Mirko Bonné

Meditation am Kalksee

Meinetwegen: Wir träumen.
Nur wenn ich mir vorstelle,
die begriffsstutzigen Fische
tief dort unten im Wasser.

Ein französischer Denker
kannte sie schon 1637, unter
Papst Urban VIII., und mehr noch.
Er zählte sie. Und sie schwammen.

Weder gab es elektrisches Licht
noch künstlichen Schnee. Nach ihm
gibt es nur Illusionen, sonst nichts,
nicht einmal Brot, wozu auch.

Keiner hat wirklich Hände,
trägt eine Brille oder liebt es,
mit einer Frau, im Sommerkleid,
durch den leeren Raum zu gehen.

*

2. August 2011 18:38










Gerald Koll

meditation in urnäsch

sitzt du da, morgens, halbacht, auf den matten
meditieren wir. wir meditieren, meditieren wollen wir
aber innen wachsen bilder, die sich türmen,
kaum dass du die augen schließt.

Ists ein turm ists eine mauer ists gestein
und du sitzt mit geschlossenen augen
und bildet sich bruchstein und formen sich türme
und du sitzt und es türmen sich steine

und du schwitzt und du weißt nicht wieso
und wirst kalt und die hitze stiebt auswärts
und wirst turm mit kaltem gemäuer
wirst stein mit geschlossenen läden

und du sitzt und du sitzt und du wartest
dass der schweiß trocknet und blättert und
den körper bloßlegt und die wärme wieder
eindringt und den stein erweichen lässt.

2. August 2011 13:37










Mirko Bonné

Ein Sommersonntag

1972, im Freibad Marzoll,
Bad Reichenhall. Ich stand,
ein siebenjähriges Hemd,
hoch oben im Föhnwind
auf der Messerklinge des
Siebeneinhalbmetterbretts
und blickte über die Grenze,
bis Großgmain in Österreich.

„Spring!“, riefen mein Bruder
und Onkel Walter. „Spring!“,
rief die ganze hellblaue Welt
weit unten, wo alles gut war.

Bloß ein sonnenverbrannter
Alter mit faltigem Brustkorb,
weißem Spinnennetzbart
und Mütze auf der Glatze
rief mir zu: „Spring nicht!
Bleib oben! Was willst du
denn hier unten?“ Danke,
lieber Günter Eich, danke.

*

2. August 2011 09:47










Gerald Koll

Aus Urnäsch

Jetzt eben, zu dieser Minute, während der Mittagspause einer sportiven Woche im Appenzeller Land, steht die These auf dem Prüfstand, dass das Denken der Wahrnehmung im Wege steht, denn die Herren Aikidoka spielen Schach.

Und Ueshiba, der kleine Gründer dieses Sports, hielt einstmals einhändig einen Stock waagerecht vor seinen Körper. Seitlich stemmten sich Männer dagegen (wie Sklaven am Ruder), doch der Stock bewegte sich nicht einen Zoll. Wie auch sollte er sich bewegen, rief Ueshiba, ich habe doch einen Kreis um euch gebildet!

1. August 2011 15:30










Andreas H. Drescher

KILOWORT

Die Gegenwart selbst besucht Konrad Zuse,
den Erfinder des Computers, in seinem ganz privaten Jenseits.

Selbst eine junge Frau, findet sie ihn zunächst als älteren Mann vor, dem sein Leben zu so etwas wie einem nachlässig abgelesenen Vortrag geworden ist, dessen Seiten er während des Sprechens zur Herstellung von Lochkarten benutzt. Er scheint mit seiner Erfindung noch lange nicht abgeschlossen zu haben.
Doch bricht mitten aus der Zerstreutheit eben der aufgeschlossene junge Mann wieder aus ihm heraus, der Zuse zu Beginn der Arbeit am ersten Computer war. So begibt sich die Gegenwart mit ZWEI Zuses auf die Reise durch dieses Jenseits und betrachtet mit ihm nicht nur sein Leben, sondern auch die Entwicklungen, die er möglich gemacht hat.„.

22. Juli 2011 10:35










Mirko Bonné

Ruttopuisto

Aus einem verglasten Zimmer
sah sie hinunter auf Helsinki
und packte Taschen und Koffer –
wohin, wenn nicht weit weg.

Sie strich durch die kahle Stadt,
wartete auf dem Bahnsteig
und hörte die Züge kommen,
aber alle brausten vorbei.

So ging der Herbst dahin.
Sie schlief in einem Park
und beobachtete Schatten,
Schatten in den Pappeln.

Es mussten die Toten sein
der großen Pest von 1710.
Am Tag wärmten sie sich auf
an Buden und Karussells.

Nachts legten sie sich zu ihr.
Mädchen suchten Make-up
und stöberten in ihrem Gepäck,
ein toter Junge las ihre Hefte.

Irgendwann war der Winter da,
es schneite im Ruttopuisto.
Nur weg, sagte sie sich müde,
und so zog sie mit ihnen mit.

Eines Morgens endlich kam er,
der Zug ins eisweiße Land.
Sie fuhren, wild schlug ihr Herz,
– wenn nicht weit weg, wohin.

Für Jouni Inkala

*

18. Juli 2011 15:40










Sylvia Geist

Gallium

die höhlen
von gran sasso erfahren nicht viel übers licht.
anderes erfüllt sie. restchen. nichtlicht am gedachten docht das
mmmmglück das keiner hält als stille raserei von partikeln
und glatter durchschuss:

voll davon
jetzt und jetzt verlassen – passage und passé. aber
in den tanks des massivs schwappt eine lösung die
mmmmdas fangen soll. wovon es unendlich viel gibt. nicht
licht. einmal erwärmt

würde es
in den tanks übrigens himmelblau. doch nicht mehr
wie zuvor. die sonne ist noch an der arbeit.
mmmmmehr erfährt man im berg nicht. daher das bittere.
daraus der name.

15. Juli 2011 01:15










Markus Stegmann

Neomontana

Ging die Impak an die Transvestia, die Transvestia veräusserte an die südkoreanische Yang-Min, die mit südafrikanischem Kapital Nutzungsrechte an der Neomontana geltend machte, die erst zögerte, dann uns nach Smolensk verschob, um uns zu zerschlagen.
Wo sind deine Augen, auf wessen Tisch hast du sie gelassen?
Am hinteren Wasserfallen liefen die Zerschlagenen in grosser Entfernung einer nach dem anderen über den Kamm. Dann hockten sie am Vogelberg, später am Frühen Eck, an der Kargen Fluh am Abend. Es wurde schwarz.
Sag mir, wo sind deine Augen, wenn ich in deine Augen schaue?

10. Juli 2011 22:43










Andreas Louis Seyerlein

~

22.02 – Ich stelle mir vor, wie das wäre, wenn ich über ein besonderes Auge verfügte, ein Auge nämlich, das ich meinem Kopf entnehmen und vor mich hin auf den Tisch ablegen könnte, ein lebendes Auge, ein Auge, mittels dem ich einerseits von meinem Kopf aus fröhlich in die Welt hinausschauen würde, andererseits ihm Freiheit des Raumes gewähren, ohne dass es sofort Schaden nehmen sollte, ein Augenwesen demzufolge, ein Augentier, mit einem selbstständigen Gehirn, mit einem Magen, Blutgefäßen, Ohren ( ich bin mir nicht sicher ), einem Mund und einem Verdauungsapparat, alles sehr klein und feinst gewirkt, eine Persönlichkeit von 7.5 Gramm Gewicht, die mich gern von einem Tisch her betrachten würde, diesen Mann mit fehlendem Auge, was nicht wirklich der Fall ist, weil das Auge, das fehlt, eigentlich anwesend ist, aber nicht dort, wo man es erwartet unweit der Nase, sondern längst auf dem Tisch. Stellt sich nun die Frage, was so ein Auge zu sich nehmen wollte, wie man es füttert, was und wie viel an einem der Lebenstage eines unabhängigen Augengeschöpfes getrunken werden sollte, und was in Etwa geschehen würde, wenn sich das Auge in ein weiteres Auge vernarrt?

> particles

7. Juli 2011 17:39










Hans Thill

Lied der Erntemaschine

aus Edenkoben: ich sehne mich nach den traurigen
Flüssen Slawiens und ihrer Koseform. Nach der
Tinte, mit der Prof. Old die Verssuppe würzt.
Nach jedem siebten Piep von Supermann
mit seiner Rentnerstimme (er hat eine Grille
verschluckt). Nach Tweety und seinen Kameraden
in einem astralen Kaff auf der Überlandleitung.
Nach den Geständnissen von Dr. Phil, der in
einem Schilfboot übernachtet. Nach dem Gejammer
der Postboten. Nach den Notizen einer Mumie
in den beheizten Zimmern von Hambach.
Nach dem Geständnis des Despoten mit den
schwarzen Pfoten, nach dem schaumigen Verstand
eines Touristen, nach dem Reim von Gras und Erde
in der Odyssee eines dicken Jungen, der alle
Rippen Gott vermacht, zum Bau der sich
bückenden Aphrodite, gepierct und mit stachliger
Frisur. Aphrodite mit dem Afro!
Rufen die schnellen Geräte von Heathrow,
die uns die Vollernter aus Pape bringen

Begrüßungsgedicht für

Tatjana Bijelic / Faruk Šehic / Hana Stojic / Mile Stojic / Stevan Tontic / Tanja Stupar-Trifunovic / Marko Vešovic / Sünje Lewejohann / Brigitte Oleschinski / Richard Pietraß / Àxel Sanjose / Kathrin Schmidt / Ron Winkler

30. Juni 2011 10:02