Nikolai Vogel

Der erste Schnee, der ins Gewicht fällt. Vielleicht der letzte vor 2010. Zehn Jahre nach dem Datum, bis zu dem wir als Kinder immer gerechnet haben. Frische Spuren.

17. Dezember 2009 13:09










Hans Thill

Kater Nero, Edenkoben 1

Das älteste dokumentierte Rätsel wurde von dem schottischen Ägyptologen Henry Rhind im Jahre 1858 in Luxor auf einer Papyrusrolle, dem später nach ihm benannten Papyrus Rhind erworben. Der Verfasser dieser Papyrusrolle trug den Namen Ahmes (auch Ahmose). Das Dokument selbst stammt von ca. 1650 vor Christus. In einer Notiz am Rande merkt der Verfasser an, dass er dieses Rätsel aus einer 200 Jahre zurückliegenden Quelle abgeschrieben habe. Damit dürfte es fast 3860 Jahre alt sein. Die Schriftrolle, die im British Museum aufbewahrt wird, gibt die als das Katzen-und-Mäuse – Rätsel bekannt gewordene Aufgabe an:

»Es gibt sieben Häuser, in jedem Haus wohnen sieben Katzen. Jede Katze frisst sieben Mäuse, von denen wiederum jede sieben Kornähren gefressen hat. In jeder Ähre sind sieben Samen. Wie viele Objekte sind es? «
Die Lösung ist rein mathematisch: 7 + 72 + 73 + 74 + 75 = 19607.
(Wikipedia)

17. Dezember 2009 00:03










Björn Kiehne

Ein und aus

Jetzt steht das Auto endlich still.
Das Garagentor schließt sich,
diese dunkelrote Muttertür –
ich, embryogekrümmt im Bauch des VWs.

Suche noch immer das gelbe Tuch,
das du mir schenktest.
Du trugst es drei Tage lang um den Hals.
Es roch nach dir,
und als du gingst, blieb mir dieses Tuch und
dein Geruch zwischen meinen Fingern.

Nun atmet die Stadt endlich leiser.
Der Balkon löst sich vom Mietshaus,
ein Schiff mit Margeritensegeln –
ich, unterwegs in die Nacht.

Taste noch immer nach der Frage,
die in mir flüsterte.
Sie war so unaussprechbar klar.
Sie sprach mit dir.
Und als ich allein war, blieb mir diese Frage
im dunklen Raum zwischen Zunge und Gaumen.

Jetzt füllt die Stille endlich den Raum.
Auf deinen Anruf warten,
blitzende Satellitensignale –
weiter atmen, ein und aus.

11. Dezember 2009 14:14










Andreas H. Drescher

DARWINS SCHÖPFUNGSGESCHICHTE

Eine Hörprobe zum Vergleich.

10. Dezember 2009 20:46










Andreas H. Drescher

AM RIFF

DARWIN:
So hart der Wind mir auch vor der Stirn steht und so tief ich mich auch in ihn hinein lehne: Er nimmt doch nichts von diesem Schwindel mit. Das ist ein anderes Meer als damals, mit vier Jahren, am Strand von Abergele. Kein Sand, um die Zehen hinein fahren zu lassen, wenn das Anlandige mit seinem Salzgeruch mich ankam. Hier liegt nichts unter mir als ständig neu geschrägte Planken. Auch nichts breit Daliegendes mehr in diesem Blau, das zugleich See und Himmel ist. Fortwährend fährt es um mich herum. Schlimmer noch: In mich hinein. Zu einem bösen Rühren, dass mir die eigenen, schlecht gezeichneten Korallen vor die Augen treibt. Schwarz kreisen sie vor mir wie der schwarze Samt-Rock meiner toten Mutter. Wenn der Sturm weiter so zunimmt, wird er bald wieder um mich sein, dieser Korallen-Rock, das Schwarz, das jetzt wieder aufsteigt…

MUTTER:
Korallen. Kein Lebewesen hat jemals etwas Größeres erschaffen. Steinkorallen voller Würmer und Weichtiere. Feuerkorallen voller Stachelhäuter und Krebse. Atolle, die von unten her auf den Meeresspiegel zu kriechen. Saumriffe entlang der Festlandsküste. Barriereriffe an der Kante des Kontinentalschelfs. Siehst du, wie sich die Erde formt und formt, mein Sohn? Das wird dir den Weg weisen.

(Aus dem Hörspiel „Darwins Schöpfungsgeschichte“, bei Bellerive)

9. Dezember 2009 13:18










Marjana Gaponenko

Piotr V

(Schlaf)

Bevor du hinter den Lidern verschwindest,
in den eigenen Augen deine Spuren verlierst,
flammt die liebste Erinnerung auf : die Nacht
unter deren Zweigen du erhobenen Hauptes nicht gehst,
weil sie dich auf ihren Schenkeln, den Straßen, rollt.

Zuvor nagst du dich daran satt,
beißt dich fest in das, was nicht zu halten ist:
des Nebels zärtlichen Handschuh,
den Rabenschlaf – der Bäume Winterfrucht.
Du schaust dich wund
am Antlitz einer Frau,
der einzigen die du nicht haben kannst –
ein Engel der nur zu lieben weiß
durch dich hindurch die Welt.

7. Dezember 2009 19:06










Andreas Louis Seyerlein

~

22.28 – Seit einigen Tagen denke ich, sobald ich lese, begeistert an Neurone, Synapsen, Axone, weil ich hörte, dass ich mittels Gedanken, die Anatomie meines Gehirns zu gestalten vermag. Vorhin, zum Beispiel, ich folgte der Ankunft eines Schiffes in New York im Jahre 1867, überlegte ich, was nun eigentlich geschieht in diesem Moment der Lektüre dort oben hinter meinen lesenden Augen, ob man verzeichnen könnte, wie für das Wort Mary, das in dem Buch immer wieder aufgerufen wird, frische Fädchen gezogen werden, indem sich das Wort nach und nach mit einer unheimlichen Geschichte verbindet. Oder der Regen, der Regen, was geschieht, wenn ich schlafend, Stunde um Stunde, Geräusche fallenden Wassers vernehme? In der vergangenen Nacht jedenfalls habe ich wieder einmal von Regenschirmtieren geträumt, sie scheinen sich fest eingeschrieben zu haben in meinen Kopf, vielleicht deshalb, weil ich sie schon einmal nachtwärts gedacht und einen kleinen Text notiert hatte, der wiederum in meinem Gehirn zu einem bleibenden Schatten geworden ist. Natürlich besuchte ich meinen Schattentext und erkannte ihn wieder. Trotzdem das Gefühl, Gedanken einer fernen Person wahrgenommen zu haben. Die Geschichte geht so: Von Regenschirmtieren geträumt. Die Luft im Traum war hell vom Wasser, und ich wunderte mich, wie ich so durch die Stadt ging, beide Hände frei, obwohl ich doch allein unter einem Schirm spazierte. Als ich an einer Ampel warten musste, betrachtete ich meinen Regenschirm genauer und ich staunte, nie zuvor hatte ich eine Erfindung dieser Art zu Gesicht bekommen. Ich konnte dunkle Haut erkennen, die zwischen bleich schimmernden Knochen aufgespannt war, Haut, ja, die Flughaut der Abendsegler. Sie war durchblutet und so dünn, dass die Rinnsale des abfließenden Regens deutlich zu sehen waren. In jener Minute, da ich meinen Schirm betrachtete, hatte ich den Eindruck, er würde sich mit einem weiteren Schirm unterhalten, der sich in nächster Nähe befand. Er vollzog leicht schaukelnde Bewegungen in einem Rhythmus, der dem Rhythmus des Nachbarschirms ähnelte. Dann wachte ich auf. Es regnete noch immer. Jetzt sitze ich seit bald einer halben Stunde mit einer Tasse Kaffee vor meinem Schreibtisch und überlege, wie mein geträumter Regenschirm sich in der Luft halten konnte. Ob er wohl über Augen verfügte und über ein Gehirn vielleicht und wo genau mochte dieses Gehirn in der Anatomie des schwebenden Schirms sich aufgehalten haben.

> particles

30. November 2009 13:48










Sylvia Geist

„Mannheimer Bestandsaufnahme“…

… nennt Florian Slotawa sein bislang wohl umfangreichstes und umfassendstes Kunstwerk. Dazu listete er sämtliche Gegenstände seines Besitzes auf und fotographierte sie. Und trennte sich dann davon, um die Dinge auf Reisen zu schicken: „Das heißt, der Kühlschrank ist zuhause Kühlschrank, kommt ins Museum, wird zum Material für Skulptur, kommt wieder zurück nach Hause und wird weiterverwendet. Die Gegenstände zirkulieren zwischen Alltagsgebrauch und der Verwendung für Kunst.“
Ein Sammler wollte eine der Skulpturen kaufen, doch da die Gegenstände der „Mannheimer Bestandsaufnahme“ eine Einheit darstellen, kaufte er schließlich den gesamten Besitz Slotawas. Von diesen Dingen, die heute nur noch verpackt ausgestellt werden dürfen und demnach schon in ihrem „Kunstzustand“ im Lager einer Aachener Galerie schlummern, besitzt Slotawa lediglich noch Fotos. „So radikal ist das nicht. Meine Großeltern haben den Krieg überstanden, damals alles verloren und es auch überstanden. Ich denke, wenn man nicht bereit wäre, etwas Radikales zu machen, dürfte man eigentlich keine Kunst machen. Oder andersherum: Die Entscheidung, Kunst zu machen, ist an sich schon einmal eine radikale, und wenn man dazu nicht bereit ist, dann sollte man besser etwas anderes machen.“

Liste 3

25. November 2009 18:55










Hendrik Rost

Zufallshaiku

Gott ist in allem
Beispiele beweisen nichts
Demut und Kampfgeist

25. November 2009 14:53










Andreas H. Drescher

DIE SCHWIERIGE WIRTIN 12

Vor dieser Nase schließt sich die Zeit,
wendet, wackelt, aber schliesst besser
mit jedem Tritt, denn formloser nie als
allerlang gekannt der Stockschnupfen
geparkter Schatten deiner Matratze:
aufgeschütteltundwiederaufgeschüttelt.
Außen-Histamin mobilster Milben aus
Pakistan oder wars BALKAN schrie ein
Zorn aus modernen Nato-Märchen oder
warns Nasen-Märchen? Hölzern schniefst
du übers Parkett, aber der Augensack
wog schwerer, weit schwerer noch als
diese verkehrten Federkerne, die du
immer im Gramm bei dir hattest, aber sag,
wo ist deine Stirn, deine grame Gramm-
Stirn denn nur hin? Hat sie sich verfe-
dert oder verfediet? Sachte, Ballast,
wieviel Abraham, Moldau, Mandelringe
kostet der Abrieb alter Pupillen?

25. November 2009 10:34