Mirko Bonné

Wege durch den Spiegel

Im Nachtwind Gespenster, die Äste, wie sie so
schwanken, mich erinnert das schwarze Fenster
an mein Jungsgesicht, ein Beben war es ja eher,
Gezittere, dieses Schwanken, und innen Zweifeln,

oder täusche ich mich? Ich sehe sie noch vor mir,
meine Augen, immer ist da dasselbe so rastlose
Blicken, ein Unwissen, Rätseln, Erratenwollen,

ja. Mit demselben Gesicht saß ich als Schüler
weinend auf dem Sockel des Spiegelschranks
meiner Großeltern. Blickte tief in den Schmerz,
aber half der Blick? War er poetisch? Mein Opa,

zwar tot, doch spielte eine umso größere Rolle,
er wurde erzählt, neu erfunden. Ein Vierteljahr-
hundert lang wehrte sich meine Großmutter

gegen das Erlöschen, und in ihrem Gesicht
sah ich Chemnitz, grün die Straßen vor dem
Krieg, die Tram in Lodz, verrußt ihre Fenster,
Flucht nach Westen, Flucht nach Süden, Groll

über Schuld, Flucht in Erinnerungen, Scham
vorm eigenen Dünkel, Festhalten am Osten,
Ordnen wertloser Papiere … Die See ist glatt,

bei Hohwacht Spiegel. Der goldengrüne Wald,
gewachsen bis zum Küstensaum. Alte spazieren
den Strand entlang, Enkel toben. Geister treiben im
dunklen Meer, und ich hinterm Fenster, am Schreiben.

*

11. Februar 2019 22:14










Konstantin Ames

Lasker-Schüler (Prinzengeräusch, big Guru.de-Verscheuche)

ein Leben ganz nach Rimbaud     nur liebenswert           mehr Witwe Cliquot

individualistisches Schlafrock-     ’s Künstlertum               der Haare Graues

schlaues Theben einer Prinzin        Jedermanns         Haar geht an der Kette

jeder Zahn ein Chormitglied          Intrikatesse        geht mir nicht ausm Ohr

das ist der Massenschlupf der       Kriebelmücke           in deinen Kopfofen


Festival zartester Muscheln             bloß Farben                von Interesse

Liebhaberwert ist kein sym-             Metrisches                Wort word poetry

posiastischer minister of                    in Sekt                         eingelegte

spoken Spukgeschichte           Anfang vom Lid                      Hechtin


feststeckend im Skilift.

7. Februar 2019 13:11










Christian Lorenz Müller

ROMANTIK IM ZEITGENÖSSISCHEN GEDICHT

Der kahle Baum vor dem Display,
vor der Fensterscheibe:
Unverwechselbarer Fingerabdruck
einer Linde.
Ein Gedicht öffnet sich
während der Zug anfährt,
die Landschaft zu wischen beginnt.
Dunkelnde App
eines Dezemberabends,
das Blinken des Bildschirms
oder das von Straßenlaternen,
dann das Google-Weiß einer Wiese
auf der noch Schnee liegt.
Kurz der Wunsch
etwas auf den Eingabebalken
eines Feldwegs zu schreiben, vielleicht
„Romantik im zeitgenössischen Gedicht“,
bevor ein Regenschauer
das Display spidert,
bevor es schwarz wird
weil der Zug
im Waldesdunkel stehenbleibt.

6. Februar 2019 18:07










Konstantin Ames

Ehrenstein (Eineiigkeitsideen)
Zuchttauben tropfen von den Drähten. Das nennt
Feinsinniger Regen tropft aufs äußere Tier. Das nennt
Geld, Charles, verdummt Dichter. Nennt das
Schenke. Vor allem schenke aus. Das nennt
Techné: penisbeinernes Dorf ohne Außenseiter. Nennt das doch
Rabe, ey, knabbernder Rabe, ey, futtert deine Hosen. Das nennt
Kerndörffer die Lehre vom Kleister. Das nennt
im gelben Winter man man. Das nennt
man Versschinden (weiß) im Grenzland. Das nennt
Ornament.
30. Januar 2019 17:49










Gerald Koll

Geisterinsel

Lanzarote ist eine Geisterinsel, bewacht von César Manrique.


30. Januar 2019 17:13










Julia Trompeter

Immer kein Telefon

Milchschorf, der unter den Nägeln hängt,
bange Bitten zwischen ungeweinten Tränen,
nicht geschlafene Nächte – und Tee, der
auf Zedern quellt und Blicke lenkt,
und das letzte Mal ist lange her.
Nirgends ein Zipfel mehr von dir,
nicht mal das ungemachte Bett, auch nicht
mein ungemachtes Haar, das Textchen hier,
der Anrufantwortpiepton schweigt, der Schlingel –
nur bei den Nachbarn ist noch Abendbrotverzehr.
Ich hab den Alltag in der Poesie verloren,
ich hab als Mutter keinen Sinn für die Natur,
es ist im Schornstein noch kein Qualm geboren,
ich bin so müd, ich glaub, ich träum das alles nur.

27. Januar 2019 20:08










Tobias Schoofs

IN IMOLA

leonardo erklärt den vetruvischen mann
und niccolò staunt als cesare den raum

betritt wird geschwiegen leonardo sagt
er bring uns die pläne und sie studieren
stadtbefestigung und niccolò zieht sich

zurück und bewundert im schatten der
schwärme von fliegen vorm fenster die
methoden des principe leonardo geht

später spazieren wo es weniger stinkt
und zeichnet vogelschwärme im flug

20. Januar 2019 20:47










Christine Kappe

philosophiert

Auf dem Weg zur Arbeit
im Dunkeln
philosophiert
Warum sterben wir

Wenn wir nicht stürben
wäre an uns doch irgendsoeine Art Leine
die uns mit ewigem Leben versorgt
Und die würde beim Radfahren stören

17. Januar 2019 21:15










Christian Lorenz Müller

SCHOLLEN (GEDICHTE AUS DEM GEMEINSCHAFTSGARTEN II)

Die Beete schieben sich
wie weiße Schollen gegen den Zaun.
Schneedruck lässt die Spanten
der Gartenhütte knacksen.
Kieloben treibt sie
als verlassenes Schiff
durch den Abenddämmer.
Weiß verwehte Bullaugen
aus Eis in den Regentonnen.

Eine lebensfeindliche Umwelt
für Erwachsene. Die Kinder hingegen
verschwinden in Schneelöchern,
tauchen hinab
zu den üppigen Fischgründen
ihrer Phantasie
oder suhlen sich voller Lust
auf den kalten Schollen.

Im dichter fallenden Weiß
schimmern die nahen Straßenlaternen
polarlichthaft. So driftet der Garten
dem nächsten Tauwetter zu.

14. Januar 2019 12:12










Mirko Bonné

Zu Haus in meinem Bild

Immer wollte ich
mit den Schatten reden,
  sie aber, diese Spiegel in der Nacht, sagten
nichts, raunten bloß wie ich und
zuckten herum im Dunkeln.

Unter den Espen
die Schatten, und über den
  Schatten die Zweige, dazwischen, vielleicht
im Licht, war ich, und zu Haus in
meinem Bild ein Funkeln.

*

13. Januar 2019 12:35