscht,
und 2016
schon nicht mehr ganz.
Der Regen fast Schnee,
und 2015
jetzt fast Geschichte,
und 2016
kommt aus der Zukunft.
Tatortloser Dezember
laminierte Asche meines
Vogels verflogen
sich zwei Lilien schreibst du
unsere Hände
in Papier
gewickelter Film
Kleiner Wannsee blühte
im Irak rekapitulierter Bilder
transponierter Tempel
wessen
auswendig gelernte Kehlen
trieben
mit ausgefalteten Flügeln
langsam
den Wannsee hinaus
hantierte ich wohl
mit falsch
verbundnen Lippen
zum frühstück hammelniere und
gesualdos mordgeschichte
wo auf den stufen des palastes
leichenteile stinken chromatische
musik von mauern widerhallt
wir hören leise beim geschehen
im keller masochisten schreien
schließen die augen und lauschen
zum frühstück gesualdo und
zarter urindunst am gaumen dazu
Dub? Dahin geht es
bergan, bergauf, bergan,
so kommst du nach Dub.
Nur was anfangen da?
Da endet bloß alles.
Dort gibt es ja nichts,
es ist alles aus in Dub,
Dub ist selber nichts.
Es ist nicht Žrnovo.
Es ist auch nicht Brno.
Dub war noch nie Dubrovnik.
Wer nach Dub kommt, fragt sich:
Das hier also soll Dub sein,
dieses durchsichtige
dubiose Dunkel?
Duplizier Dub,
und du bekommst
nichts, du kriegst
nur Dub. Aber gut, los,
geh nach Dub! Dub wird dir
zeigen, wie es ist: Dub!
Dub ist, wie du bist.
Also bist du Dub?
Du musst Dub sein.
*
18. Dezember 2015 15:14Frau Atnan sagt, ich sei schuld am Krieg, ich allein sei schuld. Ich antworte Frau Atnan, dass das nicht sein könne, weil ich zum Zeitpunkt des Kriegs noch gar nicht gelebt hätte. Mein Leben habe erst geraume Zeit später begonnen. Frau Atnan sagt, ich sei trotzdem schuld, weil ich den Krieg im Blut hätte. Ich antworte Frau Atnan, dass ich den Krieg weder in meinem Blut wünschte noch ihn darum gebeten hätte, sich in meinem Blut bemerkbar zu machen. Und überhaupt, was solle das heissen, einen Krieg im Blut zu haben? Genau genommen meine sie: Kriegsgefahr. Von mir ginge Kriegsgefahr aus. Ich versichere Frau Atnan, dass ich in der Vergangenheit nie Krieg geführt habe und auch in Zukunft nie an Kriegsführung denken würde. Frau Atnan sagt, es sei das Potential, das an mir kriegsgefährlich sei. Ich würde von ehemaligen Kriegsteilnehmerinnen und -teilnehmern abstammen, infolgedessen sei ich gefährlich, weil ein potentieller Kriegsteilnehmer oder, noch schlimmer, ein potentieller Kriegsverursacher. Ich antworte Frau Atnan, dass sie mir bitte sagen möge, wer auf der Welt ohne kriegsführende Vorfahren sei. Frau Atnan sagt, dass sich genau damit alle Kriegsführenden reinwaschen würden und den Krieg von Generation zu Generation legitimierten.
15. Dezember 2015 22:45Im Kräutergarten
lecken die Salbeizungen,
schwarz belegt vom Frost.
In den hohen Oliventerrassen,
wo Lavendel wächst, Fenchel, Majoran,
wenn du zwischen den Steinzäunen hindurch
dort in den Mittag wanderst, achte
auf den hornissengroßen Vogel
oder Fastvogel, Schwärmer,
sein Schwirren
von Blüte zu Blume,
Blume zu Blüte. Im Flug
taucht sein Schnabel in alles
bunte Offene, in jeden Lichtmund,
und es gibt für ihn keine Sonne, keine,
die zu schwach wäre. Lass Falter gaukeln!
Schwarze Raupe steigt vom Dach
des Trafostanicahäuschens
ins leuchtende Gras,
wartet auf nichts,
erwartet nichts,
geht und ergeht sich
mit einem Schwarm Luft
trinkender Fische als Beine. So
solltest du vielleicht auch gehen? Ja.
Komm und bleib eine Weile, bevor du
unten am Hafen verschwindest,
wo die Lastwagenfähre
lautlos die Bucht zerteilt und
im Schatten die Kräutergärten schlafen.
*
10. Dezember 2015 13:51