Tobias Schoofs

SPUCKE

die sonne steht über dem seiten
rand wie sie über dem meer steht
diese zeilen schreiben oder ins meer
spucken: das ist in etwa das gleiche

lies du diese zeilen und wenn du
das meer siehst: denke an mich

18. Mai 2015 16:38










Markus Stegmann

Ich lag im Gras bei Essertfallon

Ich lag im Gras bei Essertfallon
endlose Butterblumen als Butterblumen
in unseren Himmel sickerten ins Blut
durchs Tal und versteck dich
wo bist du warum
verrinnen wir in der Wiese
fotografierter buchstabierter Morgen
nochmal Morgen
schwimmst du raus in den See
ins klare Wasser
schreibst du
und heut ist weisst du wie das ging
alles verhing weiss nicht
warum nur legte ich meinen Arm
nicht beim abendlichen Licht
der Alpen
ans Ende der Welt

Ich lag im Gras bei Essertfallon und
dachte an dich
Ich lag im Gras bei Essertfallon und
du lagst neben mir

Um wenigstens
auf der Festplatte
der blauen Rettung
deine Worte
zu löschen

15. Mai 2015 21:01










Thorsten Krämer

Vier Tage schulfrei:
Der Schweißgeruch der Kinder
durchquert die Wohnung.

14. Mai 2015 14:49










Mirko Bonné

Jetzt und hier

Wenn du mit deinem Duft so
zu mir kommst, seh ich deine
jungen Augen, sehe die Zeit
und sehe darin ganz dich.
Wenn du mit deinem Duft
dich zu mir legst, atme ich ihn,
ich atme dich ein, ein Atemglück.
Dann atme ich mich mit dir zurück.
Es wird eine Zeit ohne dich geben,
eine Luftleere und Zeit ohne Atem.
Und eine Zeit wird es geben ohne
mich für dich. Jetzt sind wir hier.
Jetzt aber bin ich hier bei dir.

*

14. Mai 2015 11:22










Hendrik Rost

Epigramm

Lesen die Deutschen ihre Krimis lieber am Meer oder in den Bergen?
Töten sie ihre Gespenster bevorzugt
aus Liebe oder in der Erinnerung?

Unser Wolfsspitz war bissig nur an der Leine.
Beim Malen nach Zahlen habe ich mich verrechnet
und jetzt ist alles Schwarze rot, das Goldene schwarz.

Der Nachbar schlug seine Kinder mit dem Knüppel.
Zwischen den Wahrheiten, da liegt das Paradies der Kellerasseln.
Bei Gefahr stellen sie sich tot.

13. Mai 2015 16:08










Andreas H. Drescher

CHORPROBE VOR EINEM LEEREN STUHL

Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr es mich zum Lachen reizt, dass du nichts sagst. Sitz doch nicht so in deinen Bildern und schweig dein Lächeln aus der Luft! Das geht schon viel zu lange so. Setz dich doch wenigstens so hin, dass deine Achseln über meine Rückenlehne hängen. So wirst du früher oder später schon von selber singen. Und wenn es nur das Blut in deinen Armen ist. Wovon? Gleichgültig! Vom Glas meinetwegen. Von Heidelbeeren. Schließlich wird jedes Blut im Schlaf zu Heidelbeeren. Weil sie den Nachmund feiern. Und das Lachen aus der Stadt, das in den Wald geht. Was? Verrückt? Nur, weil die Heidelbeere blasser wird im Glas? Natürlich! Ein Einmachglas ist nicht nur durch Kerzenruß zu färben! Schweig das mal, wenn du noch schweigen kannst!

Ein Mund also. Ein ganzes Land voll Mund. Und mitten in der Fülle sitzt du, ohne dich zu rühren. So haben auch Nächte ihren Ton. Ein breites, aber nicht sehr hohes Rascheln. Wenigstens über den Dornen. Das steht das Haus, das sitzt es. Komm, ich mach´s dir vor, wenn du mich nicht verstehst. Ich mach dir vor, wir wären alt und hätten nicht geschwiegen. An den Bäumen her und überhaupt. An der Lehne der Bäume entlang, die nun ich bin. Leicht gebogen und verschnürt. Ins Schnüren, wie nur ein Fuchs es kann.

Das ist nicht wahr? – Was du nicht sagst? – Das kippt den Stuhl, der ich nicht bin?

Fäden aus Dunkelheit. Und keine Gegend jetzt. Gar keine Gegend mehr. Gleich hinter der Ecke fängt bereits der Ramsch an. Ein Schu, ein Schu als du. So, wie selbst nie warst und werden wirst: baumaufwärts, lehnenaufwärts, aufgelehnt. Wie wäre das? Ohne die Rinde zu verletzen? Ja, ein Stuhl mit Rinde. Ist nur hinter sich verletzt, aber doch schwerer? Du redest aber kompliziertes Zeug. Lass mich das mal begrübeln. Eins. Zwei. Drei. Das sind nur Birken, deren Rinde ist auch innen außen. Was das heißen soll? Wie dumm zu fragen! Dass ihnen nichts passieren kann. Es sind noch Birken, ja! Auch wenn du hinter der Kontur nur wenige erkennst. Selbst gegen die keine Sonne hin. Das Nichts bleibt nicht.

Deshalb, ja, eben deshalb bleibst du zwei und lässt mir keinen: es setzt sich jetzt.

13. Mai 2015 07:02










Christine Kappe

Moskau – Berlin

Das Wasser auf der Tragfläche trocknet in Sekunden
„Hier scheint immer die Sonne“
tröstest du mich
wir haben die vorderen Sitze runtergeklappt und die Beine daraufgelegt
fragt sich, in welcher Sprache wir lachen
„Draußen dürften es jetzt -50 ° sein“
fühl mich so hilflos, auszudrücken
dass der Himmel hier doch
und sowieso anders ist
(njeba oder njebeßa?)
nicht Angst vorm Fliegen, sondern Angst vorm Himmel
könnte aber auch bloß ein Übersetzungsproblem sein

4. Mai 2015 09:31










Thorsten Krämer

Untitled

Ein weiches Kollektiv: Die avancierte Choreo
lässt Raum für Interpretationen. Die Knopfaugen
sind ausdruckslos. Wir wissen zu wenig vom Leben

der Stofftiere: wie sie sich verständigen; was sie
machen, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Ein
Wohnprojekt im Pelz, das flauschige Alter.

2. Mai 2015 11:27










Tobias Schoofs

EIN MOTIV

wenn man so eine gruppe sieht
will man sie in stein verwandeln

heraus kommt ein unscharfes bild
der apparat ist nicht der rede wert:
obskure optik · lausige software
man sage nicht: halten sie still!

das wackeln kommt nicht vom motiv
es sind die zitternden hände
auch will man kein leeres gegrinse
man will den toten im gebüsch.

ins ohr des hepatitisgelben freundes
flüstern: gott! was sind sie schön!

23. April 2015 23:52










Christian Lorenz Müller

Gegenwind

Der Motor hat zu wenig Öl.
Er hört die Welle hitzig werden,
hört es ganz allein.
Wo ist die Insel?
Künden Vögel nicht von nahem Land?
Er wünscht sich Möwen,
doch da ist nur Gischt, die fliegt.
Noch fünf, noch zehn Minuten
und die ersten Lagerkugeln brechen.

Er muss zum Heck,
er bittet, fleht, gebraucht die Fäuste,
die Flüche hört er kaum.
Sie stehen eng an eng,
sie stehen wie Soldaten,
sie wissen, dieses Fischerboot
balanciert auf schmalem Kiel.

Geh nicht. Du bist der Beste.
Du hörst, wozu wir Augen brauchen.

Am Außenborder sitzt ein Nigerianer.
Oil? Er deutet unters Dollbord.
Ein Kanister, mit Benzin.
Noch drei, noch vier Minuten.
Wo ist die Insel? Sie ist klein,
ist selber nur ein Boot,
umschwärmt von Gischt.

Das gute Öl für gute Kunden,
das schlechte ist für Leute,
die du nicht leiden kannst.

Ein Gellen, das der Nigerianer
nur als Sirren hört. Die Welle
frisst die Lager, frisst sich fest.
Und keine Möwen, keine Insel.
Gegenwind.

20. April 2015 20:06