Sünje Lewejohann
in der au da liegt mein augenblau, all mein
herzblut, meine werke. es könnte auch die
förde sein, wen kümmert das, es reicht ein
grund, ein sandboden zum drin versinken.
meine steißgeburt ergab sich hier, auch mein
scheitern, meine liebelei. an jedem kiesel gibt
es zeichen, linien meiner hände auf dem
augrauen grund. ich laufe mit den tieren, ja,
mit hirsch und fischen. ich jage die kornmuhme
aus dem feld und finde jeden verstaubten onkel
wieder, den sie sich in die erde zog. ich weiß ja,
es gilt, zwischen schlafenden zu wachen. all die
urbilder. die heimkehrer, auch der, der immer
lustvoll warnte vor der au, ist längst ein erderest,
ein sandkorn nur in ihr. ich brauche keine stege
mehr, ich nehme alles mit mir mit; das wasser
tropft mir aus den taschen, aus den stiefeln und
vom kopf. ich bin die enkelin des grundes, an
meinen händen siehst du häute, schlägt in meinem
herz die au und all das, was ich haben wollte, legt
sich wie ein roggenkranz um meinen kopf.
25. Juni 2011 18:59
Mirko Bonné
Schön, im Waldmeistergeruch
zu gehen, durch Nieselregen
nach Anif. Die Erinnerungen,
der grüne Fluss. Kinderzeit
blüht mir auf dem Feldweg
mit dem Hasen, der da hockt,
Schaulust, aber eine stille,
Zeichen, Geraschel, Sterne,
ruhig, dass keiner erschrickt.
*
21. Juni 2011 11:33
Hans Thill
Item waz eyn knabe van vierzehen jairen zu Heiligeroide mit syme fader und moder des mandag(es) na pynxsten (1429 Mai 16) und saede, wie hey van eyme boyme in eyne stecken an eyme zune gefallen were yn synen lyff und brach sich selver uß dem stecken, also dat yne alle syne yngeweyde uß seyme lyve geinck, und greiff der knabe dar und hielt syne derme in syne armen, bis hey heym quam, und en konde yme dat neman weder yn brengen und woirden vader und moder zu gedencken an die genade unser liever frauwen zu Heiligerode und geloiffden den knaben aldar und alsbalde sy die geloiffde gedaden, doy namen sy die derme und daden dy dem knaben weder yn und genaß der knabe des woil und is vader und moder mit yme zu Heiligeroide geweist und loiffden und danckten Marien.
(Aus: Helmut Fischer, Sagen des Westerwaldes. Montabaur 1999, S. 152)
12. Juni 2011 16:54
Sylvia Geist
bis in die schwächsten Empfänger an
gerauschter Tinnitus, Schwindel
Anfälle bei Nieselreigen, Befund:
bis in die Wurzeln, der Tanzdrang.
Ja Grünlinge, Gräser, die
Grasmücke, ja, und das Raubzeug
in dessen schnellem Universum
er so sein muss, Schlagbaum
mit dem Herzen, dem rechten Fleck
gegenüber: sinister in der Sprache
der Medizin. Unbedingt kann er
Fibern, Rindemittel, Balsame, kann
ein Meister von Glückssymptomen
gebeugt zu berücken, Beeren. Windfang
natürlich, Fort-aus-den-Ästen nicht.
Er liebt die toten wie Taten, Luft
gewöhnt in Zweigen zu reden
lullt Bleib oder Blei immer
fort. Andere, ja. Kamen vorbei.
Gläubiger, Irrer, Arglose und so fort
laufend Getier, und der höllische Dante
erschien zur Blumenmesse und
brach ihm Herrlichkeiten ab, poetry
is a blood jet, das ist ein Vers aus
der Biologie, panic leaves
this way. Heimgesucht, getakelt
mit dem Tauwerk von Spinnen, lilac
Gulag, konspirativer Bau für Beuten.
Zweimal täglich ist er stiller
Brüter, Asteridenkraftwerk
mit dem Vergänglichen von Nacht
oder Schacht betrieben. Weiß er um
die ferneren Systeme, erinnert er sich
an die Kargheit, ganz am Anfang
des Gewerbegebiets? Da war er mal
Protagonist seiner Inquisition
danach gab es ihn in hellen Scharen
eine von Licht dämonisierte Plantage
verheerend. Man schaue nicht hin, nie
in dem Moment. Man denke sich
das im Singular, dabei so wie morgen
jeden Morgen, unbestimmt, das ist
stumm in der Sprache der Wörter
um die Heilstelle, Holunder
für Tom Schulz
10. Juni 2011 13:02
Mirko Bonné
Ein alter Garten voll Giersch,
mitunter denke ich und fürchte,
das wäre ein Bild für ein Leben.
Dann renne ich hinaus irgendwo
oder stürze in einen hellen Laden,
kaufe was und werf es in Gedanken
gleich weg. Das Dreiblatt, der Giersch
wächst mir durch den Tag. Misstrauen
wuchert, von Abscheu getriebenes,
endlos vergebliches Ausbessern.
Komm, denke ich, Zimmerholler,
verrate mir also, was du liebst.
Stickstoff habe ich reichlich,
Ziegenfuß, du grüne Geiß.
Du hast keine Vergangenheit.
Weißt nicht einmal vom Entzücken
meiner Großmutter, sah sie die Wiese
erstickt vom Baumtropf, dem Schettele.
Sie bereitete aus den Blättern Salat,
kochte gegen den Rheumatismus
die Stängel. Blüten trocknete sie,
Bodenschatz, sagte sie zärtlich,
weiße Tränen in grünen Augen.
Ich durchtrenne Triebe, kämme
allen Giersch und seine Namen
aus dem Gedächtnis, dem Gras.
Still liege ich da und habe Angst,
für ein Leben wäre das ein Bild.
*
10. Juni 2011 10:49
Andreas H. Drescher
Plötzlich der Ausdruck
„sehr ungelesene Mails“
in meinem Kopf. Wer
hat Vorschläge, wo
das herkommt, wo
das h i n w i l l ?
(Erstes Facebook-Dialolg-Gedicht)
10. Juni 2011 09:51
Gerald Koll
„Außerdem hab‘ ich Leute mit der Hasselblad gesehen, die haben so schnell fotografiert wie kein Mensch mit der Leica. Das ist Talent, das nennt man ‚Talent‘, nicht?, man nennt es ‚Talent‘, man kann es auch anders nennen – es ist bekannt unter dem Namen ‚Talent‘.“
(…)
„Ich bin doch nur aus Zufall hier.“
Helga Guitton (RTL): „Nee.“
„Guck, jetzt sagt wie wieder: ‚Nee‘ und denkt, jetzt hat sie irgendwas gesagt.“
(The Klaus Kinski Estate Edition No 2: Kinski Talks 1)
4. Juni 2011 10:47
Gerald Koll
Der Vatertag geht zur Neige. Gerade habe ich meine Steuererklärung abgeschickt.
(Die Uhr in der Fußleiste geht eine Stunde nach.)
2. Juni 2011 22:58
Gerald Koll
Für Frau Wittenborn hat der Sommer begonnen. Frau Wittenborn, der Name unverändert, Suche unter google zwecklos, denn Frau Wittenborn ist nicht bei facebook oder twitter, auch einen Computer hat sie nicht und auch kein tragbares Telefon, Frau Wittenborn steigt vormittags die Treppen des Hinterhauses herab, 93 Jahre ist sie alt und schlecht zu Fuß, Frau Wittenborn aus dem dritten Stock steigt vier Treppen herab, denn der Sommer ist sehr heiß, und die Lunge schnappt nach Luft, Frau Wittenborn sitzt dieser Tage, um die Hitze durchzustehen und den Abend abzuwarten, tagelang auf einem Stuhl allein im kühlen Kohlenkeller.
31. Mai 2011 10:21
Björn Kiehne
dass ich noch Worte finde
das Rauschen der Fontäne
die Weltweisen aus den Zweigen
das sanfte Abfallen des Ufers zum See
am Rand des Wegs
wilde Rosen, Iris, Schleierkraut
die Sonne flutet den Garten
im Schatten der Linden
gänseblümelt die Welt
30. Mai 2011 20:26