Thorsten Krämer

Nord bei Nordwest

Unversehens war er da hineingeraten, hineingestolpert eigentlich, es war diese alte Höhenangst, die in kritischen Situationen plötzlich ins Bild hineinragte wie die Köpfe toter Präsidenten in die Landschaft, die Angst war es also, die ihn aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, und nun, da die Malaise ihm in dicken Schweißtropfen von der Nase troff, blieben ihm tatsächlich nur die Berge. Ein vertikales Ausweichmanöver mit geschlossenen Augen, der Angst halber, was ein Jammer war, wenn man den Einheimischen glaubten konnte, die ihre Fässer fröhlich talwärts rollen ließen und felsenfest behaupteten, die Aussicht reiche, und das nicht nur an klaren Tagen, bis nach Frankfurt.

9. Mai 2014 16:37










Andreas H. Drescher

DER SÜDEN V

Künftig war er also im Norden zu Hause, unser heller Gast. Wie gut, dass er uns alle in den Vordersteven seilte. So blieb uns erspart, ihm zuprosten zu müssen. Das Tau des Bruchbandes war es, das uns den Schaum von den Hälsen troff, im Tau waren wir zu Hause. Denn nur in ihm waren wir uns gegenseitig Prost und Steuernummer. Gischt und Süden blinzelten wir uns reichlich fort. Wettermarken? Wir setzten keine mehr! Wasserherren waren wir, verkleinert und landmürbe zwar, doch schon vom leisen Seegang so geschätzt, dass uns sogar der Wagemut schon ausgewogen war. Ab, ab, abhanden. So saßen wir, schwerer als nötig, einer gegen des anderen Schulter an. Bierbänkelein. Wettermarker ohne Wetter. So hasten wir dahin. So schwierig das auch scheint im Sitzen.

9. Mai 2014 11:18










Markus Stegmann

Süden IV – Norden 1

Weiter nördlich, knapp temperierte Klingen im Sog der Zungen gerissene Fäden, ins Brot gewickelte Lappen, packen aufgewirbelte Teppichböden Münder ins graue Watt, statt transportierte Fresken heut Vormittag, erwähnte Fra Angelico, karminroter Osten weiter nördlich von hier aus, längsseits gestapelte Reifen, dehnbare Finger am Abzug, am, komm kleine Mütze, Lakritze, du blasser Mond, blankes Sterbensgesicht, im weisst du noch, nächtlichem Gaslicht, Terpentin, sogar „gefangen“ funktionierte nicht. Plötzlich fährst frei du, reifen wir dich vormittags, damit sie mittags nicht

8. Mai 2014 21:45










Christine Kappe

Minsk 5

Der Hahn spricht Russisch
Der Hund Deutsch

Idole, ja, die gibt es nun nicht mehr
so geht man halt in die Kirche
Nur die Frauen mit Kopftuch und ungeschminkt
Nur eine Kirche zum Taufen
wird natürlich zuerst gebaut
mit aufgesprühtem Schnee

Für die zweite, auf dem Dach der ersten stehenden* Kirche
braucht man 5 Millionen Backsteine
(Geräusch des automatischen Filmzurückspulens)
Die Steine dürfen keine Löcher haben – deswegen verzichten sie auf die Hilfe vom Staat
Vom Dach der Kathedrale wird man das Dach der Kathedrale sehen
Die Glocke hat Stalin vergraben

Ist die russische Mutter Gottes eine andere?
Die Alte segnet uns, schenkt uns Äpfel, Brot, hätte bald noch ihren Samowar aus der Tasche geholt
Sie hat mit den Partisanen gekämpft, einen Tag lang unter Toten gelegen, bis ein deutsches Mutter-Gottes-Bild sie errettete
Statt Hass schlägt uns Liebe entgegen
Aber wir wissen auch nicht, ob wir das so gut finden
Hier muss noch das Datum notiert werden: Oktober 1994

* Änderung vom 9.5.2014

8. Mai 2014 11:32










Andreas H. Drescher

DER SÜDEN III

Ein Unhold ist er also geworden, unser Süden. Er war es einfach leid, dieses Gedudel unserer Stand-Musik. So rülpste er Synkopen hinein. So rülpste er noch unserem Lachen Lachen in den Schlaf. Und trug er uns schnarchend in den Vordersteven. So war er der Unhold unseres Abstandes geworden. Lange setzte er uns und setzte uns zu dort unten. Bis wir selbst den Vordersteven noch als Bierbank lernten. So hörte sein Groll nicht auf. Das war sein Vorsprung. Unser Gesang hatte sich bald tot gesegelt unter Deck. Einmal um Sonne und Mond herum. Die letzten Funken. An denen hatten wir uns beiderseits verhoben. Deshalb schaffte er uns das Große Bruchband her. Das Große Bruchband für uns alle, das besonders tief in unsere Leisten drang. In die Leisten unserer Leistungen. Einmal Unhold, immer Unhold, ganz von diesem Bruchband an. Funkenflug als Nachzahlung, Steuernachzahlung der Windrichtung, Nachzahlung des Südens.

5. Mai 2014 07:46










ping

Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Der GOLDENE FISCH durchschwimmt die Nacht der Museen. 9 Autoren unseres Forums (20.00 – 20.45 Martin Piekar, Christine Langer, Nicolai Vogel / 22.30-23.15 Sylvia Geist, Hendrik Rost, Christine Kappe / 23.30 – 00.15 Andreas H. Drescher / Markus Stegmann / Thorsten Krämer) lesen mit Felicitas von Lovenberg und den Schauspielern Anna Böger und Fredrik Jan Hofmann im Literaturhaus Frankfurt am Main. Wir freuen uns!

1. Mai 2014 19:33










Thorsten Krämer

Nashville, Tennessee

Von Parkplatz zu Parkplatz, lost in
transition
: Für den Passanten beginnt die Dichtung
beim Aussteigen. Die Zielgerichtetheit der Schritte sei

dagegen eine Fehlinformation, ein Ablenkungsmanöver
ungewissen Ausgangs. Oder ist das Gehen gar nicht die
Bewegung, nur deren Auftakt? So sagen es

die rhythmisch leicht Beschränkten, die sich im
Sicheren wiegen. Doch sie irren. Da ist kein
Überblick, kein Handlungshorizont. Bloß diese

fatale Neigung zur Halbtotalen, ein Fußabdruck
im Hirn.

30. April 2014 14:26










Christine Langer

Verweilen

Worte wie Staub
In der Luft
Wenn du sie aussprichst
Wachsen sie mir zu
Wandeln sich zu einem Gewicht:
Gedicht
Der Leichtigkeit

Von Nähe zu sprechen
Bedeutet genau hinzusehen
Zu verweilen in dir in mir
Dem Atem zu folgen
In verborgene Tiefen
Wo das Dunkel die Augen öffnet
Für genaueres Sehen

30. April 2014 11:27










Markus Stegmann

Faden

Bühne das Bad im
Freien gläsernes Licht
Wasser flieht aus der
Zeit der Blick rutscht
im Dunkel schwärzer das
Grün des unantastbaren
Gartens Traumgewächse
Irrlicht Faden deines Halses
Asche Arme Körperlose
zwischen den
blendenden Konturen
verfliessen sie
im silbrigen Licht

Zu Cornelis van Haarlem: Bathseba im Bade, 1594

26. April 2014 20:23










Mirko Bonné

Aufwachen in Melbourne

Das ist also Melbourne: am Morgen
   getaucht in ein Hellblau, das herab-,
auf die Dächer heruntergefallen scheint.
   Kräne, Blätter hochwirbelnde Straßen-
bahnen. Vorbeirauschen kahle Platanen.
   Und Gottes Atemwolken ziehen nord-
wärts nach Wagga Wagga.
                                           Die längsten
   denkbaren Finger öffnen das Schließ-
fach des Himmels, bis es taghell wird,
   so schnell, dass du erschrickst Ecke-
Swanston-und-Franklin. Rede nicht nur,
   bloß um dich umzudrehen und wegzu-
gehen. Sprich mit ihr.
                                   Sie ist ein Regen,
   die Welt, und liebt die fünf Sinne. Über-
schwemmt dich. Ist zartfühlend, ist schroff
   oder Buschfeuer. Sie kommt durch die-
ses Fenster, in deine Augen, mit allem
   Licht erwartet sie dich an deinem aller-
ersten Aprilherbstmorgen in Melbourne.

Für Emma Lew

*

26. April 2014 08:57