Christian Lorenz Müller
15. Regentonnenvariation
Für zwei Wochen blind.
Ihr ungläubiges Blinzeln
als die Hitze bricht.
Für zwei Wochen blind.
Ihr ungläubiges Blinzeln
als die Hitze bricht.
Anfangs nur ein grüner Schatten
den der Sommer an die Wand warf.
Drei Jahre später saß er breit
auf dem Verputz, auf einer Sandbank
und äugte mit ersten Beeren
zu mir herüber. Zum Kaiman geworden,
glitt er fortan die Fassade hinauf,
schnappte das Licht von den Fenstern
und zog die Laterne ins Dunkel.
Ich nahm die Gartenschere,
schnitt ihm Kämme vom Leib,
doch er schwänzelte ungerührt
bis hinauf in den Dachstuhl
und plünderte das Weiß
der Satellitenschüssel.
So griff ich zur Axt. Sein Leder
lag noch für Monate
grünschimmernd im Garten;
die Krallenspur
geht noch heute übers Haus.
Gegenwind
Der Motor hat zu wenig Öl.
Er hört die Welle hitzig werden,
hört es ganz allein.
Wo ist die Insel?
Künden Vögel nicht von nahem Land?
Er wünscht sich Möwen,
doch da ist nur Gischt, die fliegt.
Noch fünf, noch zehn Minuten
und die ersten Lagerkugeln brechen.
Er muss zum Heck,
er bittet, fleht, gebraucht die Fäuste,
die Flüche hört er kaum.
Sie stehen eng an eng,
sie stehen wie Soldaten,
sie wissen, dieses Fischerboot
balanciert auf schmalem Kiel.
Geh nicht. Du bist der Beste.
Du hörst, wozu wir Augen brauchen.
Am Außenborder sitzt ein Nigerianer.
Oil? Er deutet unters Dollbord.
Ein Kanister, mit Benzin.
Noch drei, noch vier Minuten.
Wo ist die Insel? Sie ist klein,
ist selber nur ein Boot,
umschwärmt von Gischt.
Das gute Öl für gute Kunden,
das schlechte ist für Leute,
die du nicht leiden kannst.
Ein Gellen, das der Nigerianer
nur als Sirren hört. Die Welle
frisst die Lager, frisst sich fest.
Und keine Möwen, keine Insel.
Gegenwind.
die Magnolie auf der Verkehrsinsel
ihre Blüten öffnet, Nester fürs Licht;
wenn die Ampel frühjahrsfarben leuchtet
und niemand Anstalten macht,
die Straße zu überqueren;
wenn die Marmelade
auf einem Frühstücksteller im Café
rot aufblüht und die Fliege
des Kellners zu summen beginnt;
wenn die Sonne die Gleise
so blank und glatt geleuchtet hat,
dass der Zug nicht abfahren kann
und der Schaffner
eine zwitschernde Amsel im Mund hat;
wenn der schwarze Eiszapfen
des alten Romamusikers
zu Klarinettentönen zertropft
und die Zymbalklöppel springen
wie zu früh geschlüpfte Heuschrecken;
wenn der Poet vergisst,
dass Euphorie und Ideen allein
eigentlich noch kein gutes Gedicht machen;
wenn
Auf dem Arbeitsweg
ein Haufen Nordmanntannen
in einer dunklen Ecke.
Reiflametta auf den Nadeln;
über einer Ahnung von duftendem Wachs
flackert der Geruch von Hundeurin.
Wie endet, was wuchs, um zu leuchten?
Als verglühender Stern
in der Verbrennungsanlage;
als harziges Granulat
im Kompostierbetrieb?
Zwei Schulmädchen, die Backen kugelrot
vom Morgenfrost,
sie bleiben für Sekunden stehen
und lösen einen angesengten Engel,
lösen Stroh aus dem Geäst.
Gelb war ihr Besen, sie wimperte geduldig
Staub von den Pflastersteinen.
Die Rosen in den Rabatten
längs der Einfahrt
verbargen ihre Stacheln
unter gehäufeltem Stroh.
Noch zwei Tage bis Weihnachten
und keine Spur von Schnee.
Auf dem Asphalt vor dem Nachbarhaus
glitzerten zerscherbte Sterne.
In Zagreb hatten wir erfahren,
dass es genügt, in der Küche
die Gasflasche aufzudrehen
und nach ein paar Minuten
durch ein Fenster zu schießen.
Rußkajal umzog den Rahmen
der Terrassentür, im Moment der Explosion
ein weit aufgerissenes Auge.
Wind kam auf, schleierte Asche
aus dem verkohlten Dachstuhl.
Sie staubte vor den gelben Besen
und wir hörten ein Seufzen,
als wir ratlos ein paar Schritte machten,
die zerscherbten Sterne zerknirschend.
Zwei Wassertürme steigen auf,
Heißluftballons an Stahlseilen,
an der Schnur eines Kindes,
das im Maisfeld steht.
Die Welt hat kein Gewicht
bis die Schule wieder anfängt,
bis das rosa Kleid in den Dreck fällt
oder der Vater betrunken zuschlägt;
die Welt hat kein Gewicht,
sieh nur, wie der Mais
dem Himmelsblau entgegenwächst.
Nein, keine Waffen, auch nicht für Verzweifelte.
Es wundert uns, dass gerade Sie
an unsere Menschlichkeit appellieren, gerade Sie,
der Sie exakt vor zwanzig Jahren
den Wehrdienst verweigert haben,
unsre Frage fürchtend, was Sie machen würden
wenn ein Vergewaltiger Ihre Schwester, Ihre Freundin …
Aber lassen wir das, keine Waffen!
Wir stellen gerne Zelte, Decken, wir schaffen
Lebensmittel und Medikamente rasch vor Ort.
Kampfhubschrauber, das wissen wir aus Erfahrung,
schießen der Demokratie den Weg nicht frei,
und wer die Menschenrechte hochhält
kann nicht gleichzeitig zum Joystick greifen
und Lenkwaffen von den Tragflächen
einer Drohne lösen.
Wie, das sehen Sie ein und fühlen sich
dennoch zum Handeln verpflichtet?
Wir verstehen Ihre Reaktion, trotz allem,
glauben Sie uns, wir empfinden
im Grunde genauso wie Sie, gerade jetzt,
wo ISIS selbst Alte und Kinder massakriert.
Sie wären damals eher ins Gefängnis gegangen
als eine Waffe in die Hand zu nehmen, nicht wahr?
Wie halten Sie es heute?
Greifen Sie zur Kalaschnikow, zur Handgranate
oder überlassen Sie das doch nicht lieber anderen?
Wollen wir eine Pause machen? Noch Kaffee?
Oder lassen wir es gut sein für heute
und suchen einen weiteren Termin?
Mittagsstille steht auf einer Leiter
die im Kirschbaum lehnt.
Plötzlich das Verlangen
hinauf ins Geäst zu klettern,
die schorfige Glätte der Rinde
unter den nackten Füßen;
das Verlangen, ganz oben
in einer Gabel zu sitzen
und die Kerne weit hinaus
auf den Wiesenhang zu spucken;
der Wunsch nach einem Eimer
und die wiederkehrende Lust
sich verboten weit
ins Blaue hinauszurecken,
zwei, drei Sekunden für jede Frucht.
Ich wusste, was die Stunden wogen
wenn ich zurückging zum Haus
wo in dämmernder Schattenkühle
die gefüllten Körbe standen.
Ihr ererbter Name, Michail Timofejewitsch,
gilt in tausend Sprachen gleichviel
wie die Wörter Aufstand und Unterdrückung,
er lässt die Augen junger Männer glänzen
und die Augen jener, die in einer Nacht
zu Greisen wurden, vor Schreck sich weiten.
Der radikalisierte Koranschüler in Pakistan
spricht ihn aus und der Kindersoldat im Kongo,
der Bodyguard des syrischen Präsidenten
und der kolumbianische Drogenbaron.
Früher, Michail Timofejewitsch,
war von der Braut des Soldaten die Rede,
heute hat der Rebell oder der Scherge des Diktators
eine Hure in Händen, die es von beiden Seiten
mit sich machen lässt, eine geliebte Hure,
die in Augenblicken namenloser Angst
an die Brust gedrückt wird, nacktes Eisen
an einem nackten Herzen.
Michail Timofejewitsch, erkannten Sie sich irgendwann
als jener Lude, der dem Sensenmann
das Sichelmagazin erfand?
Die Brust mit Orden beklimpert,
schelten Sie die Händler, schelten Sie die Politik
und scheinen dennoch stolz auf Ihr Werk,
stolz auf Ihren Namen, den schon Ihr Vater trug,
ein Bauer, ein einfacher Mann,
den kaum jemand kannte.