Christian Lorenz Müller
Die amerikanischen Arbeiter sind Schafe.
Sie haben den Wolf zu ihrem Hirten gemacht.
Die Trump’sche Mauer: Ein anti-mexikanischer Schutzwall.
Wer Trump seinen Präsidenten nennt
gehört jetzt zum Establishment.
Diagnose: Dekretinismus.
30. Januar 2017 11:42
Christian Lorenz Müller
Dieses Gedicht tut sich schwer damit
ein Toupet aufzusetzen.
Es will ihm nicht wirklich gelingen
richtig großkotzig zu sein.
Allein schon ein Adjektiv
wie great in den Mund zu nehmen
macht ihm wahrlich Mühe,
und es ist ihm schier unmöglich
einfach zu behaupten
andere Gedichte hätten keine Ahnung,
Hölderlins „Hälfte des Lebens“
hätte keine Ahnung, no clue, vom Herbst,
oder Jan Wagners Haikus
wüssten nichts von Regentonnen.
Aber da denkt das Gedicht
wahrscheinlich viel zu kompliziert.
Ein Gedicht mit einem Toupet
ist ein Gedicht, das keine Glatze zeigt.
– Also los, sagt sich dieses Gedicht,
lass endlich die Sau raus,
du kannst dir erlauben, Shakespeares Sonette
in der Übersetzer-Umkleide zu befummeln
und Inger Christenses „sommerfugle“
ins Panini-Album zu kleben,
du kannst dir alles erlauben,
weil du gleich im „Fisch“ gepostet wirst,
weil all die anderen Gedichte im Forum,
establishment, unter dir stehen werden.
Die allermeisten Anderen tragen ohnehin
längst ein Toupet.
19. Januar 2017 10:56
Christian Lorenz Müller
Die Kindertage
sind weiß und rund und haben
sehr rote Nasen.
Ein Kalligraph, tuscht
der Radler Unsicherheit
und Angst vor dem Sturz.
Der Brandungsdonner
des Räumfahrzeugs, die Gischt die
auf den Gehsteig fliegt.
Im weißbarocken
Garten fräst der Hausmeister
die Schneefontäne.
Und der Streuwagen
sät dunkle Kerne. Bald schon
sprießt schwarzer Asphalt.
An den Laternen
wachsen Eiszapfenzähne.
Sie blecken ins Licht.
9. Januar 2017 15:13
Christian Lorenz Müller
Nur für Minuten
Lichtreif im Himmel bevor
Dunkelheit ihn taut.
1. Januar 2017 00:51
Christian Lorenz Müller
Tausend Pferde, Brüder,
brachen aus der Koppel.
Kaum schnaubte die Maschine,
strauchelten die Feinde,
sie sackten nieder
wenn das verchromte Krummschwert,
wenn der Kühlergrill sie traf,
und wer entkam
dem geißelte der Dieselschweif
schwarze Angst ins Herz.
Brüder, in die Sättel!
Sprengt die Koppeln auf,
ein blutiges Al-Andalus
ist nun auch dieses Land.
21. Dezember 2016 12:25
Christian Lorenz Müller
Vier Jahre lang
war ein Leben immerhin
eine Handgranate wert,
eine Fassbombe oder zumindest
ein paar Kugeln, nun kostet es
nicht mehr als den Griff
nach einem Brocken Beton,
nach einer Baustahlstange.
Ein preisgegebenes Versteck
verringert die Summe der Schläge
mit dem Elektrokabel.
Drei verheimlichte Namen
haben den Gegenwert
von drei ausgerissenen Fingernägeln.
Wer nach Gerechtigkeit verlangt
bezahlt mit seiner Zunge.
Dann ist Schweigen, ist Stille
auf dem Basar.
15. Dezember 2016 12:05
Christian Lorenz Müller
Am Ende bleibt jedes Gedicht
für sich allein.
Vor dieser Erkenntnis
steht seine Sehnsucht
nach einer Seitenzahl,
die Sehnsucht nach einer Bindung
an achtzig, neunzig Andere.
Die Sehnsucht, einmal Augen
auf sich zu spüren, einen Blick
der nicht nur kurz verweilt.
Nicht wenige Gedichte
senken dann die Lider,
verziehen das Gesicht
oder schauen böse drein,
und doch verzehren sie sich
nach diesem Blick, verzehren sich
und ahnen schon den Spott voraus
und die Häme, oder, schlimmer noch,
das Schulterzucken oder laues Lob
oder hündische Loyalität
und peinliche Bewunderung.
Ja, ein Gedicht bleibt am Ende
immer für sich allein.
Es vereinsamt zwischen den Seiten
oder es dehydriert
in einem elektronischen Archiv
zu ein paar Kilobytes.
So wie dieses hier.
13. Dezember 2016 11:51
Christian Lorenz Müller
Immer das bläuliche Schimmern
der Bildschirme, die Bytes
zucken unterm Glas wie Forellen
und wir, über unsere eigenen Einträge,
Tweets, Kommentare gebeugt,
fallen nicht. Wir versinken nur
in dem Buchstaben gewordenen Bild
unserer gerechten Empörung.
Unsere Finger huschen,
Wasserläufer auf Flüssigkristall,
über unsere gegoogelten Gesichter,
unsere Biographien, Preise, Buchtitel,
über den Wikipedia-Eintrag,
der aus digitalen Tiefen auftaucht,
leuchtender Krill in der Finsternis,
und wir lächeln uns an,
irgendwo auf einer Kreuzung,
auf einem Bahnhof, eine armselige
Pfütze in der Hand.
11. November 2016 09:57
Christian Lorenz Müller
Wo die Straße endet
rupfen Schafe die Schatten.
Unzählige Nächte
haben das Holz der Höfe
schwarz gewittert.
In der öligen Dämmernis
eines Schuppens stehen Traktoren,
das dunkle Rund eines Reifens,
und dann geht ganz in der Nähe
eine Kreissäge auf,
ihr kaltes Grellen
blendet das Ohr.
Tausende von Umdrehungen
pro Minute und der Bauer,
der, ungeschnittenes Holz in Händen,
unablässig um sie kreist.
Noch immer existieren
die Gravitationskräfte der Kindheit,
immer wieder dieses Verharren
im Herbst, wenn die Wege enden,
wenn die Schatten vor die Mäuler
der Schafe fallen.
6. November 2016 11:47
Christian Lorenz Müller
Kein Bücher-Jahrmarkt ohne Stilgaukler.
Sein erstes Werk war ein Roman, gewaltig wie ein Gebirge.
Gleich nach dessen Erscheinen begannen die Mühen der
Ebene.
Glasklare Prosa muss nicht notwendigerweise
durchsichtig sein.
Die Produktion von heißer Luft kann durchaus
zu Höhenflügen führen. Es braucht nur jemanden,
der die passende Ballonhülle dafür bereitstellt.
Gegen gelegentliches Waten im seichten Wasser der
Unterhaltung ist nichts einzuwenden. Bedenklich wird
es bei Schwimmversuchen oder Sprüngen vom Rand.
Im medialen Zirkus gibt es Artistinnen, Dompteure,
Messerwerfer und Clowns, aber eine Direktorin oder
einen Direktor sucht man vergebens.
Selbst über ungelegte Eier, die aus Legebatterien kommen
werden, redet man viel und gerne.
Wenn Stil die Physiognomie des Geistes ist, warum
erschrecken wir dann nicht vor der allgemeinen
Fratzenschneiderei?
Das helle Strahlen seines Geistes blendete all jene, die
keine Sonnenbrillen in der Tasche hatten.
Wer sich ständig wiederholt, der hat gute Chancen, gehört zu werden.
17. Oktober 2016 09:09