Thorsten Krämer

Shodo-Weekend in Pa Sing

Kalauer-Kalligraphie: den feinen Strichen das Derbe
abtrotzen, die vergeigte Vergeistigung. Am Horizont die
Alpen stehen unverwandt. Der Wind ein Rascheln. Parole

Performanz, der Meister lehnt sich sachte vor. Wo Schrift
ist, soll Schreiben werden. Der Atem ein Rasseln. Und hier
das unzerknüllte Papier, ein Zucken nur der Pinselspitze.

(für Frank Hornung)

8. Juli 2010 20:04










Markus Stegmann

Klopft ans Weltall und geht barfuss weiter

Klopft ans Weltall und geht barfuss weiter, steht in Bleistift am Rand meiner Zeitung, als ein Heiler vorbeikommt und fragt, ob ich krank sei. Wir werfen ein grosses Leintuch über die Szene und setzen es in Brand. Viel mehr als ein rohes, ungeschütztes Holzlager wird dabei nicht herauskommen, aber der Moment ist günstig, um nichts zu wissen. Klopft ans Weltall, ruft ANDREAS und sucht den Knall im Labor, damit bezeichnen andere Helfer den Zustand der Forschung, entriegeln den Stall und lassen die Hühner laufen. Wenn wir Gesichter aus Roboterhaut hätten, könnten wir die Helfer besser erkennen. So aber rütteln wir sinnlos am Gebüsch, weil wir der irrigen Meinung sind, dort, gerade dort die fehlende Farbe fürs Weltall zu finden.

4. Juli 2010 23:17










Hans Thill

Haus der Silben

silben5

Foto: Jean-Philippe Baudoin


Das Gatter
und auch die hängenden Rauten einer Biergartenfahne. Semiramis, Zäune für Königinnen, Semiramis, im Donner geboren. Auch eine Statue möcht höflich appostrophiret sein. Drei Könige ritten zum Dorf hinaus, jeder ein Ringlein im Ohr. Und die schrägen Vierecke, Gitterzeichen einer Software, die Kreuzstöcke einer Nervenverbindung. Der erste findet das Brot, die Not, den Tod. Der zweite findet die Fremde. Der dritte das Töchterlein. Und auch die Formation der Soldaten, wenn sie stehen und beten. Der vierte König wurde mit Eisen gebrannt und in ein Faß gesteckt.

2. Juli 2010 18:06










Mirko Bonné

Der Lankauer See

Mein Freund und sein Bruder schwammen
unter den großen Uferbäumen zuletzt
im Alter meines Sohns. Fragt er sie,
was anders ist heute, schweigen beide
und blicken aufs grün blinkende Wasser,
die Äste, als würden sie zurückreichen
vierzig Jahre lang bis zu ihnen zwei Jungs.

Ein blonder Reiher, so steht die Tochter
meines Freundes auf einem Pfahl am Ufer,
ehe sie springt. Mein Sohn in seinem Boot
verlässt sich aufs Verstreichen der Zeit,
ihre warmen Wellen, Mücken und Pollen,
die Flüge der Enten zum Abend. Anders,
silberner, sagt einer, stiller, ist nur der See.

*

1. Juli 2010 19:08










Björn Kiehne

Und vor unserem Fenster die Nacht

Meine Zunge fährt den Lauf der Elbe nach,
lässt das Wasser über die Ufer deiner Schenkel treten.
Der scheue Reiher im Schilf, das Lied der Regenamsel,
Fische springen, die Nacht pirscht sich heran.
Aus dem Auwald treten drei Wölfe, flüstern:
Hab Acht, hab Acht, hab Acht –
der Reiher breitet seine Flügel aus,
vor dem Fenster wartet die Nacht.

27. Juni 2010 04:30










Hans Thill

Mein Nam

mein Leich mon voyage mineur. Ein Wiedergänger sprüht
in kleiner Trance an alle Trafo-Stationen: Pas Op!

Verkehrter Kaffee und verirrter Wein steigen zu Kopp
und heissen beispielsweise Chloroform. In einem

weit entfernten Land hilft gegen wortverklebten Mund
Thalassa als ein Zungenlöser aus l und s. dar zamin

dur dast. Mein Nam mein Dotter eines Gottes ärmer
als die Nacht blau im Gesicht und für ein halbes

Sommerstück bin ich in Form: ein kahler Fall ein Overall
das Stresswort allemaal dem Anton Reiser hinters

Ohr geschrieben. Mein Nam meine Entgleisung mein
überall beseeltes immerzu rasiertes Pädonym

bin ich auch kein Korkenzieher wär ich doch gerne
eine Vogeluhr

Begrüßungsgedicht für
Dirk van Bastelaere, Eric Brogniet, Karel Logist, Els Moors, Erik Spinoy, Liliane Wouters, Gerhard Falkner, Zsuzsanna Gahse, Norbert Lange, Michael Speier, Ulrike Almut Sandig.
Edenkoben 23. Juni 2010

23. Juni 2010 15:59










Thorsten Krämer

Untitled

Die Blumen spielen Mathe: die Maßlosigkeit
dieser y-Achse, wie sie ausfranst und lässig die
Ebene wechselt.
                             Wie sie blühend vielfach Parabeln
antäuscht, und in der Horizontalen dasselbe Spiel.

Zu vernachlässigen: der Negativbereich. Dagegen der
Vorhang eine Funktion der Aufmerksamkeit, gefrorene
Bewegung.
                   Die von Menschenhand geschaffene
Lücke im Winkel der Stiele, das aufgeladene Schwarz.

20. Juni 2010 10:38










Hartmut Abendschein

a bottle close to cy twombly

(and maybe an elephant)

18. Juni 2010 16:31










Sünje Lewejohann

Salzbleich/

Salzbleich/ Wäre ich eine Taube, ich hätte kein
Gesicht. Ein Schnäbelchen nur und zwei
punktgroße Augen. Wäre ich eine Taube, ich
wüsste nichts. Bliebe ein nacktes, ein
immernacktes Ich. Nur in manchen Träumen
triebest du mit dem Strandgut an das Ufer. Läge
ein salzblasser Körper zwischen Tang und
Feuerstein. Geschliffenes Glas an Zehen und
Scheitel. Mit den Klauen kratzte ich diesen
Umriss nach. Ein Halbmond auf deinem
Gesicht. Dann böte ich gurrend meine Gurgel
feil.
Und rupfte man mir die Federn aus, bliebe mir
ein feines Knochengerüst zum Wandeln
zwischen Dachziegeln und Lehm. Zum Picken
mit knöchernem Schnabel. Zum Flügelrasseln
und zum Zeichensetzen in feinem Waldmulch.
Als letztes noch würde ich mir ein
Menschengesicht schnitzen, eine Stirn, zwei
Augen, Nase, Mund. Ich schnitzte mir ein
schiefes Lächeln hinein, ein Grübchen und eine,
nur eine einzige, ausgefallene Wimper.

17. Juni 2010 08:09










Nikolai Vogel

Kleiner Elefant

noch vor ein paar Tagen besucht, stand im Gehege und bewegte sich kaum, in dieser Welt nicht mehr, der unbegreiflichen, der kurzen Zeit, mutterlos und in den ruhigen Armen der Wärter, in die Jagdgründe jetzt, Rüsselspiele mit Hannibals Gefährten.

Jamuna Toni, 06.06.2010

Jamuna Toni 21.12.2009 – 14.06.2010

15. Juni 2010 16:08