Christian Lorenz Müller

HÄNGEMATTE AM MEER

Deine Hängematte: Natürlicher Bindebogen
zwischen zwei Aleppokiefern.
Seit Stunden das Konzert der Zikaden
und das Applausrauschen der Brandung.
Du trägst deine Bräune
wie einen gut geschnittenen Frack.
Immer wieder verneige ich mich
vor deinem Nabel,
vor dieser vollendet gespielten ganzen Note.
Das Salz in deinem Haar
ist das Kolophonium
das mich singen lässt.

Sforzatisches Blau bis zum Abend,
bis der Applaus verebbt,
die Hängematte
von den Bäumen genommen wird.

31. Juli 2018 13:35










Mirko Bonné

Saalberg in Aachen

Wir sind hinauf unter die Vogelausgucke in den
Linden und Kastanien gestiegen, seine Gedichte

und ich, unter die Säulen, ins Säulengelände
auf dem Lousberg, der seinen Namen womöglich

einem französischen König verdankt oder einer
Frau Lou, der einer ein Stück Aachen schenkte.

Seine Gedichte gingen mit mir durch das Blinken.
Linder Julinachmittag. Die Leute staunten jeder

winzigen Windbö nach und riefen: „So ein Tag!“
Einer, der den Tod nicht nötig hat als Spiegel,

so voller Leben, dass immer wieder momentlang
alles gut war. Alles meine ich, wie es hier steht

in diesem Gedicht, das fast von ihm sein könnte,
was durchaus Absicht ist. Unter Amselschimpfen

am Lousberg in Aachen las ich lauter Kindern vor.
Die Fröhlichkeit wehrt sich. Wir geben niemals auf.

*

20. Juli 2018 14:26










Tobias Schoofs

BELÉM

das wort bellt einen direkt an
wachhund vor der neuen welt

hängt den entdeckern am bein
die meisten gehen unter oder
sterben langsam am skorbut

vielen jedenfalls fehlt später
ein stück körper holzbein herz
und augenklappe ähnlich sieht

nach der visite aus europa auch
die neue welt gealtert aus

15. Juli 2018 12:06










Andreas Louis Seyerlein

von der Twitterhölle

12.08 – In einem mehrstündigen, äußerst strapaziösen Versuch, Gedanken auszutauschen mit Menschen, die eine Twitterhöllenkammer befeuern, habe ich Folgendes gelernt. Es ist nämlich so, dass in der Vorstellung dieser Menschen bald Ankerzentren existieren werden, umzäunte Gebiete, die Personen beherbergen, Personenmenschen, welche aus dem Süden bereits zu uns gekommen sind oder furchtbarer Weise noch kommen werden. Weiterhin habe ich bemerkt, dass Menschenpersonen, die sich in jenen umzäunten und bewachten Gebieten zwangsweise aufhalten sollten, in der Wahrnehmung der Höllenkammerbewohner immerzu jung sind und gesund und Männer. Man vermutet, dass diese männlichen Menschenpersonen möglicherweise schwächere Menschen auf hoher See vorsätzlich von Bord gestoßen haben könnten, vor allem Kinder und Mädchen, das ist selbstverständlich reine Behauptung, die durch stetige Wiederholung in der Höllenkammer nach und nach zur Gewissheit wird. Diese jungen Männer nun, sie sind sehr häufig von schwarzer oder dunkler Haut bedeckt, sollen außerdem über finanzielle Mittel gebieten, die ihre Flucht oder Reise überhaupt erst möglich machten, sie seien also, so erzählt man, weder arm noch in irgendeiner Weise hilfsbedürftig, sie würden beileibe nicht südlichen Hungergebieten entkommen oder vor Bürgerkriegen geflohen sein, vielmehr sollen sie von irgendwoher angereist sein wie aus dem Nichts, um auf Kosten verarmter Ureinwohner in der Mitte Europas Mischbevölkerung zu erzeugen. Weil sie sich sorgfältig kleiden, weil sie über Telefone gebieten, weil sie mitnichten ausgehungerte Elendsgestalten sind, werden sie verdächtigt, gut organisierte Ankermenschen zu sein, Vorhut oder Schlimmeres. Ja, so in dieser Art und Weise wird vorgestellt, wird ausgedacht, wird Gewissheit erzeugt. Ich stelle fest: Menschen, die keine Menschenpersonen, sondern Patrioten sind, Menschen, die in dieser skizzierten Gewissheit leben, sind empfindlich, sind wütend, sobald man sich mittels Wörtern fragend nähert. Sie schreiben unverzüglich zurück, dass man den Fragenden selbst sehr gerne pfählen würde bei lebendigem Leibe, erschießen, nach Afrika verjagen, da doch der Fragende ein linker Faschist sei, ein Antisemit, ein Mitvergewaltiger, das Böse schlechthin. stop. Die Sonne ist rund. – stop

> particles

9. Juli 2018 20:37










Christian Lorenz Müller

ZUM TOD VON OLEG JURJEW

Gott atmete aus – und Nebel glitt über den Spiegel Land
radial ausbreitend sein graues Silber …
Die glatten Schatten begannen den Rand
rund zu umfließen, die eigenen Spuren tilgend.
Schatten tauscht Schatten, Nebel blättert um: Nebel.
Ein schwaches Grün sog in sich die Gegend.
Schon taute die letzte Schicht.
Sein Antlitz kam auf der Scheibe in Sicht.

… Ein Spiegelchen ja der Poet am Mund einer kranken Welt …

Aus: „In zwei Spiegeln“. Gedichte, 1984 – 2011.
Übersetzung aus dem Russischen: Elke Erb

9. Juli 2018 13:58










Gerald Koll

hub 4.2 kann sein linkes Auge aufblasen

Als wir hub 4.2 entdeckten (Koordinaten-Segment 33.5°/5.3°),

waren wir uns hinsichtlich seiner Größe zunächst uneinig,

bis wir feststellten, dass seine Größe hochflexibel war.

Nachdem wir hub 4.2 dank Dr. Gerst sicherstellen konnten

(Außenbordeinsatz 12 der Mission Horizons, noch mal danke, Alex),

gaben wir uns größte Mühe, den Fund vor der Öffentlichkeit geheim zu halten.

Natürlich ist es eine brisante und hochexplosive Sensation,

zum ersten Mal der Menschheitsgeschichte extraterristrisches Leben

zu sichten und zu bergen. Wir nannten diese Lebensform daher hub 4.2.

Wir zögerten nicht, hub 4.2 einiger Experimente zu unterziehen.

Auch hier erwies sich seine staunenswerte Flexibilität: Kaum gelandet,

schrumpfte es auf die Größe eines terristrischen … Insekts.

Kaum auf einer vertikalen Landefläche (90°) platziert, änderte hub 4.2

seine Grundfarbe von Aschgrau

zu Farbton 10310 C (Referenz Pantone PLUS). Punktiert.

Kaum änderte es seine Position, lediglich bei disharmonischer Bildkomposition

justierte es seine Lage geringfügig nach. Aus ästhetischen Gründen.

Wir empfehlen hub 4.2 als Küchendekoration. Und ja, es kann auch sein linkes Auge aufblasen.

8. Juli 2018 16:42










Mirko Bonné

Die Bordwand

Ja, und? Das heißt was, für die Schiffe? Die Leute? An Land? An Bord? So what? Sind das Gerippe, oder was, sind das Tiere? Sind das nichtswürdige Existenzen? Hä? Was sagt das Gedicht dazu? Ist das Gedicht denn die Bordwand?

30. Juni 2018 00:05










Tobias Schoofs

SCHIFFSKATALOG

hier liegen die schiffe und spucken
rentner aus mit kurzen hosen und

krebsroten beinen die laufen in die
shops auf denen typisch steht und
kaufen souvenirs und halten das

englisch das der indische verkäufer
ihnen zu liebe spricht für landes
sprache sie sagen gracias und wo

fährt denn hier die berühmte bahn
dann werden sie wieder eingesaugt

29. Juni 2018 20:12










Andreas H. Drescher

TAXI

(Das erste Kapitel meines ersten Romans „Kohlenhund“, das auf www.edition-abel.de auch nachzuhören ist.)

Der Eindruck, als habe sich alle Schwüle dieses Tages in den Innenraum des Taxis zurückgezogen, in das ich mich gleiten lasse wie in eine Flüssigkeit. Eine Flüssigkeit, von der auch das Denken eingeschlossen ist. Einen Augenblick lang die Befürchtung, der Fahrer könne mich in ein Gespräch ziehen wollen. Doch der bärtige Mann scheint ebenfalls in eine große Abwesenheit geraten, in der nichts mehr Geltung hat als ein unsinniges Warten auf Kühle. Nur schwach dringt das Bild seiner Massigkeit zu mir durch.

Mein tiefes Aufatmen bei dem Windhauch, der mit dem Anfahren hereindringt. Durchzug. Er streicht mir um Gesicht und Nacken, findet zwischen den Knöpfen des Hemdes hindurch. So nehme ich für mich selbst wieder Kontur an. Es ist, als hätte ich in der gestauten Luft hier einen Abdruck hinterlassen, der nun von mir abrücke und aus dem Fenster steige.

`Hauchseelen!´, denke ich. Ohne Zusammenhang. Nur das Wort. Erinnere mich dann erst an die Geschichte, in der den Sterbenden mit dem letzten Atemzug zugleich die Seele entfährt, um in die Wolken aufzusteigen.

Einen Augenblick lang sehe ich den schweren Mann jetzt sehr deutlich neben mir sitzen. Selbst er hat Kontur gewonnen im hereinströmenden Wind. Nur sein Bart vom Licht des Seitenfensters durchstochen. Ich bin ihm dankbar, dass er mich nicht anspricht. Ein entgegenkommender Bus. Lichtblitze von dessen Fenstern. Ich schließe die Augen. Rotgelbe Fraktale. Das Flattern der eingerissenen Sonnenblende. Deren Rhythmus löscht Fahrer, Fahrt und Fahrigkeit, lässt meinen Kopf gegen die Nackenlehne sinken.

27. Juni 2018 08:47










Christian Lorenz Müller

SONNWENDFEUER (HITZE IN HAIKU)

Die Funkenschwärme:
Mücken stechen ins Auge,
dann sterben sie schwarz.

Hell leuchtet der Keil,
er spaltet die Finsternis
zu klaffendem Holz.

Dichte Rauchwolken
quellen zum Himmel, nieseln
die Asche herab.

Knacken und Prasseln,
akustischer Funkenflug
der wieder verlöscht.

Am Ende stiere
Blicke vom Alkohol. Die
Glutaugen starren.

25. Juni 2018 10:12