Mirko Bonné

Schulz in Catania

Man besah sich mit spitzem Augenwinkel den Dom.
Frauenquote auch ziemlich unermesslich.
Jede Autostrada führte aufs Meer,
und von da nach Rom.
Im Spiegel der Ätna, eine Katze, er.
Man weinte um die Wette mit Möwen. Unvergesslich.

*

13. Mai 2017 09:51










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (201)

11. Mai 2016, ein Mittwoch

Bis gegen halb drei Uhr nachts verbrachte ich damit, das Japan-Material zu sichten in der Hoffnung, einen roten Faden zu finden, denn meistens handelt es sich um Aufnahmen der immergleichen Figur, des lesenden Mannes, vor wechselnden Hintergründen. Nicht berauschend, aber auch nicht katastrophal, wenn der Rhtythmus von Schärfe und gezielter Unschärfe stimmt. Heute morgen durchforstete ich auf dem Balkon Ovids Metamorphosen nach brauchbaren szenischen Stellen und las Belphegor, dieses irgendwie zähe und dann wieder ungestüme Werk. Sehr bald warf ich mich, wie von einer Kartätsche heißer Trauben getroffen, aufs Bett.

Dort träumte ich, wohl irgendwo in Japan zu sein und mit dem Auto aus dem Stadtkern in einen Vorort zu fahren, von wo wir – wer „wir“ waren, erinnere ich nicht – zu einem Sportzentrum weiterfahren wollten, doch bis dahin war es noch ein gutes Stück Wegs. Plötzlich wallte Sorge auf, wie der Weg zu finden sei, und alsbald erkundigte ich mich eifrig, allzu eifrig, bei jungen Damen in Röcken und erforschte deren Landkarten, womit ich sie geradenach verschreckte und verscheuchte. Damit aber stieg wiederum die Sorge, wie, sofern ich in den Stadtkern zurückkehrte, das Sportzentrum rechtzeitig erreichen bzw. überhaupt finden solle …

… aber gelten diese vormittäglichen Halbschlafträume überhaupt? Wie das wohl wird, wenn der Schlagbaum zwischen Wachen und Schlafen sich hebt, und ich einfahre ins dämmernde Niemandsland, in dem Abschweifung, Gedankenspiel und Traum wohnen, eine Zone, die, je weiter ich vordringe, immer breiter und breiter wird.

11. Mai 2017 08:43










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (200)

10. Mai 2016, ein Dienstag

Wieder sehr lange im Bett gelegen, zu lange. Erwacht gegen acht aus einem Traum, in dem ich – wie es die nach altem Rauch schmeckenden Traumbilder wollen – einen Zug verpasst habe. Auf dem Bahnsteig nämlich hatte ich mich verplaudert mit Freunden, bis es plötzlich sehr hektisch wurde und ich mich allein dabei wiederfand, jetzt ganz schnell zum Gleis 9 zu meinem Schnell- bzw. Fernzug zu kommen. Doch war dieses Gleis weit weg, als würden die Züge nicht auf parallel angeordneten Gleisen stehen, sondern als befänden sie sich hintereinander auf Gleisabschnitten ein- und desselben Gleises. Gleichzeitig huschte dabei eine Erinnerung an einen früheren – vielleicht vor Monaten geträumten – Traum vorüber, in dem die Schwierigkeit darin bestand, den richtigen der nebeneinander gestaffelten Bahnsteige zu erwischen …

Genug: Jedenfalls eilte ich den Steig entlang zu Gleis 9 und sah dort, jenseits eines hölzernen Schuppens, einen Zug abfahren. Ich fragte mich noch, ob das wohl meiner gewesen sei, als ich im Holzschuppen schon jenes Freundes gewahr wurde, mit dem ich vormals geplaudert hatte. Es war K., der dort auf dem Boden saß, den Rücken gegen die Bretterwand gelehnt. Der hatte den Zug wohl auch verpasst. Auch ein blonder Schaffner mit roter Schirmmütze stand bei uns und sagte süffisant lächelnd auf Nachfrage, das Ticket berechtige durchaus zum Nehmen des nächsten Zuges in einer halben Stunde (Erleichterung meinerseits), nur sei mit entsprechendem Komfort natürlich erst bei Nachzahlung eines enormen Aufschlags zu rechnen (Bestürzung meinerseits), worauf ich Blicke zu K. sandte, um mich mit ihm dahingehend zu verständigen, dass wir gemeinsam auf entsprechenden Luxus verzichten könnten, worauf wiederum der Schaffner hinzusetzte, dass man aber bei Nutzung des vorliegenden Tickets natürlich in derselben Klasse zu sitzen habe, also daher um einen Aufschlag nicht herumkäme … was mich irritierte, während ich erwachte.

10. Mai 2017 13:57










Thorsten Krämer

*

Der Moment im Zug, wenn plötzlich am Horizont Düsseldorf
aufleuchtet, unter einem bilderbuchblauen Himmel, eine
rheinische Epiphanie ohne Ansage, denn gerade noch warst
du vertieft in deine unleserlichen Notizen, hattest keinen
Sinn für das Wetter — und jetzt sitzt du hinter, nein vor der
Scheibe, und der Himmel und die Wolken und die Landschaft
sind keine Unterbrecher deiner Konzentration, sondern deren
Ausstülpung ins Flüchtige.

10. Mai 2017 09:02










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (199)

9. Mai 2016, ein Montag

Mitten in der Nacht wimmernd erwacht. Mir hatte geträumt, des nachts in einem großen Haus zu sein, einem nordfriesischen Reetdachhaus vielleicht, jedenfalls mit allerlei Stützbalken versehen, einem einzigen großen Geschoss, einer langgestreckten Diele, von der zur einen Längsseite hin die Zimmer abgingen. Ich befand mich am oberen Ende des Hauses und schaute ins Dunkel und fand es angenehm ruhig, als ich ein Geräusch wahrnahm, das ich recht schnell als elektrischen Rasierapparat zu erkennen glaubte. (Verdammt, erst jetzt fällt mir ein: das muss durch Nachtgeräusche inspiriert worden sein!) Es kam von rechts um die Ecke, also einer kleinen offenen Kammer, recht hölzern gehalten. Ich sah die Konturen einer Gestalt und beschloss, sie zu packen. Doch indem ich sie packte, merkte ich bereits, dass ich es mit einem großen Kerl zu tun hatte, dunkel gekleidet mit schwarzem Pullover, einem großen massigen Gesicht, schwarzen Haaren, die ihm in die Stirn fielen, und dieser Kerl stieß mich stumm zurück. Da begann die Angst, und ich wich zurück, zurück in die Diele, um Hilfe zu holen und an die Türen zu klopfen. Doch spürbar versagten die Beine und die Stimme: schwer die Beine, dünn die Stimme, als hemme eine Lähmung mich, und also wimmernd – von Frau S. zart geweckt – erwachte ich.

An diesem Mai-Sonntag falteten Frau S. und ich aus vorgestanztem Papier zwei Samurai. Meiner wurde ein Haufen zerknüllten Papiers.

Wir sprachen über die Möglichkeit einer Maskenperformance. Wir haben ja unsere Maskenwesen-Aufnahmen aus Lanzarote und wollen damit etwas anfangen, obwohl wir erklärtermaßen ins Blaue gefilmt haben, ohne Konzept. Jetzt Sophiensäle kontaktieren, Fördermöglichkeiten sondieren.

9. Mai 2017 10:05










Christine Kappe

kein fenster, ein bild
ein buntes kleid
keine geliebte
eine vase, eine muse

ich stolpere über kabeltrommeln
im garten winken deine töchter
treffen entscheidungen statt männer
verkaufen gras
echtes grünes wo gibt es das noch
wo kinder bücher zerfleddern
auf der suche nach ihrer geschichte
bleibt die frage nach dem politischen standort des frühlings

kein scheinwerfer
die märzsonne von
schrägvorn

(Antwort auf Christian Lorenz Müllers BITTE BEACHTEN SIE)

8. Mai 2017 20:50










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (198)

8. Mai 2016, ein Sonntag (Muttertag)

Erwacht mit Kopfweh und dichten Nebenhöhlen. Erhöhte Kopflagerung, dann nach kurzer Lektüre zurückgesunken in traumhaften Schlummer bis halb zehn. Im Traum: Blick eine Freitreppe herab auf einen Kiosk, in dem ich den Namen „Kiel“ entzifferte, mich umsah und merkte, dass ich mich wohl eben dort befände, in Kiel, am Hafen, irgendwo in der Bahnhofsgegend. In den Auslagen entdeckte ich dann die Schriftzüge „Lübeck“ und sogar „Lensahn“. Dann huschte ein Mann mit blondem Zopf und Schürze aus dem Kiosk. Er trug große, graue Mülltüten heraus, querte schräg die Gasse und war weg; ich glaubte den Aikidoka J. erkannt zu haben und erschrak: Wie?!, sogar der arbeitslose J. arbeitet?!, und das auch noch in meiner Heimatstadt?! Ich schaute auf die Uhr: 19 Uhr, ich hatte den ganzen Sonntag verpennt. So erwachte ich also um halb zehn morgens.

Am Freitag erfolgte ganztätig die Hochzeit von T. mit seiner N., er ein Bräutling in Stresemann-Hose mit Sammet-Jackett, sie weiß verpuppt, er sehr redeselig, sie sehr still – die Braut und ich wechselten zwei Sätze, zur Begrüßung: „Schön, dass ihr da seid“, zum Abschied: „Schön, dass ihr da wart.“ Dazwischen lehrte man uns irisch tanzen, ein lustiges Hopsen mit reuelosem Schwitzen. Ich hatte mir fest vorgenommen, meine Gastrolle in Anstand und Heiterkeit zu bewältigen, nachdem L. mir am Folgetag des Junggesellenabschieds gesteckt hatte, ich hätte „mich was schämen“ sollen. Was schämen sollen!? Ich dachte bis dahin, ich sei das Sprachrohr für die Geiseln dieser Schnurren- Tortur gewesen und war nun ganz perplex. Per Selbstschutzreflex verbuchte die Bemerkung sofort als Irrtum, dennoch war ich auf der Hochzeit darauf bedacht, keinerlei Angriffsfläche zu bieten, denn ich will von allen geliebt werden, was immer wieder dazu führt, dass ich so sehr geliebt sein will, dass ich Liebesbeweise erwarte und bei Ausbleiben den Liebesbeweismangel auszugleichen suche, indem ich garstige Scherze mache, für die man sich was schämen sollte und die dem Geschädigten erhöhte Liebesbeweise abnötigen – natürlich eine heillose Strategie.

8. Mai 2017 12:01










Christian Lorenz Müller

BITTE BEACHTEN SIE

Kein Fenster, ein Bilderrahmen
in den eine junge Frau sich selber malt,
Sitzende in Betrachtung der Sonne.
Daneben ein Stilleben
mit Lampe und Ikea-Regal

sowie die bekannte Schwarze Katze
neben grün gestreiftem Vorhang.

Bitte beachten Sie: Die Ausstellung
schließt spätestens am Abend,
es schließen sich die Fenster
des Wohnblocks, und das Lächeln
der jungen Frau verschwindet.

7. Mai 2017 11:57










Markus Stegmann

Lerchen und Quellen

Du hast den Vogel mir gefangen
er war so leicht und war so frei
nun ist das Fliegen ihm vergangen
der Frühling kam und ging vorbei

Es liegen seine Federn hier
und nimmer können sie mich heben
aus der Lagune Meer Papier
die Nächte neue Vögel weben

Kaum dass wir beide uns besannen
da kreisen Vögel überall
wir gehen sprachlos schon von dannen
da überrollt uns Vogelhall

6. Mai 2017 22:33










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (197)

5. Mai 2016, ein Donnerstag (Christi Himmelfahrt)

Kurz nach der Rückreise träumte ich, ich fliege zusammen mit Schwester U. in einem Gefährt einer klüftigen Felswand entgegen. Es sah schon ganz danach aus, als müssten wir zerschellen, als ich eine höhlenartige Ausbuchtung entdeckte und genau darauf zusteuerte. Die Höhle ging über in eine Art Natur-Kamin, durch den wir denn auch steil aufwärts stiegen. Die simple Surrealität war so verräterisch, dass ich noch im Flug merkte, dass es sich um einen Traum handeln müsse.

Entsetzlich: Am Dienstag war der Junggesellenabschied von T. Ein völlig aus dem Ruder gelaufener Bräutigam nutzte das pflichtschuldige Wohlwollen seiner Gäste schamlos damit aus, sie mit einer Kette von Episoden (wenn’s wenigstens Eskapaden gewesen wären) seines Lebens und Liebeslebens zu erwürgen. Was für eine egomane Verzweiflungstat, was für eine Panikattacke im Angesicht der Eheschließung. Oder einfach nur stupide egoman und hilflos-konservativ. Oder war das nur ich, der das so wahrnahm? Allerseits nahmen wir Zuflucht in andauerndes Gläserheben und Hochlebenlassen (ein Wetttrinken gegen die Ausnüchterung beim Zuhören, aber es war einfach nichts zu machen), ich suchte Deckung hinter ironischen Einwürfen, um später, wenn der Schöpfer mich als Mitläufer T.s zur Rede stellt, mich auf die Widerstandsklausel zu berufen. Traurig.

5. Mai 2017 07:12