Martin Piekar

Bukowskis Pfand

I

Stell die Flasche bitte neben den Mülleimer, sagt
Ein Du zu dem dusseligen Ich, welches Gepfändetes
Gerne städtisch zurücklässt. Aber Erinnerungen an
Die Schwere des Leerguts. Aber Leere v/erträgt mein

Gemüt nicht. Das Getränk, getrunken ist für mich alles,
Was zählt. Aber jede Flasche zahlt. So lind, so zerdrücklich
Als Existenzgrundlage. Plastik packt sich. Beutelwärts
Und in Geldkatzen; die Person wird Leergut. Bukowski

Würde auch Flaschensammeln sagst du, dann Hartz IV,
Dann PET-Bier, dann Wettbüro, Pferde natürlich, sage ich,
Ein Auf und Ab, ein Auf und Ab geben, gehen, heben, wenn
Ich nur eine Minute in Ffm stillstehe, sehe ich sie. Wenn.

II

Stellt die Dosen bitte neben den Mülleimer, sagt ein
Hosenanzug zu Schulranzen. Aber das nennen wir nicht
Arbeit: schwere Bücher, Pausenbrot, Energydrinks.
Wieso haben wir keinen Platz für Leere? Eine Gruppe

Wird weitergeleitet. Eine andere: Pfandgut, gestrandet.
Vielleicht bringt sie ihnen nicht nur Sozialverhalten
Bei, sondern lehrt ihnen in Zukunft zu jagen. Die
Pfandflasche das Beutetier des 21. Jahrhunderts.

Mir wird klar, dass vor mir auf grauer Betonplatte ein Rudel
Dezembers angesiedelt und bereit jedwede Wiederholung
Einzupfänden. Ein Weihnachtsgeschenk rein
Aus Verpackungen collagiert. Wenn man sich um Inhalt

Einen Dreck schert, sich aufs Umtauschen freut und
Einen Rutsch ins Neue macht. Gesell mein Ex-Wasser
Dazu. Bukowski könnte daraus sicher Bier machen.
Gleich kümmert sich jemand. Pfändet die Pirsch. Gleich.

III

Stell die Pfandflasche neben den Mülleimer, Man! Sage
Ich und das dusselige Du schaut mich verdutzt an. Stell
Sie einfach nebendran! Nicht rein. Ich schnaufe dich
Besoffen an und im Hinblick auf den Main willst du

Kontern, was Umweltverschmutzung sei. Nach ein
Paar von Bukowskis Drinks sage ich dir, dass du ihn nicht
Lesen kannst, um zu kompensieren, dass du ihn nicht
Leben kannst. Weißt du, wer Pfandflaschen sammelt,

Kann sich nur die Großstadt leisten. Pfandtoursimus.
An Spieltagen sind Züge Beutezüge. Eintracht als
Gewerkschaft des Mehrwegkollektivs. Es geht nicht
Ums Karma. Es geht um uns. Als wir aufstehen und

Vom Main hin weggehen, singt Straßenchor Kyrie
Duweißtschon. Ich weiß nicht. Die PET meldet wie
Eine Bushalte. Ein Greifarmspiel in Mülleimern. Das
Gefühl zum Gewühl in Abfall oder in Vermögen. Alles

Sammeln hat Route. Routine das kommt von Route. Ein
Soundtrack in G-Duld: Das Abgraben der Mülltonnen per
Radar. Jetzt stell dir etwas noch viel Ekelhafteres vor:
Dabei zuzusehn wie ein fremder Mensch es tut. Jetzt.


7. Oktober 2015 10:26










Markus Stegmann

Warum?

Zwischen Fingern
tastete
ein Gesicht
zögerte und begann
aber
welcher Sog zum Tod
aus nahen Haaren
verformte sich zwischen
verwunschenen Lippen
die letzten Zentimeter
schienen die schwersten
als läge
auf kürzester Distanz
ein
Fassen/Unterlassen?
kaum hörbares Wimmern
im dünnen Luftstrom
am Nabel verliess
grauer Morgen
schlafendes Schilf
klammer Mund hing dort
warum
verfiel unser Mond?

6. Oktober 2015 21:49










Mathias Jeschke

FREIHAFEN von William Carpenter

Ich stehe um Mitternacht vorm L.L. Bean, rauche eine
Zigarre und spüre die sachten Paddelschläge der Kanus.
Keine Sterne über mir, keine Wolken, kein Mond, nur
der Wind. Er treibt die letzten Ulmen in einen Traum
vom 19. Jahrhundert, als sie noch grün und gesund
waren. Auch die Kleinstadt träumt. Alte Paare träumen
dicht beieinander von Sex. Eltern träumen von viel Geld.
Kinder träumen, sie werden von Spielzeugen angegriffen.
Ganz anders läufts im L.L. Bean. Nächtliche Käufer
durchstreifen die erleuchtete Wildnis. Ein Mann
in kompletter Watbekleidung testet eine Fliegenrute.
Typen in Daunenparkas mit Tarnmuster fahren
auf Heimtrainern, als nähmen sie teil an einem Rennen
für stillstehende Gegenstände. Und jetzt kommt ein Paar
mit großer, grüner Tasche, darauf ein Hirsch und Bären-
Motiv, voller Einkäufe, aber sie wirken nicht glücklich.
Etwas ging schief im Laden. Der Mann ist mürrisch,
die Frau bekümmert. Sie fangen an, ihre Lippen
zu bewegen, um zu sprechen, doch es kommt nichts raus.
Taube sind sie, versuchen mit ihren Händen zu streiten, in
Gebärdensprache schnappen ihre Worte nach einander wie
Fuchsköpfe, so heftig, dass sie einander fast erwischen,
nicht aus ihrer eigenen Wut, sondern aus dem unvorstellbaren
Ärger der Hände darüber, nicht sprechen zu können – ich denke
dabei an meinen eigenen Körper in seinem Hauthandschuh –
stummer Bauch und stumme Arme und Beine, was kann er
sagen, was kann er verstehen? Dann aber haben sie es
geschafft, ihre Hände betasten einander, kommunizieren,
greifen in die grüne Tasche nach ihren beiden
khakifarbenen Rangeley Lachshüten mit Pelzbändern
zum Befestigen der Fliegen. Sie holen ihr L.L. Bean-
Köder-Set heraus, öffnen es, schmücken ihre Hüte
mit den Fliegen und gehen auf der Hauptstraße des Freihafens
durch eine Stille, die eine Straßenlampe einfasst, einen Polizisten,
der sich eine Zigarette anzündet, und die kleinen Fliegengebinde:
Steinfliege und Koppe, Black Ghost, Maifliege, Grey Goose,
Rote Waldameise, Professor, Parmachene Belle.

Aus dem amerikanischen Englisch von Mathias Jeschke.

6. Oktober 2015 21:32










Mirko Bonné

Mittagsschlaf

Zeit war es, dass es Zeit war?
Nie war’s Zeit gewesen, nie
würde es Zeit werden. Es war
die Zeit der Spinne, der Schlange.
Sie waren Mauereidechsensekunden,
diese Minuten des Hundertfüßlers, und
wurden endlich zur Heuschreckenstunde,
zu den Zikadentagen. Im Jahr der Agave
lehnten wir schlafend in der Macchia
an einem entzweigegangenen Boot.

*

6. Oktober 2015 15:01










Tobias Schoofs

TO NIKKI BELL

es war nicht meine absicht hier so offen
rumzuliegen dass du mich lesen kannst

oder gar musst. deine mutter hat in alten
sachen gekramt gekritzel gedichten von georges
bataille und william blake und schlimmerem

und dabei staub aufgewirbelt in dem sonst
staubfreien wohnzimmer und dabei mich
produziert und auf dem tisch vergessen

jetzt kommst du aus der schule und liest
komm eines tages denn mit deinen texten

5. Oktober 2015 23:16










Christian Lorenz Müller

~

Morgens wimpert Gras
um die Kastanienaugen.
Tautränen trocknen.

4. Oktober 2015 21:08










Mathias Jeschke

Shakira und ich

Du behauptest, meine Haut lebe von Milch und Honig.
Ich greife dir an die Kehle und sage: nefesch. Das ist
das Wort der Hebräer für die Seele, die in der Kehle
wohnt. Das ist bei deiner Stimme so, my dear, wenn
du nur nicht solchen Pop-Scheiß fabrizieren würdest,
sondern Musik, die in der Seele wohnt. Ich denke da
an Arvo Pärts Nachtigall. Erotik ist ja überhaupt ein
unsichtbares Ereignis. Was soll nur werden aus uns?

23. September 2015 21:48










Hans Thill

Useful Knowledge

Das Elixir
wirkt wie lose Buchstaben in einem Gebirgsbach, eine Verabredung in die Rinde geschnitzt. Man trinkt es in kleinen Schlucken als einen Zusammenhang von Schlange und Schnaps. Man trinkt es im Exil. Auch hier muß man geduldig sein. Hans Test ist Tristan. Wer das Glas zu früh öffnet, wird noch schnell von der Schlange gebissen. So ist das in China, wo sich Eliten an einem Gebräu berauschen. Test nimmt Nudeln anstatt der Schlangen, den Liebestrank hat er zuvor verschluckt.

23. September 2015 11:48










Christian Lorenz Müller

Ein Kilometer Luftlinie

Anspruch auf ein Einzelzimmer,
ruhig, mit Blick auf den Park
Feldbetten, ausgelegter Karton,
eine Tiefgarage für tausend Menschen
vor dem OP-Termin
ein Gespräch mit dem Primar
Rotkreuzhelfer versorgen
eine schlecht verheilte Wunde
das Wachstum ihres Kindes
wird durch die Titanplättchen
nicht weiter behindert
Bombensplitter? Nein, mein Junge
hat sich den Schenkel
an Stacheldraht zerrissen
so begradigen wir die Stellung
der Knie, für Schmerzfreiheit
selbst noch in hohem Alter
er wollte unbedingt
als erster unten durch
es wird ein bisschen wehtun
das wird schon wieder
du musst bis Freitag hierbleiben
wir wollen schnellstens weiter
du wirst bald ganz gesund sein
zu Fuß, wenn es sein muss
gute Nacht, ich komme morgen wieder
schlaf, mein Junge, schlaf ein.

18. September 2015 13:35










Gerald Koll

Unser Himmel

Der Himmel war heute Morgen voll Blau. Und in den weißen Wolken war etwas Grau, aber nicht zu viel. Schön. Das hätte alles auch ganz anders kommen können, wenn wir drüben wohnten, jenseits der Ränder der Milchstraße.

17. September 2015 14:00