Markus Stegmann

Pupillen

Komm mit mir in den Mund der Mandarinen der
Mörsergranaten Kalaschnikows meine neonblinden Augen
verfangen sich im oszillierenden Licht deiner Pupillen ich
lasse sie wie Schafe darin grasen schlittern überlebte
Worte heut Abend überleben spielend ohne mich

9. Januar 2015 00:22










Mirko Bonné

Reise der drei Waisen

this was all folly
T. S. Eliot

Waisen nannten sich die Drei, die mich mitnahmen.
„Hereinspaziert bei den Waisen vom Gutenmorgenland!“
Sie führten sich auf wie gerade noch davongekommen.

Alle Wege waren aufgeweicht, „echter Softie, das Wetter“,
meinte das Mädchen, das der Alte bloß Bunny nannte.

Sein Kollege saß vorn, im Mantel eines Katalanen,
dessen Leichnam jetzt in einer Benzinlache liege,
irgendwo in einer Kranwagenhalle. Der Stoff stank,
besonders nachts, wenn sie die Heizung aufdrehten.

Sie waren Blender, und nichts gehörte ihnen außer
dem Zeug, das sie am Körper trugen, und dem, was
sie grölten und ihnen allen die Langeweile vertrieb.

„An was sich erinnern“, fragte der Alte mal, „alles
ist ein Film. Rückwärts läuft nichts.“ Nein, besser,
in einem schrottreifen Toyota auf Schleichwegen
und hinein in Ortschaften fahren, wo der Trübsinn
an einem fraß wie Ruß am schmelzenden Schnee.

Bunny kreischte was, das aber niemand verstand.
Sie sprang raus und steckte vor einer Videothek
den Pappbond in Brand. Von dem Grünstreifen
zwischen zwei Parkbuchten flogen Spatzen auf,
als sie da tanzte, während ich fassungslos zusah.

Der Alte stieß die Fahrertür auf, stieg aus und
trat den verkohlten Kinohelden wortlos zusammen.

Ich fing an zu brüllen wie sie, aber dozierte dabei
noch immer von „Passage zurück in die Geburt“,
schon lachte mich der ganze Klub still. Wir fuhren
durch leergefegte Nester in die Berge hinauf, feucht,
duftend nach Grün, knapp unterhalb der Schneegrenze.

Auf der Suche nach einer Tankstelle mischten die Drei
die Käffer der Katzeneigentümer auf und beschlossen
– oberste Regel: Sonnenbaden ist für Untote tabu –,
tagsüber zu schlafen, in der Nähe von Wasser, und,
süß singende Stimmen im Ohr, nur nachts zu fahren.

„Ihre Haut ist so blass wie Gottes einzige Taube, Liebe,
wie eine schreiende Blume, Liebe, die stirbt jede Stunde.“

Sie sangen. Doch was sie sagten, hatte keine Bedeutung,
ihr Ziel war vielleicht eine Huldigung, wohl kaum aber
die des göttlichen Kindes, eher die der Leere in ihnen.
War der Tank voll, „wie der Mond“, dann ging es weiter.

Kurz nach dem Festfressen der Kolben, kurz nachdem wir
den Hafen erreichten und im Schatten, den ein Frachter
durch das Nachmittagslicht auf die Mole warf, anhielten,
fiel dem Alten hinterm Lenkrad plötzlich das Haus ein.

Für das Mädchen und Mantelmann war die Reise aus,
als sie Betten witterten. Das Land, endlich in Reichweite.

Ein Klepper leckte den Regen vom Zaun. Ich sah Vögel
auf kahlen Bäumen den Harsch von der Rinde hacken.

Als hätten wir die Wahl, schnitten wir uns Teller zurecht
und hörten wieder zu reden auf. Im Tausch mit den Bauern
gingen Schals weg, eine Posaune, und der Alte holte Lexika,
Tassen und Fotoalben aus dem Kofferraum, während Bunny
im Schneeanzug mittags am Campingtisch Nudeln kochte.

Sie kam in mein Bett und flüsterte, sie tue freiwillig alles,
wenn ich ihr meine Lederjacke gäbe. Ich gab sie ihr so,
sie rannte runter, und ich hörte den Anlasser heulen.

Als ich wieder aufwachte, war es still. Das Licht stand
im Klappfenster. Im Garten des Nachbarhofs waren
Blumen, die aussahen, als fotografierten sie das Gras.

Geborenwerden und Sterben sind manchmal dasselbe.
Ich wünschte mich nicht länger zurück. Ich lebte wieder.
Leben war mehr als Warten. Und so vergaß ich das Kind,
vergaß die drei Waisen und zuletzt das Gutenmorgenland.

*

6. Januar 2015 20:12










Christine Kappe

früher, heute, morgen

Früher haben wir auf unseren Treffen gern Fotos angeschaut, Kannst du dich noch an den erinnern, oder Was macht jetzt die? Wie hieß sie nochmal? Und vor allem: Wie wir ausgesehen haben, Und Wo war das nur?
Jetzt machen wir ständig Fotos oder überhaupt nicht mehr, das kommt aufs selbe raus, und dann schauen wir sie nicht an oder können sie nicht sortieren, vielleicht liegt das daran, dass sich unsere Wege auseinanderentwickeln, nicht an der fortschreitenden Technik, alt sind wir jedenfalls nicht, Mitte des Lebens, Doch Alles Wesentliche muss passiert sein, sagst du, sagt dein Vater, Vielleicht denkst du etwas konservativ, oder einfach nur realistisch, ich zumindest will Gegenbeispiele nennen, finde aber keine auf die Schnelle im Regen auf dem Weg zur Bahn.
Wär gern länger geblieben, doch eins ist klar: Unsere Wohnzimmer werden nie die Größe der Wohnzimmer unserer Eltern erreichen, weil wir nicht lange genug darin sitzen – ganz zu schweigen von der Größe der Wohnzimmer unserer Großeltern.

31. Dezember 2014 19:08










Gerald Koll

peregrinos

Peregrinos 20141213 MITTEL 640×360 88 MB

29. Dezember 2014 00:40










Thorsten Krämer

Near Oxford, Mississippi

Ein Totenbild. Sie sind nicht da, nur
Referenz, ein Nebel, der sich um deine
Schultern legt.
                  Verdünnisierte Entitäten
ohne Halt sind sie, die Toten. Ihr Atem
stirbt als letztes, er transportiert Bedeutung
bis tief in deine Lungen.

28. Dezember 2014 12:57










Tobias Schoofs

IM BLICKFELD DER TOTEN

schreib das hier noch eben zu ende
und dann nimm endlich die pillen

man bleibt im blickfeld der toten
doch schaut man sich um
schließen sie hastig die fenster
der beamte reicht mir ein foto

auf dem ich mich selbst erkenn
und sagt: es spielt keine rolle
ob die bilder den lebenden gleichen
man bleibt im blickfeld der toten

schreib das hier noch eben zu ende
und dann nimm endlich die pillen

26. Dezember 2014 23:59










Markus Stegmann

Stranden

Im Bleikristall der Nacht stranden
deine Lippen legt sich die kalte Hand
Helium im Herzen der klaren Luft
um erblindete Kirschen am
versehentlich berührten Knie

24. Dezember 2014 12:16










Claudia Gabler

Ans Grüßtkind

IXG wünschte mir nut und nut nichs anderes als:
ein großes nierenförmigez Zofa mit Schaftfungzion
und ein schönets weihnachtsfezz.
Lazz mich nich verzauern BIETTE
dein Zwunsch ist eigentlich gar nicht allein, äh dein
….. (((Ich gönnte mich TODlachen, weizt du,
wie es an Weihnachten übblich ist, wenn ich die anderen
gruppiere)))

23. Dezember 2014 19:26










Christian Lorenz Müller

Dass es genügt (Krajina, 1995)

Gelb war ihr Besen, sie wimperte geduldig
Staub von den Pflastersteinen.
Die Rosen in den Rabatten
längs der Einfahrt
verbargen ihre Stacheln
unter gehäufeltem Stroh.

Noch zwei Tage bis Weihnachten
und keine Spur von Schnee.
Auf dem Asphalt vor dem Nachbarhaus
glitzerten zerscherbte Sterne.

In Zagreb hatten wir erfahren,
dass es genügt, in der Küche
die Gasflasche aufzudrehen
und nach ein paar Minuten
durch ein Fenster zu schießen.
Rußkajal umzog den Rahmen
der Terrassentür, im Moment der Explosion
ein weit aufgerissenes Auge.

Wind kam auf, schleierte Asche
aus dem verkohlten Dachstuhl.
Sie staubte vor den gelben Besen
und wir hörten ein Seufzen,
als wir ratlos ein paar Schritte machten,
die zerscherbten Sterne zerknirschend.

22. Dezember 2014 11:17










Christine Langer

Staub oder Schnee

Ist es Staub oder Schnee der durch
Den Fensterspalt rieselt
Luftig leicht Sonaten von Bach
Eisglasperlen verzerren Perspektiven
Ein einzelner Tropfen wandert ins Meer
Die Farbe Blau verliert im kalten Licht
Der Winterhimmel hüllt Schlaf in abgelegten Schichten
Die aufgeschüttelte Bettdecke hängt
Als schiefer Buchstabe über der Matratze
So warm wie das Fell einer Katze beginnt der Tag

21. Dezember 2014 18:21