Julia Trompeter
Was zum Aufklappen
Katz und Hund am Frühstückstisch:
wohin ist die blaue Tasse entwischt?
Das Radio spielt keine Rolle, ist echt —
mit allen Fake-News hat es Recht,
objekthaft in der Küchennische.
Sie umfassen einander, liebestief,
ein hellbunter Vogel macht piep
und denkt, er sei eine Ente.
Falsche Ordnung, kind-crossing
früh am Morgen, zwanzig nach sechs.
Wo ist der Garten — mit Rutschbahn
hinunter vom vierten Stock?
Wo ist der Rosenstrauch,
der zum Aufklappen? Ja, o ja:
den brauchen sie auch.
Christian Lorenz Müller
UNBESCHADET DURCHFLIEGT DIE POESIE
Keine Windräder,
Zahnräder einer großen
Himmelsmaschine.
Ventilatoren,
quirlen sie sommers Frischluft
ins stickige Wien.
Wühlende Schrauben
von gekenterten Schiffen.
Weiße Wolkengischt.
Oder Propeller
über einem Nurflügler
namens Horizont.
Unbeschadet durch-
fliegt die Poesie die wir-
belnden Rotoren.
Konstantin Ames
kapiert euch
Vom Bett, wo junge Seehunde lauten
als hätte sie’s, in einer Gurgel (meiner),
in einen Fluß verschlagen, zum Park
(Volkspark) für verschlissene Chefsessel
– und es gibt Beweisfotos, wertes Zentralorgan –
hinaus auf die Gesellschaftsinseln
inmitten dieser Façonschnitt-Epiphanien.
Zwei lehnen schon an Bäumen und kotzen
die Metaphern wieder aus. Kartenhausmägen.
Fehlen nur dem Brahmsschaf feuchte Träume
von Handwerk ohne Inspiration im Jetzt-Hier-Origo.
Reden wir nochmal drüber nach dem Neobarock.
20. Februar 2020 15:46Mirko Bonné
Ein Dunst
Ein Dunst liegt über Dakota,
und über Nevada liegt Rauch
und Qualm über Minnesota.
Am Ende liege ich auch.
Heute ist Ror Wolf gestorben.
*
17. Februar 2020 22:50Andreas Louis Seyerlein
~
14.08 UTC — Eine alte Dame spaziert durch den Palmengarten. Sie spaziert bereits seit fünf Tagen durch den Palmengarten. Auch in der Stadt, in der sie seit vielen Jahrzehnten wohnt, existiert ein Palmengarten, der viel größer ist, als der Palmengarten jener Stadt, in die sie reiste, um spazieren zu gehen. Es muss präzise dieser Palmengarten sein, weil sie ihn von ihrer Kindheit kennt. Sie ist noch gut zu Fuß, aber sie geht langsam, sie will etwas finden, das mit diesem Palmengarten verbunden ist, eine Erinnerung. Diesen Teich gab es noch nicht, sagt sie, aber diesen Berg von Steinen, den will sie kennen. Auch an das Café am Südausgang erinnert sie sich. Und diese Ginkgobäume gab es damals auch schon, da hat sie Blätter gesammelt, um sie zu trocknen und auf Karten zu kleben. Nein, sie habe noch nicht gefunden, was sie sucht, sie weiß aber ganz sicher, dass sie es hier finden wird, es ist ja schon da in meinem alten Kopf, ich muss nur darauf kommen, das geht nur hier. Und wenn sie gefunden habe, was sie hier suchte? Dann reise sie weiter nach Ilulissat, da war ich auch schon, immer schön der Reihe nach, aber nicht im Winter, im Winter fahre ich an die Nordsee. Jetzt geht sie weiter. Es ist Mai, Mittwoch, kurz nach Drei. — stop
22.03 UTC — Sobald ich mit meiner Schreibmaschine eine U‑Bahn betrete, beginnt sie nach weiteren Schreibmaschinen zu suchen, vermutlich, um Kontakt herzustellen. Meistens antworten anwesende Schreibmaschinen. Sie erzählen einerseits, dass sie da sind, dass sie über Sensoren verfügen, die bemerken, dass meine Schreibmaschine sich nach ihrer Gegenwart erkundigt. Andererseits zeigen sie an, dass sie im Grunde keinen Kontakt aufzunehmen wünschen. Sie senden Namen, Bezeichnungen, Zahlen oder Buchstabenfolgen, die auf nichts verweisen, als eindeutig sie selbst: L‑887MN oder Easy665X. Manchmal jedoch sind Zeichenfolgen zu entdecken, die ein Geräusch im Kopf erzeugen, Mezizo 7, zum Beispiel, oder, gestern: Kaprunbiber. Das war unheimlich, ich drehte mich um. — stop
11. Februar 2020 15:26Mirko Bonné
Gespenst
In den Büchern von dir
Unruhe und Gesicht
immer noch die Lese
-zeichen in Streifen
zertrennte Matrizen
der Geschäftsbücher
meiner Großeltern
in Litzmannstadt
dem umbenannten
überrannten Łódź
Beide sind sie tot
so wie du Tadeusz
Und ich lebe Lese
Zahlen und Ziffern
Tara Saldo Skonto
Zahlen 1941 1943
In ihren Ordnern
für Außenstände
Mahnungen uner
-ledigte Transfers
sind abgeheftet
meine Gedichte
Entwürfe datiert
Juni 91 Mai 93
Ihre Hochzeit
1940 in Łódź
ihre Gesichter
die Heiterkeit
meine Unruhe
Haben und Soll
Soll und Haben
das Gespenst
das ich erbte
Gespenst des
Nichts Nichts
*
Aus: Różewicz-Lieder
27. Januar 2020 17:50Christine Kappe
Ostende
Menschen und Möven, April 1993
(Abtönfarbe auf Pappe, 80 x 120, Original durch Unwetter 2009 zerstört)
Tobias Schoofs
ROMERO
zombies betreten das kauf
haus sie nähern sich fressen
das leben wo sie es finden
und da es zombies sind
fragen sie nicht ob es weh
tut ahimsa ist nicht das
prinzip ihres daseins