Thorsten Krämer

Fragen im April

Wie kannst du kabellos beleuchten?
Rötet sich deine Haut beim Baden?
Wirst du beim Fahren von den hellen Lichtern geblendet?
Brennt, juckt deine Haut nach dem Baden?
Ist nirgendwo eine Atemmaske verfügbar?
Ist dein Auto verbeult?
Würdest du dich vor dem Virus schützen?
Magst du Wellness?
Würdest du die Epidemie vorbeugen?
Stört dich, dass deine Zähne nicht schön sind?
Ist es dunkel um dein Haus herum?
Oh, nein, warum kannst du nicht gerade sitzen?
Kann das CORONAVIRUS vorgebeugt werden?

Fährst du viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln?
Ist die Atemmaske ausverkauft?
Kennst du den Gürtel, der GERADE Haltung spendet?
Hast du Angst vor Krankheit?
Sind alle Atemmasken ausverkauft?
Möchtest du zu Hause Wellness genießen?
Droht CORONAVIRUS?
Sind BEULEN auf dein Auto?

Magst du montieren, basteln?
Bist du heikel auf dein Auto?
Droht CORONAVIRUS?
Lebensgefahr wegen der grellen Lichter am Lenkrad?

Ist STÖRENDE Delle auf dein Auto?
Musst du deine schlechten Zähne bemänteln?

8. April 2020 10:57










Christian Lorenz Müller

UND DENNOCH TRÄUMT ES

Dieses Gedicht befolgt
alle derzeit gültigen Regeln.
Es hält strikten Abstand
zu sämtlichen anderen Texten.
Durch eine Atemschutzmaske
niedriger Ironieklasse
bewahrt es seine Umwelt
vor hochinfektiösen Metaphern.
Seine Sprache ist klar
wie das Plexiglas
vor den Supermarktkassen.

„Immer prosaisch, immer vernünftig sein“,
sagt sich das Gedicht –
und dennoch träumt es
von Versen, die die Poesie-Promenade
hinunterbummeln, Hand in Hand
unter blühenden Kastanien.

8. April 2020 09:16










Andreas Louis Seyerlein

~

22.02 UTC – Ich hab mich auf den Weg gemacht durch mei­ne Stadt. Ich dach­te noch, Du wirst die­se Stadt spa­zie­ren, ohne sie zu berüh­ren mit Dei­nen Hän­den, kei­nen Men­schen berüh­ren, kei­ne Stra­ßen­bahn, kei­ne Häu­ser­wand, kei­ne Kaf­fee­tas­se, kei­nen Knopf, kei­n Gelän­der. Mit die­ser Vor­stel­lung im Kopf ging ich los, Hän­de in den Hosen­ta­schen. Schon ein­mal hab ich so etwas ver­sucht, da wars nur ein Spiel, in einem New Yor­ker Sub­way­zug mit geschlos­se­nen Augen frei­hän­dig zu ste­hen und zu balan­cie­ren, sagen wir eine zwei­stün­di­ge Fahrt mit der Linie D von Coney Island rauf zum Bed­ford Park Bou­le­vard. Das Rei­ten auf einem wil­den Tier. Viel­leicht könn­te ich sagen, dass das Erler­nen einer Sub­waystre­cke, das neu­ro­na­le Ver­zeich­nen ihrer Stei­gun­gen, ihrer Gefäl­le, ihrer Kur­ven, auch ihrer feins­ten Uneben­hei­ten, dem wort­ge­treu­en Stu­di­um eines Roman­tex­tes ver­gleich­bar ist. Aber dann die Zufäl­le des All­ta­ges, das nicht Bere­chen­ba­re, ein Tun­nel­vo­gel, eine schmut­zi­ge Möwe, Höhe 135. Stra­ße, die den Zug zur Brem­sung zwingt, Eigen­ar­ten des Zuges selbst, das unvor­her­seh­ba­re Ver­hal­ten zustei­gen­der Fahr­gast­per­so­nen, eine Jazz­band, wie ich drin­gend dar­um bit­te, man möge nicht näher kom­men. — stop


> particles

6. April 2020 21:10










Christian Lorenz Müller

ABSPERRBAND

Mehrmals kunstvoll
rund um den Park gewickelt,
um dieses gigantische Bukett
aus Magnolien, Zierkirschen, Forsythien
das niemand abholt.

Tief durchhängend
sperrt es den Eingang
zum Spielplatz, Springseil
allein für den Wind.

Straff über den Platz
gespannte Saite. Keiner hört
die schrägen Bogenstriche
der Regenschauer.

 

3. April 2020 12:02










Hans Thill

Textikel

DAS KIND, ein Licht kann es locken, der Kopf einer Blume. Wir suchen die Wahrheit im erschrockenen Wort. Das Kind mit der Schraube im Mund, es will sie schlucken. Ein Gewinde von sieben Zoll Steigung, das Fahrrad ist längst geklaut, man schiebt es am Läuterungsberg. Dante, ein Knabe von vier und schon in der Hölle? Es geht Zoll um Zoll, wir geben nicht nach. Das Auge nimmt Maß, Dante greift in die Vollen. Der letzte, der das Licht löscht, als wäre es das Schwarze unterm Nagel, ist der Mönch, ein barfüßiges Etwas, nicht viel mehr als das Kind.

1. April 2020 08:25










Mirko Bonné

Schuhe des Morgensterns

Er bewegte den Himmel und das Wesen der See,
und aus den Wäldern kam Schroffheit.
Er kannte das Muster aller verwehten Blätter,
die vielfachen kleinen Schatten. Er benötigte
Glanz und Größe auf der langen Hinreise,
und seine Bestrebungen – ein Mondaussetzer,
die kaputtesten Bäume. Der niedrige Horizont
verblüffte wie ein Kind. Widerhallen drang zu ihm
aus der belagerten Stadt. Sie glich einem Regen,
die Welt, und seine Augen liebten Verschwommnes.

Emma Lew

*

31. März 2020 13:05










Konstantin Ames

Näh-nä-nä-nänie

M c
O h
R r
G i
E s
N t

Wer ist der MC? Wer die Orgie?
Doch nicht die Kirschenkleinschreiber!
Nicht die Rotzer, nicht die Stutzer, nicht
die Häusleausbauer, die Ansager nicht
die 100 neuen Messerschmidtchen
die Aufsager, die Absager, die – – –

S i
T a
E i
R a
N n

21 Raben husten dir heut was, die Behändigung
des mittelhochdeutschen Wachssinns
hat mit dir begonnen, keine
Immelmannkurven waren
eleganter als deine zwo Esel
voll selbstgenähter Hustschutzmasken

Münchens großem Sohn, gestorben am 31. März 1914

31. März 2020 10:32










Christine Kappe

Es ist alles sinnlos geworden

Es ist alles sinnlos geworden
Schon das Datum stimmt nicht
Ich bin wieder nachhause gefahren deswegen
Einen Kuss wolltest du mir nicht geben
Deine Mutter heute morgen mit dem Krankenwagen weg
Verdacht auf Corona
Dein Vater versteckte die Haustürschlüssel und verstand das alles nicht
Dabei untermauerten wir doch seine Verschwörungstheorie
Mit Gesichtsmasken und Einmalhandschuhen
Jetzt wartest du dort, dass die Straßenlampen ausgehen
Vorhin die ganze Zeit nur aufs Navi geglotzt
Als ob du den Weg zu deinen Eltern nicht wüsstest
Zu jedem Abzweig noch eine Geschichte gehabt
Während Google nur wusste, wieviel länger alles dauert
Im Vergleich zum direkten Weg
Ins Nirwana

30. März 2020 03:28










Hendrik Rost

Sofortmaßnahmen

Immer wenn ich gut drauf bin,
krieg ich Schnittstellen. Monströs viele mögliche Symptome, nur weil es Risikolippen gibt.

Ich summe dann ein Leid für die klinischen Götter in mir: Macht mich, olala, immun gegen unverrichtete Sinne.

27. März 2020 05:56










Konstantin Ames

Postpoetry fürs Ellbogengesellschaf

Es gibt sie also doch. Klein oder in Erwachsechsenschrift. Lustiges Spreu.
Zur Lyrik aufgedonnert. Ohne spürbares Publikum.
Drei. Eh. Gähn.
Sie muss. Elektrisch. Und sie muss nicht neu sein, nur scheu.
Wir wollen husten gehen, kumm!
Feil. Eh. Gähn.
Q. Wissen Sie, was mich etwas beunruhigt, hm?
I. Was denn? Na? Ey, ich, also, ich muss zur Simulacrenschicht …
Q. DIE SEUCHE! DIE SEUCHE! DIE SEUCHE!
Feil Butter, das letzte systemrelevante Zeitungsgedicht.

25. März 2020 10:51