Andreas Louis Seyerlein
0.05 – Vor wenigen Minuten hatte ich das Licht über meinem Schreibtisch ausgeschaltet und etwas Lebenszeit in Dunkelheit verbracht. Ich will Ihnen rasch erzählen, warum ich so gehandelt habe. Ich war nämlich spazieren gewesen stadtwärts unter Menschen in Warenhäusern und auf einem Weihnachtsmarkt, weil ich nachsehen wollte, ob sich in dieser Welt, die wir bewohnen, etwas geändert haben könnte, da doch vor wenigen Stunden durch Unterlassung entschieden worden ist, dass Bangladesh, dass das Gangesdelta in den Golf von Bengalen sinken wird. Ich dachte, das eine oder das andere sollte doch spürbar, sichtbar, fühlbar werden, ein wenig Unruhe, ein leises Klappern der Zähne vielleicht. Aber nein, alles Bestens, alles im Lot. Und als ich wieder an meinem Schreibtischs saß, war da plötzlich ein starker Eindruck von Unwirklichkeit, das alles und ich selbst könnte reine Erfindung sein. Ich löschte das Licht über dem Schreibtisch und wartete. Und während ich so wartete, lauschte ich den Stimmen der Tiefseelefanten, einem Orchester zartester Rüsselblumen, wie sie auf hoher See den Himmel lockten. Und als ich das Licht wieder eingeschaltet hatte, saß ich dann noch immer vor dem Schreibtisch, die Hände gefaltet. – Schnee fällt. stop. Langsam. stop. Leise. stop. – Ein gutes, ein nachdenkliches, ein glückliches Jahr 2010!

> particles
3. Januar 2010 18:25
Hans Thill
Ich mache einen Vers aus Zwanzig Zehn
nehme Zement und
viele Vögel ich nähe Zwillinge
aus Engeln zwing
Onkel Dante rein und ein Pfund Schnee
Je ferais un vers de vingt et dix prends
une valise un
dossier un jumau à coudre je prends
Monsieur Monstre avec
vingt autres anges de cinquante pourcent
I´ll make a verse of twenty ten
take glue for birds
and vowels making sense a twin to
hammer my Dandy
Dante with feet for Saints and teeth of tin
31. Dezember 2009 15:28
Marjana Gaponenko
(Der Ausgang)
Zuletzt trittst du vor die Tür,
gehst hinunter zum Teich
unter dem schattigen Lächeln
der Sonne, (du wirst sie nicht merken)
erster Mensch, der verschwand
auf dem Platz wo er stand,
in einer Glücksträne.
Du wirst gehen, mein Freund,
wie ein Strahl durch dich selbst,
so langsam, so schnell,
dass die Zeit
vor dir
stehen bleibt
und dich
endlich
umarmt
mit dem sehnlichsten Leib
der plötzlich nicht zählt.
30. Dezember 2009 23:55
Hans Thill
Neros Größe war gerade normal, sein Körper fleckig und stinkend, sein Haar hellblond, sein Gesicht eher hübsch als anziehend, seine Augen blaugrau und beinahe kurzsichtig, sein Nacken dick, sein Bauch vorstehend, seine Beine äußerst dürr, seine Gesundheit robust.
Sueton, Nero
30. Dezember 2009 13:09
Andreas H. Drescher
Zuviel das alles
In dieser Reise kommst du erst an
Wenn du zu Hause bist
Oft habe ich das gedacht auf diesen
B r ü c k e n
(Auch von mir die allerbesten Weihnachtsgrüße.)
24. Dezember 2009 11:18
Mirko Bonné
Ich glaube, sie sind
eine Maske, die flattert,
flattert und fliegt: So gelassen
hektisch sein, schwirren, knapp
über die Leute hin, die Kameras
durchs Geplätscher der Spiegel
schieben. Ich glaube, als Taube,
in Venedig als Taube würde ich
dir aufs Schulterblatt segeln,
und ich würde für immer
deine Keksehandtasche lieben.
Falsch, zu glauben,
nur auf Kringel sind sie aus.
Ich glaube, man verkennt Tauben
in diesem Licht, wo selbst Brodsky
die Macht des Auges verkannt hat:
Es sieht die Maske, es flattert mit,
flattert flügellahm. Ich glaube,
Tizian schasste Tintoretto,
als der Augen bekam.
Trakl fuhr Dampfvaporetto,
er hasste das alles und litt.
Ich glaube, es ist
dem gereimten Taubenschlag
nichts hinzuzufügen, keine Spur
zu hinterlassen außer den Kippen
der abendlichen Runde übers Ufer
der Barmherzigkeit. 500 Jahre lang
Geisterstunde, und es wird nicht
Zeit. Dort das zerfetzte Segel,
man könnte glatt glauben,
eine Galeasse fährt ins Arsenal.
Wildes Geflatter im Lagunensaal.
*
Allen Lesern, allen Fischen schöne Festtage. Schützt die Flamme!
*
23. Dezember 2009 13:54
Marjana Gaponenko
(Kohlenzange)
Wer erwachte in der frostigen Nacht?
Wessen Zittern trat ans offene Fenster?
Kletterrosen krochen zu ihm im Traum
blutend die Hauswand empor.
Ob du es warst, der eine Zange nahm,
die rauschenden Köpfe der Blumen
mit Kohlestücken vertauschend,
sie so zu pflücken aus der Glut?
Sie war es nicht, die lächelnd
aus deinem Spiegel trat und sich
als Träne auf die Brust dir legte,
versteinerte und wieder schwand.
Sie kann es nicht gewesen sein
die gütig dich zerriss, zerstreute
in dem Tal wo ihr nicht tanzt
im Schatten des anderen
brandend, an einander rollend,
zerschellend in aller Ewigkeit.
20. Dezember 2009 01:21
Hans Thill

huet dich vor den katzen – die vorn lecken unde hinden kratzen
Deutscher Holztafeldruck um 1500
17. Dezember 2009 22:47
Nikolai Vogel
Der erste Schnee, der ins Gewicht fällt. Vielleicht der letzte vor 2010. Zehn Jahre nach dem Datum, bis zu dem wir als Kinder immer gerechnet haben. Frische Spuren.
17. Dezember 2009 13:09